MoMA in Berlin: Angriff der Gegenwart
Das nächste große Ding: Fulminante Zeichnungen aus dem New Yorker Museum of Modern Art im Martin-Gropius-Bau.
Das MoMA und Berlin – das weckt gigantische Erwartungen. Nicht zuletzt an eine Wiederholung des Erfolgs von vor sieben Jahren. Damals pilgerten 1,2 Millionen Besucher zur Neuen Nationalgalerie, um die Meisterwerke des New Yorker Museums of Modern Art zu sehen. Mindestens ebenso legendär wie die Publikumszahlen war die dazugehörige Warteschlange, die sich mit jedem weiteren Monat Ausstellungsdauer noch länger um den Mies-van- der-Rohe-Bau wand.
Der damalige Triumph – 6,5 Millionen Euro Einnahmen – dürfte einmalig bleiben. Und doch besitzt die Sentenz „Das MoMA in Berlin“ weiterhin einen magischen Klang für Marketingstrategen. Um für den großen Ansturm gewappnet zu sein, bietet der Martin-Gropius-Bau schon seit Wochen Online-Vorbestellungen für Eintrittskarten an. Für eine Schlange wie damals gäbe es heute kein Verständnis mehr. Starker Andrang ist dennoch in der ab morgen eröffneten Ausstellung erwünscht, die in großen roten Lettern das Stichwort MoMA im Titel trägt, deutlich kleiner die Einschränkung „Zeichnungen“ und nochmals verkleinert darunter der Hinweis auf die Judith Rothschild Foundation.
Eine Mogelpackung also? Das gewiss nicht. Die 250 ausgestellten Werke befinden sich alle im Besitz des Museums of Modern Art und sind mithin nobilitiert. Und wie von dem berühmten Haus nicht anders zu erwarten, wird wieder mit den Stars geprunkt: Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Cy Twombly, Joseph Beuys, Georg Baselitz, David Hockney. Trotzdem ist diesmal der Spieß umgedreht. Nicht sprichwörtliche Meisterwerke erwarten den Besucher, sondern ganz bescheiden Papierarbeiten, dazu eine ganze Reihe Namen, die man kaum kennt.
Für das MoMA selbst war die Annahme der insgesamt 2600 Arbeiten von 600 Künstlern umfassenden Schenkung der Judith Rothschild Foundation vor sechs Jahren eine kleine Revolution. Von einem Tag auf den anderen erhielten dadurch über 300 Künstler den Ritterschlag, zur prestigeträchtigsten Kollektion der Kunstwelt zu gehören. Konservativen Geistern ging diese En-bloc-Adelung viel zu schnell. Museen zeichnen sich schließlich dadurch aus, dass sie auf dem Hochstand warten, die Kunstgeschichte erlegt für sie das Wild. Doch die Zeiten des Zum-Jagen-Tragen sind für Museen vorbei. Die Rothschild-Schenkung bescherte dem MoMA die seit vielen Jahren benötigte Verjüngungskur. Künstler wie Kelley Walker, Johannes Wohnseifer, Marcel van Eeden, Mark Grotjahn gehörten plötzlich zum erlauchten Kreis und dockten damit die ehrwürdige Institution wieder stärker an die Gegenwart an.
Berlin, wo das MoMA alter Schule mit seinen van Goghs, Monets, Picassos 2004 eine ganze Stadt in Kunstbegeisterung versetzte, mag für eine Demonstration dieser Revision der beste Standort sein. Wie eine Stromzufuhr hat damals die Schenkung des gigantischen Zeichnungskonvoluts das ganze Museum erfasst und eine völlig neue Debatte über zeitgenössische Kunst entfacht, berichtet Kurator Christian Rattemeyer, der die Sammlung am MoMA betreut. Das Lehrstück für Berlin besteht nun nicht unbedingt darin, die Bedeutung aktueller Kunst zu erleben, sie lässt sich ohnehin allenthalben in den Galerien der Stadt erfahren. Nein, hier dürfte die denn doch meisterliche Zeichnungsausstellung imponieren, die (Wieder-)Entdeckung eines Mediums, das bei heutigen Künstlern zunehmend an Bedeutung gewonnen hat.
