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Jürgen Flimm und Matthias Schulz, Noch- und Bald-Intendant an der Berliner Staatsoper.
© Stephanie Pilick / dpa

Intendantenwechsel an der Berliner Staatsoper: Ein neues Gesicht

Sanfter Übergang: Der 37-jährige Matthias Schulz, derzeit Leiter des Salzburger Mozarteums, kommt 2016 an die Berliner Staatsoper. Doch Jürgen Flimms Intendantenjob übernimmt er erst im Frühjahr 2018 vollständig.

„Ich habe sehr großen Respekt vor der Aufgabe“, sagt Matthias Schulz am frühen Mittwochnachmittag im Gläsernen Foyer des Schillertheaters. „aber sicher keine Angst.“ Und doch wird man das Gefühl nicht los, der junge Mann hat hier eine Verteidigungsrede vorbereitet. Um zu beweisen, warum er doch der Richtige ist für die Nachfolge von Jürgen Flimm. Sicher, Flimm war ein international bekannter Regisseur, als er 2010 Intendant der Berliner Staatsoper wurde. Mit dem Namen des 1977 in Bayern geborene Matthias Schulz dagegen wussten bis gestern allenfalls Szene-Kenner etwas anzufangen. Und doch hat seine Wahl gerade darum etwas äußerst Sympathisches. Ein neues Gesicht, ein Außenstehender mit frischem Blick kann dieser Institution nur gut tun, die seit 1992 in allererster Linie durch ihren Generalmusikdirektor Daniel Barenboim repräsentiert wird. Der Maestro sitzt am Mittwoch zur Linken des Neuen, auf der anderen Seite flankiert ihn der Regierende Bürgermeister, der hier in seiner Funktion als Kultursenator das Mikrofon ergreift, um das ganz und gar ungewöhnliche Prozedere zu erklären, das mit diese Personalie verknüpft ist. Schulz wird nämlich über ein Drei-Phasen-Modell in sein Amt eingeführt. Zum 1. März 2016 wechselt er von Salzburg, wo er die Musikhochschule Mozarteum leitet, als „Designatus“ an die Staatsoper. Um das Haus kennenzulernen und sich einzuarbeiten in den Musiktheaterbetrieb. 16 Monate später rückt er zum Ko-Intendanten auf. Gleichberechtigt mit Jürgen Flimm soll er den Rückumzug in das dann hoffentlich tatsächlich fertig sanierte Stammquartier Unter den Linden vorbereiten und am 3. Oktober 2017 eine heitere Heimkehr feiern. Zum Ende des ersten Quartals 2018 schließlich scheidet Flimm, dann 77-jährig, aus der Leitung der Staatsoper aus, und Schulz übernimmt den Intendantenjob vollständig.

Im Gegensatz zu Castorf und Peymann klebt Flimm nicht an seinem Sessel.

Im Hotelgewerbe würde man das ein soft opening nennen. Im Bühnenbusiness aber ist eine solche Vorgehensweise nahezu unbekannt. Man vermag sich kaum vorzustellen, wie Claus Peymann oder Frank Castorf am Berliner Ensemble respektive der Volksbühne in friedlicher Koexistenz mit ihren Erben leben. Jürgen Flimm dagegen ist keiner, der am Chefsessel klebt und sich für unersetzbar hält.
Daniel Barenboim berichtet davon, dass er in seiner langen Karriere immerhin zwei Mal das Glück hatte, so einen neidfreien Übergang erleben zu dürfen, in beiden Fällen als Nachfolger von Georg Solti, 1975 in Paris und 1991 in Chicago. „Damals war ich in den Schuhen von Matthias Schulz“, fügt er noch hinzu – und macht damit en passant klar, wer in der Staatsoper der Boss bleiben und wer der Lehrling sein wird.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (l) und Direktor der Staatsoper Daniel Barenboim (r) stellten den designierten Intendanten der Staatsoper vor: Matthias Schulz.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (l) und Direktor der Staatsoper Daniel Barenboim (r) stellten den designierten Intendanten der Staatsoper vor: Matthias Schulz.
© Stephanie Pilick / dpa

Bis zum Alter von 22 Jahren verfolgte Matthias Schulz dasselbe Karriereziel wie Barenboim. Er wollte Pianist werden, absolvierte ein Studium am Salzburger Mozarteum. Dann aber gestand er sich ein, dass es für eine Solistenlaufbahn nicht reichen würde – und ließ sich an der Münchner Maximilians-Universität auch noch zum Diplom-Volkswirt ausbilden. In den Sommermonaten aber jobbte er in der Konzertabteilung der Salzburger Festspiele. Nach einem Jahr am Konzerthaus Dortmund kam er 2004 zurück, als Projektleiter für die Aufführung aller 22 Mozart-Opern bei den Festspielen. Er bewährte sich, stiegt während der Intendanz von Jürgen Flimm zum Referenten im Konzertteam von Markus Hinterhäuser auf, verantwortlich für die Bereiche Planung, Budgetierung und Durchführung. Seit 2009 leitete er in der kurzen Ära von Alexander Pereira den gesamten Bereich des Konzertwesens, bevor er 2012 zum Mozarteum abgeworben wurde. Hier ist er aktuell als Geschäftsführer für Finanz- und Personalfragen zuständig und gestaltet zudem als künstlerischer Leiter Festivals wie die Mozartwoche (zusammen mit dem Dirigenten Marc Minkowski) oder die genreübergreifenden „Dialoge“.

Musikchef Barenboim ist vom Generationswechsel ausgenommen.

„Hart rangenommen“ habe ihn Kulturstaatssekretär Tim Renner in den Bewerbungsgesprächen, erzählt Schulz. Dabei aber konnte er sich offensichtlich als geeignet für den „behutsam aber zielstrebig einzuleitenden Generationswechsel“ empfehlen, den Renner und sein Chef Michael Müller derzeit in der hauptstädtischen Kulturszene vorantreiben. Wobei der 1942 geborene Generalmusikdirektor der Staatsoper selbstverständlich bei diesem Großreinemachen außen vor bleibt. „Es ist meine Hoffnung, dass erst Herr Schulz einen Nachfolger für mich finden wird und Jürgen Flimm mich in den nächsten Jahren noch weiter dirigieren lässt“, scherzt der bestens aufgelegte Barenboim. Offiziell läuft sein Vertrag bis 2022, de facto natürlich so lange, wie er es selber will.
Matthias Schulz hat in den Vorgesprächen dennoch einen „riesigen Gestaltungsspielraum“ ausgemacht, der ihn an der Staatsoper erwartet. Was er anschließend an ästhetischen Leitlinien ausbreitet, bewegt sich allerdings doch sehr in den Bahnen des allgemeinen Kunstkonsens: „Barrierefrei“ soll sein Programm sein, mit jeweils einem assoziativen Schlagwort als rotem Faden der Saison. Bewährte Regiekräfte will er mit neuen Namen mischen, das Kernrepertoire pflegen und zugleich weniger Vertrautes aus dem französischen wie dem slawischen Raum anbieten, möglichst alljährlich eine Uraufführung herausbringen, die Barockmusik pflegen. Und die Nachwuchsarbeit wichtig nehmen, sowohl im professionellen Bereich durch die Stärkung des Opernstudios wie im Jugendbereich, wo ihm die Gründung eines Kinder-Opernorchesters vorschwebt.
Mit Konzepten sei das ja so wie mit den Ideen der Regisseure, kommentiert Barenboim trocken. Zuerst klinge immer alles ganz toll, doch wenn die Proben losgehen, erkennt man wenig davon wieder. Was aber auch die Möglichkeit einschließt, dass sich etwas, das zunächst ziemlich durchschnittlich klingt, sich dann doch unerwartet aufregend entwickelt.

Frederik Hanssen

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