Filmkunst von Romuald Karmakar: Ein paar Stufen vom Himmel in die Hölle
Im Krematorium: Der konzeptuelle Berliner Filmemacher Romuald Karmakar stellt sein Werk in der Galerie Ebensperger aus.
Purgatorium und Paradies. Es gibt zwei Zugänge zu der ersten Soloausstellung von Romuald Karmakar, buchstäblich. Einer führt hinab in die Kellerräume der Galerie Ebensperger, gewissermaßen über einen Dschungelpfad. „Tulum“ heißt die jüngste Arbeit des Berliner Filmemachers, ein knapp fünfminütiger Video-Loop, der den Besucherinnen und Besuchern den Weg in die Ausstellungsräume weist: Zu sehen ist nicht mehr als eine menschenleere Schneise durch den mexikanischen Urwald.
Doch die karibische Idylle trügt, gleich im Eingangsbereich wird es ungemütlich. Im ersten Raum spricht Kirsten Krüger, die Betreiberin des Berliner Fetischclubs KitKat über soziale Utopien, während aus der Bar nebenan rechte Parolen herüberplärren: Aufnahmen einer NPD-Kundgebung am Brandenburger Tor, mit denen Karmakar 2013 den deutschen Pavillon in Venedig bespielte.
Ein Stockwerk darüber ein ganz anderes Bild, ein anderer Sound: erhaben, erhebend, erleuchtet. In der Aussegnungshalle des ehemaligen Krematoriums im Wedding, in dem seit 2013 das Silent Green Kulturquartier residiert, singen ein griechisch-orthodoxer und ein russisch-orthodoxer Männerchor die “Agni Parthene”, eine in den orthodoxen Ostkirchen verbreitete Hymne auf die Gottesmutter Maria.
Karmakar hat die Chöre in ihren Heimatkirchen gefilmt (Kamera: Frank Griebe) wie den Urwald von Tulum – in einer Zentralperspektive mit nur wenigen Close-ups. Zweimal sieben Minuten liturgische Offenbarung: Die eigens für die Installation „Byzantion“ gebauten Hornlautsprecher erfüllen die sakrale Architektur mit einem mächtigen, krispen Klangbild, das selbst das säkulare Kunstpublikum markerschüttert zurücklässt.
Der Schritt Richtung Kunstmarkt war nur folgerichtig
Karmakar besitzt ein gutes Gespür für die soziale und narrative Funktion von Orten. Auch in seinen Dokumentarfilmen über elektronische Musik, zuletzt „Denk ich an Deutschland in der Nacht“ (2017), spürt er unterschwelligen Verbindungen von Rave-Ekstase und spezifischen Raumerfahrungen im Club nach.
Dass er bei seinen Exkursionen stets Humor beweist, lässt auch die Ausstellung in der Galerie durchblicken: Auf der Herrentoilette sieht man sich unvermittelt mit dem dreistündigen „Himmler-Projekt“ konfrontiert, in dem der Schauspieler Manfred Zapatka im neutralen Tonfall eine Rede Heinrich Himmlers einspricht.
Und von den Räumlichkeiten des Luxoom Labs im Obergeschoss, in dem „Byzantion“ und das 75-minütige Komplementärstück „Die Entstehung des Westens – Von den Anfängen in der Antike bis zum Fall von Konstantinopel“ laufen, führt eine Treppe wieder hinab in die Bar, wo auf einem alten Fernseher die NPD-Kundgebung läuft. Bei Karmakar sind es nur ein paar Stufen vom Himmel in die Hölle.
Man kann sich also auf unterschiedlichen Pfaden durch das Werk bewegen. Karmakar kommt ursprünglich vom Kino, seine ersten Dokumentarfilme standen noch in einer transgressiven Filmtradition, voll mit Figuren am Rande der Mehrheitsgesellschaft: Kampfhundbesitzer, Söldner, der Aktionskünstler Flatz. Von dort war der Schritt zum deutschen Serienmörder Fritz Haarmann und Heinrich Himmler vielleicht gar nicht mehr so weit.
In „Der Totmacher“ und „Das Himmler-Projekt“ verlaufen die Grenzen von Dokumentar- und Spielfilm fließend, beide Filme basieren auf Wortprotokollen, vorgetragen von Schauspielern. Für Karmakar waren sie wegweisend: „Der Totmacher“ etablierte ihn 1995 als einen der interessantesten deutschen Regisseure, 2008 zählte das New Yorker MoMA das „Himmler-Projekt” zu seinen 250 wichtigsten Erwerbungen der vergangenen Jahrzehnte.
Für einen konzeptuellen Filmemacher wie Karmakar war der Schritt Richtung Kunstmarkt nur folgerichtig, er teilt damit aber auch das Schicksal anderer schwer kategoriesierbarer Bilderproduzenten des deutschen Kinos wie etwa Harun Farocki. Die Ausstellung in der Galerie Ebensperger verschafft nun erstmals einen Überblick über Karmakars Werk, dessen Formalismus früh einen Bogen von der Ästhetik des Kinos zu zeitbasierten Installationen im White Cube schlug.
Als früheste Arbeit ist der Achtminüter „Coup de Boule“ (1987) über eine Gruppe junger französischer Soldaten vertreten, die sich die Köpfe an ihren Metallspinden blutig schlagen. Die auto-aggressive Gewalt und die lachenden Jungengesichter stellen eine kognitive Dissonanz her, die ähnlich instruktiv für das Verständnis vom Wesen des Krieges ist wie Karmakars Söldner-Interviews in „Warheads“.
Ein Film über die Selbstdemontage der USA
Das zentrale Werk der Ausstellung ist natürlich „Byzantion“, das Karmakar zusammen mit der „ Entstehung des Westens“ für die Documenta 14 konzipierte und das nun erstmals in Berlin zu sehen ist. Die Aussegnungshalle des ehemaligen Krematoriums bietet der Arbeit einen würdevollen Rahmen, in Kassel war „Byzantion“ zuvor nur als Video-Tryptichon zu sehen. In den hohen Räumen kommt die Kinoqualität von Karmakars Stil umso deutlicher zur Geltung, der immersive Effekt der Installation ist imposant.
Fast bescheiden nimmt sich dagegen das zweite Hauptwerk in den Räumen der Galerie aus, das einstündige Videotagebuch „19 Clips in 19 Days“, entstanden im Rahmen einer Fellowship an der Harvard University 2012. Der Video-Essay trägt Karmakars politischem Blick Rechnung, in den Beobachtungen eines Landes in tiefer innerer Zerrüttung resonieren aktuelle Bilder aus der US-Politik.
Seine kursorische Wahrnehmung erfasst dabei das Beiläufige (ein alter Mann sitzt am Rande eines Highways), das Spezifische (Michelle Obama auf Fox News) und das Skurrile (Besucher auf einem deutschen Volksfest). Die Ironie ist nicht zu übersehen. Während einem oben die Entstehung des Westens erklärt wird, sieht man in den unteren Räume einer westlichen Vorzeigedemokratie bei der Selbstdemontage zu.
Galerie Ebensperger, Plantagenstr. 30; bis 30.6., Fr 12–6 Uhr, Sa/So 11–17 Uhr
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