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Für den Weltfrieden und den Tierschutz, gegen Machismo und Langeweile. Der britische Sänger Morrissey, 55. Foto: Travis Shinn/Universal
© Universal

Morrisseys neues Album: Ein Licht, das niemals ausgeht

Abenteuer und Exzentrik: Nach fünf Jahren des Wartens kommt am Freitag Morrisseys zehntes Soloalbum „World Peace Is None Of Your Business“ heraus.

Als Morrissey vergangenes Jahr seine Autobiografie veröffentlichte, genauso schlicht wie prätentiös „Autobiography“ betitelt, war das für den britischen Sänger ein Erfolgserlebnis, das er mit seiner Musik länger nicht mehr hatte. Sofort stand das beim britischen Traditionsverlag Penguin Classics erschienene Buch auf Platz eins der Bestsellerlisten – bei Amazon und in den analogen. Was insofern kein größeres Wunder war, als dass Morrissey als selbst ernannter „Prophet des vierten Geschlechts“ in seiner Autobiografie erstmals Geschichten aus seinem Intimleben zum Besten gibt, von einer pubertierenden Schwärmerei für den Schlagzeuger der New York Dolls bis hin zu seiner allerersten Beziehung, die er im Alter von 35 Jahren mit dem Fotografen Jake Wilson hatte.

Seit dem Ende der Smiths in den späten achtziger Jahren, Morrisseys Band, die für die Briten im Nachhinein mindestens so wichtig war wie die Beatles, wird jede außermusikalische Regung und Äußerung des inzwischen 55-jährigen Sängers genauso aufmerksam registriert und heftig diskutiert wie seine Soloalben, wenn nicht gar intensiver. Zuletzt ließ er sich während einer Südamerika-Tour über die Falklandinseln aus: „Jeder weiß, dass die Inseln zu Argentinien gehören“, und bei dem Gig in Buenos Aires soll seine Band in T-Shirts mit dem Aufdruck „I hate Kate and William“ aufgetreten sein.

Im vergangenen Jahr wollte er nicht nur der verstorbenen Maggie Thatcher keine Träne nachweinen, sondern auch keinen Jota von dem auf seinem ersten Soloalbum „Viva Hate“ von 1988 veröffentlichten Stück „Margaret On The Guillotine“ abrücken, von Zeilen wie „The kind people / Have a wonderful dream /Margaret on the Guillotine / Cause people like you / Make me feel so tired / When will you die? When will you die? When will you die?“

Morrissey versteht es, die Briten bei Laune zu halten, im Guten wie im Schlechten. Wenngleich schon lange wahlweise in Kalifornien oder Südeuropa lebend, ist er ein Nationalheiligtum, genauso verhasst wie geliebt und verehrt, für seine Exzentrik, seine Unberechenbarkeit, seine Empfindsamkeit – und dafür braucht es schon lange keine überzeugenden Popsongs mehr.

Morrissey sieht lieber den Stierkämpfer sterben als den Stier

Fünf Jahre nach „Years of Refusal“ kommt an diesem Freitag nun seine zehntes Soloalbum heraus, „World Peace Is None Of Your Business“. Während der Titel allein eine schöne Provokation ist – wer lässt sich schon gern sagen, nicht den Weltfrieden zu wollen? –, stellt sich der dazugehörige, musikalisch nur schwer vom Fleck kommende, balladesk-gniedelrockende Auftaktsong des Albums inhaltlich ambivalenter, undurchsichtiger dar. Man kann ihn als Abrechnung mit dem wohlstandssatten Klein- und Durchschnittsbürger verstehen, der sich nur um sich selbst kümmert und endlich mal seine Nase aus dem Fenster stecken soll; der nicht nur bloß wählen gehen, sondern gucken soll, was draußen in der Welt passiert, in Ägypten, in der Ukraine und anderswo. Vom Wahlvieh zum Revolutionsvieh gewissermaßen, so stellt sich Morrissey das wohl vor: „Sei kein kleiner Narr mehr!“ schließt er, um kurz darauf, im nächsten Song, eine Ode auf die literarische Beat Generation anzustimmen und zu fragen: „Victim? Or life’s adventurer? Which of the two are you?“

Ja, und wer will schon Opfer sein? Morrissey bevorzugt natürlich das Abenteuer, im Leben wie in der Kunst. Nur stellt sich dieses Abenteuer auf „World Peace Is None Of Your Business“ auf dem Papier, also in den Texten, aufregender dar als in der Musik, die wenig vom Hocker reißt, geschweige denn, dass Morrissey irgendwelche Wagnisse eingeht.

Morrissey ist froh darüber, kein Mann zu sein, zumindest keiner im Machismo-Sinn; er hat Mitleid mit der Erde als einsamster Planet des Universums; oder zeigt sich – auch das eines seiner Lieblingsthemen – als überzeugter Tierfreund, der lieber dem Stierkämpfer beim Sterben zusieht als dem Stier: „The bullfighter dies / And nobody cries / Because we all want the bull to survive.“

Wäre da nicht diese unverwechselbar wehklagende, jammernde, jaulende Bariton-Stimme, würden jedoch Morrisseys Gitarren-Pop- oder Rocksongs kaum weiter auffallen, so schlicht sind diese. Immerhin: Im Vergleich zu „Years of Refusal“ ist das Morrissey sowieso nicht so gemäße Groß- und Powerrockige zurückgefahren worden, die Mid-Tempo-Stücke klingen dezenter, feiner, weniger aufbauschend, plauschig, flauschig poppig. Da zwitschern hier ein paar Bläser, da führt durch einen Song eine Flamenco-Gitarre, und da gibt es mit „Kiss Me A Lot“ gar ein Stück, das an die legendären Smiths-Zeiten erinnert, so zauberhaft ist es, so schön verbindet es Widerstreitendes wie Glück und Melancholie.

Danach läppert es etwas aus. Das letzte Viertel des Albums präsentiert fast mehr Skizzen als echte Songs, und es dominieren sehr, sehr allgemeingültige Phrasen, zum Beispiel, dass die Guten aussterben oder die Lebensrhythmen immer die gleichen sind. „There Is A Light That Never Goes Out“ heißt einer der schönsten Smiths-Songs aller Zeiten, und dieses Album, so unspektakulär es ist, beweist, dass Morrissey sich genau an diese Devise zu halten gedenkt. 

„World Peace Is None Of Your Business“ von Morrissey erscheint am Freitag bei Harvest/Universal

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