Diese Erkenntnis durchfuhr auch Harvey S. Shipley Miller, Vorstandsmitglied des MoMA und Treuhänder der Rothschild-Foundation, wie ein Blitzschlag bei einem Besuch der New Yorker Armory-Show 2003. Nachdem er kurz zuvor eine fast vollständige Kollektion von Büchern russischer Avantgardekünstler für das Museum zusammengetragen hatte, eröffnete sich ihm mit der Zeichnung ein völlig neues Feld. Ein Jahr, verlängert um weitere zwölf Monate, nahm er sich zusammen mit dem damaligen MoMA-Kurator für Zeichnungen Zeit, um schnappschussartig das Beste zu erwerben. Die Institution im Hintergrund und die kurze Akquisephase öffnete den beiden Käufern so manche Atelierschublade, die ansonsten verschlossen geblieben wäre. Danach schossen die Preise in die Luft, so Rattemeyer. Zeichnung war das nächste große Ding.
Nun, sechs Jahre später zeigt sich der Fang in seiner ganzen Pracht. Das Entree im zweiten Geschoss des Gropius-Baus mit einer eher abweisenden Textwand, an deren Rückseite erste Werke hängen, ist ungeschickt inszeniert, auch wenn hier bereits Polke, Beuys, Rauschenberg, Cy Twombly aufgefahren werden. Die subtile Hängung entfaltet sich erst mit den darauf folgenden Räumen: Mal sind es Genealogien, mal sind es gemeinsame Bildsprachen, durch die sich Abteilungen formieren. Zur Porträtistin Elizabeth Peyton gesellt sich David Hockney, den sie als Vorbild nennt; der wiederum malte gemeinsam mit Dieter Roth ein Bildnis Francis Bacons nach, so dass eine ganze Ahnengalerie an Porträtmalern entsteht. Ähnlich rasant schnurrt die rheinländische Tradition ab: Beuys, Polke, Immendorff und schließlich Kai Althoff folgen aufeinander. Das mag sich ein wenig überstürzt vollziehen, die Einzelwerke jedoch überzeugen.
Nur in einem Raum kommt das Sammlungsprinzip der Kollektion zum Tragen: die regionale Verankerung. Das Käuferduo richtete seine Antennen nach den Standorten New York, Los Angeles, Großbritannien mit seinen Schwerpunkten London und Glasgow sowie Deutschland mit Berlin und den einstigen Hochburgen Köln und Düsseldorf aus. Ein gemeinsamer Stil zeichnet die dortigen Künstler kaum aus, so dass sie doch wieder nach den üblichen Untergruppen Figuration, Abstraktion, Minimal, Konzept gegliedert sind. Eine Ausnahme bilden Mike Kelley, Raymond Pettibon, Jason Rhoades, die sich als selbstbewusste Kalifornier verstehen. Ed Ruschas Scherenschnitt „City“ prangt über dem Entree zu ihrem Raum. Ein ironischer Wink.
Die Sammlung ist zwar auf eine einzige Disziplin beschränkt, doch entwickelt diese sich explosionsartig in alle Richtungen, befördert durch den Bilderrausch der neuen Medien. Die Künstler bedienen sich dieser Multiplizität mittels Collage, indem sie Bilder aus dem Netz herunterladen, Magazine plündern, Fotografien integrieren, die sie durch zeichnerische Bearbeitung zum Unikat schockgefrieren. Thomas Hirschhorn ist ein Meister dieser Taktik. In seiner Reihe „Provide Ruins“ von 2003 kombiniert er Ruinenbilder aus dem Irak mit Ausschnitten aus Pornozeitschriften: Den Menschen zerreißt es in Teile, nicht nur im Bild.
Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 29. Mai, Mi-Mo 10-20 Uhr. Katalog (HatjeCantz) 25 €
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität