Zum Tod von Bert Neumann: „Wer bleibt in der Rosa Luxemburg-Straße, der Sex-Shop oder wir?“
Bert Neumann, der langjährige Bühnenbildner und Chefdesigner der Berliner Volksbühne, ist überraschend gestorben. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir noch einmal ein Tagesspiegel-Interview vom April.
Der Bühnenbildner Bert Neumann ist am Donnerstag im Alter von 54 Jahren gestorben. Er war über Jahrzehnte der kreative Partner von Volksbühnen-Intendant Frank Castorf und ein Revolutionär in der Theaterwelt. Das folgende Interview mit Neumann stammt vom April.
Herr Neumann, Sie und Frank Castorf haben die Volksbühne seit 1992 entscheidend geprägt. Der Berliner Senat findet, dass damit in zwei Jahren Schluss sein soll und man die Volksbühne „neu denken“ müsse. Muss man?
Die Volksbühne ist ein Ort, an dem sehr anders gedacht wird als in einer Kulturverwaltung oder an anderen Theatern. Das hat damit zu tun, dass hier ein Künstler als Intendant fungiert, kein Manager. Hier werden die Strukturen aus Sicht der Kunstproduzenten gedacht, das macht die Volksbühne einigermaßen solitär.
Andere Theater, zum Beispiel das Berliner Ensemble oder die Schaubühne, werden auch von Regisseuren geleitet.
Es gibt auch viele Kunsthandwerker in dem Feld. Für mich ist jemand wie Castorf in der deutschen Theaterlandschaft einzigartig. An der Volksbühne kann man selbstbestimmt arbeiten. Das war für manche Regisseure schwierig. Wenn man mit selbstständig denkenden und teilweise auch aufmüpfigen Schauspielern nicht klarkommt, hat man hier nichts verloren. Das ist ein Riesenunterschied zu allen Theatern, die ich kenne.
Sie haben jetzt auch wieder relativ gute Besucherzahlen.
Wir könnten sicher effizienter produzieren. Aber mich interessiert erst mal der künstlerische Mehrwert, nicht die größtmögliche Effizienz. Als wir hier angefangen haben, war in Berlin-Mitte vieles möglich. Wir kamen in einer eher runtergekommenen Gegend an ein relativ kaputtes Theater und haben nach unseren eigenen Regeln gespielt. Leider Gottes funktionieren Künstler in solchen Prozessen als Gentrifizierungs-Pioniere. Jetzt ist die Gegend durchgentrifiziert. Wir wollen nicht so schick sein wie die ganzen Galerien in der Nachbarschaft und zum Soho-House am Rosa-Luxemburg-Platz werden. Offenbar will die Politik die Volksbühne jetzt an die Umgebung angleichen. Man kann die Entscheidung, Castorfs Intendanz zu beenden, als Teil dieses Gentrifizierungsprozesses verstehen.
Hat Sie diese Entscheidung überrascht?
Ehrlich gesagt hätte mich eine andere Entscheidung gewundert. Kulturpolitiker wollen Intendanten, die eine ähnliche Sprache sprechen wie sie selbst. Im Neoliberalismus sind Mobilität und Flexibilität die höchsten Güter. Wir wollten lieber etwas immobil und unflexibel bleiben. Nur so kann sich über einen längeren Zeitraum etwas Besonderes entwickeln.
Chris Dercon, der als Castorfs Nachfolger gehandelt wird, ist ein renommierter Museumsleiter. Er steht nicht zwangsläufig für eine gentrifizierte Volksbühne, oder?
Das kann ich nicht beurteilen, ich kenne ihn nicht. Angeblich soll er etwas von Theater verstehen, weil er in München Schlingensief ausgestellt hat. Zu dem Zeitpunkt war Christoph Schlingensief allerdings schon sehr durchgesetzt. Als er an der Volksbühne seine ersten Arbeiten gemacht hat, gab es dagegen massive Widerstände. Wir fanden Christoph Schlingensief als Künstler, auch als jemand, den man nicht steuern kann, sehr außergewöhnlich. Deshalb waren uns diese Widerstände egal. Ich weiß nicht, ob Dercon ihn damals schon kannte und in sein Museum eingeladen hätte.
Ich will was machen, wo ich selber Chef bin
Was haben Sie gegen Museumsdirektoren? Gerade Sie stehen dafür, dass sich die Volksbühne immer wieder zu bildender Kunst öffnet. Sie haben Jonathan Meese eingeladen, ein Bühnenbild für eine Castorf-Inszenierung zu machen.
Damals war Jonathan Meese noch nicht so bekannt. Ich hatte Sachen von ihm in einer Ausstellung gesehen, die ich gut fand. Aber ich versuche nicht rauszukriegen, was gerade angesagt ist. Sondern ich schaue einfach hin, ohne dass mir jemand sagt, was man jetzt gut finden muss. Das finde ich das Schwierige an diesen ganzen Kuratoren. Ihr Beruf ist es, dem Publikum zu sagen, was es gut finden muss, und welche Trends jetzt wichtig sind. Richard Sennett beschreibt, dass das bürgerliche Publikum seiner eigenen Wahrnehmung, den eigenen Gefühlen nicht traut und der Lenkung bedarf. Dafür wurde im 19. Jahrhundert das Programmheft erfunden, das dem Publikum erklärt, wie es das Theater zu finden hat. Deshalb haben wir irgendwann Programmhefte mit leeren Seiten gemacht. Der Kurator ist wie eine Fortsetzung des Programmhefts – ein Qualitätslabel, das dem Zuschauer die Mühe abnimmt, selber rauszukriegen, was ihm gefällt. Die Frage ist, leistet man sich eine eigene Meinung oder hängt man sich an den Markt.
