Keith Richards wird 70: Ein geiles, kaputtes und unglaubliches Leben
Keith Richards, der große Gitarrist der Rolling Stones, wird 70 Jahre alt. Ein wenig erstaunlich ist das schon nach all den Tourneen und Partys, Platten und Abstürzen. Bei einem so wilden Leben muss er einen Schutzengel haben.
Die Meldung ging damals um die Welt und warf viele Fragen auf. Weil Keith Richards 1998 in der Bibliothek seines Hauses in Connecticut von der Leiter gestürzt war, musste die „Bridges to Babylon“-Tournee der Rolling Stones verschoben werden. Was hatte Keith Richards da gesucht? Eine versteckte Flasche Bourbon? Oder sollte das nur eine vorgeschobene Ausrede gewesen sein?
Tatsächlich steckt in dieser Geschichte eine Menge Wahrheit. Erstens: Ein Rockstar lebt gefährlich, zumal wenn er Keith Richards heißt. Zweitens: Ein echter englischer Superstar hat ein Domizil in Amerika. Drittens: Die Rolling Stones verdienen schon seit vielen Jahren das ganz große Geld mit Live-Auftritten. Und schließlich: Keith Richards liebt Bücher, er ist ein Bibliomane. Wie diese andere Meldung beweist, die vor einem halben Jahr die große Runde machte: Keith Richards schuldet der öffentlichen Bibliothek in Dartford, Kent, angeblich 20 000 Pfund Strafgebühren für Bücher, die er vor 50 Jahren ausgeliehen hat.
Konflikte mit der Polizei und den Drogengesetzen in diesem oder jenem Land ziehen sich durch seine Karriere. Während Mick Jagger seit Jahren auf bio und Fitness macht, hat Keith Richards sein Image als Wüstling stets gepflegt. In „Life“, seiner zusammen mit dem Journalisten James Fox geschriebenen Autobiografie, erzählt er ausführlich von Erfahrungen mit Heroin und all dem Zeug. Das Buch, 2010 erschienen und 700 Seiten stark, war eine angenehme Überraschung. Keith, die coole Sau, schaut ohne Koketterie auf sein geiles, kaputtes, unglaubliches Leben: „Ich bewegte mich in den obersten Kreisen, und trotzdem war ich ganz weit unten.“ Immer wieder Probleme mit Jaggers Super-Ego. Aber die Stones haben durchgehalten. Auch wenn sie keine Band mehr sind wie in den Sechzigern, die zusammen rumhängt, vielmehr eine Firma, deren Frontmänner sich gelegentlich treffen, um ein Album aufzunehmen und auf Tour zu gehen.
Wen Stein das Urmaterial von Rock ist, dann ist Keith Richards der Meißel
Sie sind die Allerletzten aus der Zeit, als die britische Welle den Globus überrollte. Keine Beatles mehr, auch kein Led Zeppelin. Die Rolling Stones haben heute einen Weltkulturerbe-Status wie die Findlinge von Stonehenge, und dass die Geschichte gehalten hat, liegt auch an Keith Richards. Er ist am Ende doch der ruhende Stein, der Fels in der Brandung. Sehr schön kann man das sehen in Martin Scorseses Konzertfilm „Shine a Light“ (2008) – wie Jagger stakst und rennt und hampelt und auftrumpft. Und wie Richards unerschütterlich dasteht, mit seiner Gitarre und der ewigen Kippe.
Niemand sonst spielt solche Intros und Riffs: „Start Me Up“, „Brown Sugar“, „Honky Tonk Women“. Wenn Stein das Urmaterial der Rockmusik ist, dann ist Keith Richards der Meißel. 70 Jahre alt wird er am heutigen Mittwoch, und das ist wirklich ein Datum, nach all den Tourneen und Partys und Platten und Unfällen und Abstürzen und Gipfelbesteigungen. Faltig wie eine Echse sieht er aus. Er muss einen Schutzengel haben. Oder die Götter hatten sich damals schon satt gegessen an Janis und Jimi und Brian Jones, dem früh verstorbenen Rolling Stone.
Geboren wird Keith Richards 1943 in jenem Dartford an der Themse, während eines Angriffs der deutschen Luftwaffe. Seine frühesten Erinnerungen kreisen um zerstörte Straßen in London. Er schreibt: „Als Einzelkind ist man gezwungen, sich eine eigene Welt zu erfinden.“ Der Vater ist Drucker, die Mutter arbeitet im Büro. Mit neun oder zehn Jahren bekommt Keith zum ersten Mal eine Gitarre in die Hand, er ist begeistert von den Instrumenten in Walt Disneys Film vom „Zauberlehrling“. Seine erste Platte ist von Little Richard. Dann geht es zur Kunsthochschule. 1961 begegnet er Mick, und die Sache kommt ins Rollen.