Künstlerprogramm des DAAD: Ein Ort für die Freiheit
Jenseits der klassischen Disziplinen: Seit Januar leitet Silvia Fehrmann das Berliner Künstlerprogramm des DAAD in der Kreuzberger Oranienstraße.
Bananenstauden, ein Netz voller Kokosnüsse und eine männliche Gestalt, die an einem Galgen baumelt: Der aus Guatemala stammende Künstler Naufus Ramírez-Figueroal, Stipendiat des Berliner Künstlerprogramms des DAAD, bringt in der Kreuzberger Oranienstraße die Kolonial- und Wirtschaftsgeschichte Zentralamerikas mit botanischen Taxonomien in Verbindung. Es ist genau ein Jahr her, dass die neue DAAD–Galerie eröffnet wurde. Neben einem Ausstellungsraum im Erdgeschoss gibt es in der ersten Etage auch einen Veranstaltungsraum. Ein Schaufenster in die Stadt, mitten im quirligen, multikulturellen Kreuzberg, das künftig Silvia Fehrmann gestaltet.
Seit Beginn des Jahres leitet die Literaturwissenschaftlerin Deutschlands renommiertestes Artist-in-Residence-Programm. Rund 1000 Gäste kamen damit im Lauf der letzten fünf Jahrzehnte in die Stadt, darunter so berühmte Namen wie Ingeborg Bachmann, John Cage, Jim Jarmusch und Ilya Kabakov. Nicht selten ist der Aufenthalt ein Wendepunkt in der Karriere der Stipendiaten. Mit Gao Xingjian, Imre Kertész und Mario Vargas Llosa erhielten bereits drei Alumni den Literaturnobelpreis. Jahr für Jahr kommen bis zu 20 Künstler nach Berlin.
Silvia Fehrmann, eine blonde schlanke Frau mit wachem Blick, arbeitete zuletzt am Berliner Haus der Kulturen der Welt. Dort war sie Mitglied der künstlerischen Leitung, kümmerte sich außerdem um Kommunikation und Kulturelle Bildung. Von ihrer Vorgängerin, der Kulturmanagerin und Literaturwissenschaftlerin Katharina Narbutovic, übernimmt sie eine solide aufgestellte Institution, mit den neuen Veranstaltungsräumen als Highlight. Im Lauf der Jahrzehnte musste sich das Künstlerprogramm immer wieder auf die wechselnden Bedingungen der Stadt einstellen. Zeit zum Zurücklehnen bleibt auch jetzt nicht.
Räume mit Ausblick
„Berlin ist zur Metropole geworden, es gibt international hohe Erwartungen an das Kulturleben der Stadt. Gleichzeitig erleben wir weltweit, aber auch in Europa neonationalistische und autoritäre Entwicklungen. Vielerorts ist die Freiheit der Kunst gefährdet. Da bekommt ein Programm wie das BKP eine ganz andere Bedeutung“, sagt Fehrmann. Künstler kämen aber nicht nur, um in Ruhe und Frieden in Berlin zu arbeiten, sie erwarteten auch einen Resonanzraum für ihre Ideen, Bilder und Geschichten.
Nach Metropolenflair sieht es im Wissenschaftsforum am Berliner Gendarmenmarkt nicht aus. In dem grauen Eckhaus am Gendarmenmarkt ist die Hauptstadtresidenz des gesamten DAAD mit der Verwaltung des Berliner Künstlerprogramms untergebracht. Die Räume sind auf fünf Etagen um einen schmucklosen Innenhof gruppiert und erinnern an eine Gefängnisarchitektur. Doch der Ausblick vom obersten Stockwerk auf das Konzerthaus ist toll, und Silvia Fehrmann mit ihrer neuen Wirkungsstätte zufrieden. In diesen Tagen trudeln bereits die ersten Stipendiaten des Jahres 2018 ein, darunter der türkische Schriftsteller Murathan Mungan, der in seiner Heimat mit szenischen Lesungen und gesellschaftskritischen Themen wie ein Popstar durch die Lande tourt. Und was passiert nun als erstes mit dem Gast? „Ich werde ihn zu einem Abendessen einladen und versuchen, zu erspüren, was ihn interessiert“, sagt Fehrmann.
Berlin als Ort der Freiheit
Berlin ist für viele Stipendiaten, die in diesem Jahr etwa aus Singapur, Taiwan, Argentinien, Brasilien oder der Türkei kommen, ein Ort der Freiheit. Das war nicht immer so. Als das Künstlerprogramm 1963 startete, damals noch unter Federführung der Ford Foundation, ging es darum, die abgeschottete Frontstadt West-Berlin mit der internationalen Kulturszene in Kontakt zu bringen. Künstler kamen, um das seltsame Vakuum produktiv zu nutzen.
In den 90er Jahren genossen viele Künstler das Nachtleben. Statt ihnen die verborgenen Clubtüren und die Regeln der Nacht nahezubringen, muss man ihnen heute eher geeignete Gesprächspartner vermitteln. Genau das hat Silvia Fehrmann vor. Ihr Anliegen ist es, Perspektivwechsel zu ermöglichen. „Mich interessiert sehr, was zwischen Kunst und Wissenschaft möglich ist“, sagt sie. Die Kreuzberger Räume will sie für produktive Begegnungen und Arbeitstreffen zwischen Künstlern aller Couleur, ehemaligen Stipendiaten, Kulturschaffenden und Wissenschaftlern nutzen.
Als gebürtige Argentinierin habe sie keine Angst vor Veränderung, sagt Fehrmann. Das sei vielleicht eine ihrer wichtigsten Eigenschaften als Leiterin des Programms. Bereits als Kind erlebte sie, was auswärtige Kulturpolitik bedeutet. Während der Militärdiktatur besuchte sie eine deutsche Begegnungsschule, kam dort in Kontakt mit Büchern, die vom Regime verboten worden waren. Später studierte sie Literatur in Buenos Aires. Über zehn Jahre lang arbeitete sie am dortigen Goethe-Institut, war Literaturübersetzerin und erlernte das Handwerk des Kulturmanagements. Unter anderem begleitet sie Anfang der 90er Jahre die erste Aufführung von Christoph Marthalers Regiearbeit „Murx den Europäer!“ in Lateinamerika. Damals lernte sie den Volksbühnen-Intendanten Frank Castorf kennen. Nach einer Station in New York als Journalistin und Kulturkorrespondentin holt der sie 2004 als Pressechefin an die Volksbühne.
Der Austausch zwischen den Künsten ist wichtig
Die lateinamerikanische Szene hat aus Fehrmanns Sicht viele interessante Stimmen zu bieten. Etwa den hochpolitischen Lyriker Sergio Raimondi aus Argentinien. Oder Lina Meruane, eine Chilenin mit palästinensischen Wurzeln, die an der New York University Literatur lehrt und mit dem Roman „Rot vor Augen“ gerade ihr erstes Buch in deutscher Übersetzung veröffentlicht hat.
Kommen unter Fehrmanns Ägide nun verstärkt lateinamerikanische Literaten in den Blick? „Die Jurymitglieder entscheiden unabhängig. Es sind keine Länder im Fokus, einzig die Qualität zählt“, sagt Fehrmann, die wie ihre Vorgängerin Katharina Narbutovic neben der Gesamtleitung auch die Sparten Literatur und Film übernommen hat. Bei Jurysitzungen stimmt sie aber nicht mit ab.
Der Austausch zwischen den Künsten und das Erforschen neuer Felder liegt Fehrmann besonders am Herzen. Im Frühjahr steht zunächst ein interdisziplinäres Mini-Festival in der DAAD-Galerie auf dem Programm.