Hat das System Volksbühne seine Möglichkeiten nach zweieinhalb Jahrzehnten nicht ausgeschöpft?
Ich hätte nie gedacht, dass ich so lange an dem Haus bleibe. Für mich hat sich da immer wieder was Neues entwickelt, gerade in der Kontinuität der Zusammenarbeit. Mit Frank Castorf oder Christoph Schlingensief oder René Pollesch verbindet mich mehr, als dass wir alle hier gearbeitet haben und arbeiten. Dieses Haus ist nicht homogen. Dem Stadttheater ist, wie jedem Apparat, das Bedürfnis eingeschrieben, reibungslos zu funktionieren. Zu unserem Kunstbegriff gehört, das reibungslose Funktionieren zu stören. Wir sind keine Dienstleister für störungsfreie Abendunterhaltung. Jetzt will man hier offenbar lieber Dienstleister, die genau wissen, was gerade in der Kunstwelt angesagt ist. Ich kriege immer Depressionen, wenn ich in Kunstzeitschriften blättere. Ich will eigentlich gar nicht so genau wissen, was die anderen machen. Das hilft mir nicht in der Arbeit. Ich finde nicht, dass man unbedingt den Ehrgeiz haben muss, sich bei allen angesagten Kunstrichtungen auszukennen und sich daran womöglich auch noch zu orientieren. Jedenfalls wäre ich so arrogant zu sagen, ich weiß selbst, was ich gut finde. Deshalb arbeite ich mit Künstlern zusammen und nicht mit Kuratoren.
Was machen Sie, wenn hier in zwei Jahren Schluss ist?
Es wäre schön, wenn man die Freiräume, die man hier hat, weiter verteidigt, indem man immer wieder Projekte anschiebt, die das übliche Normalmaß überschreiten. Wenn das hier zu Ende ist, muss ich mir genau überlegen, was ich machen will. Ich habe relativ wenig Lust, mich in den Schoß des Stadttheaters zu begeben. Ich will was machen, wo ich selbst der Chef bin, das kann auch was Kleines sein. Ich überlege, ob ich ein Tattoo-Studio aufmachen soll.
Tim Renner ist optimistisch, dass Castorf der Stadt als Regisseur erhalten bleibt.
Bestimmt nicht an der Volksühne. Das ist unser Laden, den haben wir gemacht. Keiner von den Künstlern, die das Haus prägen, wird hier unter irgendeinem Kurator arbeiten, weder René Pollesch noch Frank Castorf noch die Schauspieler und ich sicher auch nicht. Offenbar ist die Erwartung in der Politik die, dass sie hier einen neuen Intendanten installiert, und dann können ja Pollesch oder Castorf oder Fritsch oder ich hier ab und zu mal was zeigen. Das verfehlt natürlich den Kern dessen, was wir hier machen. Diejenigen, die jetzt hier arbeiten, werden mit einem Kurator als Intendanten diesem Theater verloren gehen, auch aus Loyalität dem gegenüber, was hier passiert ist. Es wäre einfach nicht möglich, unter einem Nachfolger von Castorf hier zu arbeiten.
Wie geht es weiter an der Volksbühne?
In der nächsten Spielzeit, die ja unsere letzte sein sollte, finde ich es richtig, noch mal Sachen auszuprobieren, die woanders nicht gehen. Was mich interessiert, ist, über die Trennung zwischen Zuschauerraum und Bühne nachzudenken. Wie kann man da eingreifen, mit diesem riesigen Portal? Da die Perspektive zu wechseln, kann interessant sein. Es wird eine Intervention in den Raum geben.
Und weil die Berliner Kulturpolitik etwas konfus ist, hängen sie an die letzte Spielzeit noch eine dran?
Das ist jetzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen: Wer bleibt als Letzter in der Rosa Luxemburg-Straße, der Sex-Shop oder wir. Im Augenblick sieht es so aus, als würde der Sex-Shop gewinnen.
Bert Neumann hatte einen starken Hang zum Gesamtkunstwerk. 1960 in Magdeburg geboren, verkaufte er schon zu DDR-Zeiten selbst entworfene Modeartikel. Und genau das ist auch die Volksbühne durch seine Handschrift geworden: eine starke Marke und ein Haus mit eigenem Charakter, wie es kein zweites gibt. Neumann war ein Raumkünstler. Er schuf für Frank Castorfs Inszenierungen die berühmten, oft nachgeahmten Container. Außerdem arbeitete er mit René Pollesch, Christoph Schlingensief, Peter Konwitschny, Leander Haußmann, Johan Simons.