zum Hauptinhalt
Flexibel. Polina Semionova in „Schwanensee“ an der Deutschen Oper.
© dapd

Kultur: Der Absprung

Nach zehn Jahren: Die Primaballerina Polina Semionova verlässt Berlin.

Berlins Tanzszene ist aufgeschreckt: Polina Semionova verlässt das Staatsballett Berlin. Damit verliert die Compagnie von Vladimir Malakhov ihre unangefochtene Primaballerina. Ende Februar hatte die Russin es schon auf ihrer Facebook-Seite angekündigt. Nun ist es offiziell: Die Erste Solotänzerin hat den Intendanten des Staatsballetts darum gebeten, sie vorzeitig aus ihrem bis Sommer 2013 geltenden Vertrag zu entlassen. „Es ist eine schwierige Entscheidung für mich“, sagte Semionova dem Tagesspiegel. Sie habe sich diesen Schritt aber gründlich überlegt. Konkrete Gründe nennt sie nicht.

In einer knappen Pressemitteilung des Staatsballets heißt es, dass Vladimir Malakhov die Tänzerin „mit Bedauern“ gehen lasse, ihre Entscheidung aber respektiere. Das klingt recht verschnupft. Dass Semionova nun Berlin den Rücken kehrt, ist für Malakhov ein herber Schlag. Und wohl auch eine persönliche Enttäuschung – er war es schließlich, der ihr die Türen öffnete. Es zeigt aber auch, dass es in Malakhovs Truppe rumort. Seine Spielplan-Politik wird immer häufiger kritisiert, das Staatsballett drohte zuletzt zum Tanzmuseum zu verkommen. Zudem sucht sich Malakhov mit Vorliebe Stücke, die als Starvehikel taugen. Unter seinen Tänzern wächst daher die Unzufriedenheit. Und auch Semionovas Karriere schien zuletzt zu stagnieren.

Malakhov hatte die 1984 in Moskau geborene Semionova an der Ballettschule des Bolschoi Theaters entdeckt und ihr außergewöhnliches Talent gefördert. Sie war 17 Jahre alt, als er sie als Erste Solotänzerin nach Berlin holte. In kurzer Zeit stieg sie zum hellsten Stern am Balletthimmel auf, die Kritiker prophezeiten ihr eine Weltkarriere.

Betritt Polina Semionova die Bühne, beginnt sie zu strahlen. Ihre makellose Schönheit, ihre stupende Virtuosität nehmen einen sofort gefangen. Sie wolle als Künstlerin und nicht als anmutige Tanzmaschine respektiert werden, hatte sie schon am Anfang ihrer Laufbahn betont. Brillante Technik allein reiche nicht: „Eine Bewegung muss in erster Linie gefühlt werden“, findet Semionova.

Die großen Partien des klassischen Balletts hat sie sich in Rekordgeschwindigkeit erarbeitet. Rasch avancierte sie zum weltweit gefragten Gaststar. So tanzte sie etwa mit dem American Ballet Theatre, dem Mariinsky-Ballett St. Petersburg, dem Moskauer Bolschoi Ballett, dem Tokyo Ballet, dem Stuttgarter Ballett. Die New York Times schrieb anlässlich ihres Debüts beim American Ballet Theatre im Frühjahr 2011, Semionova sei eine Klasse für sich. Nicht umsonst steht sie bei der renommierten New Yorker Agentur Ardani Artists unter Vertrag.

Doch in Berlin trat sie in letzter Zeit immer seltener auf, und auch die guten Rollen blieben aus. Das sind vor allem Rollen, an denen eine Ballerina künstlerisch wachsen kann. Zwar verzauberte sie kürzlich das Publikum in John Crankos Shakespeare-Ballett „Romeo und Julia“ – allerdings war sie nur die Zweitbesetzung.

Zehn Jahre lang ist Polina Semionova dem Staatsballett Berlin und Malakhov treu geblieben. Dass sie nun mit 27 Jahren den Absprung wagt, um ihre internationale Karriere voranzutreiben, ist eine kluge Entscheidung. Ein Schritt, den man eigentlich früher erwartet hätte. „Ich will keine Zeit vergeuden“, sagte sie schon vor Jahren: „Ein Tänzerleben ist unglaublich kurz, und ich will mein Maximum geben.“

Die Welt steht ihr nun offen. In Berlin ist für die Moskauerin künstlerisch jedenfalls nichts mehr zu holen. Sie hoffe zwar, dass die Stadt ihre homebase bleibe, meint Semionova, die mit einem Gruppentänzer aus Malakhovs Compagnie verheiratet ist. Ob sie aber künftig auch in Berlin tanzen wird, ist ungewiss. Zurückkehren wird sie wohl nur der Liebe wegen.

Sandra Luzina

Zur Startseite