Die Stones: Keith Richards Memoiren
Keith Richards veröffentlicht seine Memoiren: "Life" erzählt vom Überleben im Rock-Business.
Die Gitarre ist für Keith Richards eine Geliebte. Seine erste Gitarre bekam er von seiner Mutter geschenkt, als er 15 war. Er hat sie so lange nicht aus der Hand gegeben, bis er sein erstes Stück spielen konnte. Richards’ Autobiografie trägt den schlichten Titel „Life“, sie ist auch eine Liebeserklärung: an das Instrument, das ihn reich und berühmt gemacht hat. „Glaub bloß nicht, dass du Townshend oder Hendrix wirst, nur weil du wee wee wah wah machen kannst“, mahnt er. „Erst mal muss man das Mistding richtig kennenlernen.“ Der Ratschlag des Rolling Stones-Gitarristen an alle künftigen Rockstars lautet: Ihr müsst üben, üben, üben. Von morgens bis abends spielen und dann mit der Gitarre einschlafen. „Wenn gerade kein Mädchen greifbar ist, gehst du mit ihr ins Bett. Sie hat sogar die richtige Form.“
4,8 Millionen Pfund soll Keith Richards für seine Memoiren bekommen haben, die er mit dem Schriftsteller James Fox zu Papier gebracht hat. Für den Verlag dürfte das eine gute Investition gewesen sein, denn das Buch, das in dieser Woche gleichzeitig in England, den USA und Deutschland herauskommt, führte bereits vor seiner Veröffentlichung die Bestsellerliste des Internethändlers Amazon an. Richards wird im Dezember 67 Jahre alt, er gehört zu den großen Überlebenden des Rock ’n’ Roll. Sein Leben bietet Stoff genug für mehr als 700 Buchseiten.
Richards erzählt sprunghaft und anekdotenreich, er schreibt über seine Liebe zum Blues, erinnert sich an Begegnungen mit Idolen wie Little Richard, Chuck Berry oder Muddy Waters, berichtet über Drogensucht, Liebesaffären und Abstürze. Die wichtigste Konstante dieses Lebens, das wird bei der Lektüre schnell klar, ist die Zusammenarbeit mit Mick Jagger. Richards und Jagger haben sich selber den Spitznamen „Glimmer Twins“ gegeben. Seit fast einem halben Jahrhundert bilden sie das Zentrum der Rolling Stones, sie sind das erfolgreichste Kreativduo der Popgeschichte neben John Lennon und Paul McCartney. Aber Freunde sind sie schon lange nicht mehr. „Früher hing ich gern mit Mick rum, aber ich glaube, ich war schon seit zwanzig Jahren nicht mehr in seiner Garderobe“, schreibt Richards. „Manchmal vermisse ich meinen Freund. Wo zum Teufel ist er hin?“ Die Beziehung von Richards und Jagger erinnert an ein alterndes Ehepaar, das nicht mehr voneinander loskommt. Inzwischen sind die Rolling Stones offenbar mehr ein Geschäftsmodell als eine Band.
Keith Richards stammt aus einfachen Verhältnissen, bisweilen scheint er selber darüber zu staunen, wie weit er es gebracht hat. Er wird 1943 in Dartford geboren, einem ärmlichen Vorort von London. Sein Vater ist Drucker, die Mutter arbeitet im Büro. Keith wird verspottet und verprügelt, weil er klein und schmächtig ist. Als er von der Schule fliegt, wechselt er auf das Sidcup Art College, eine Kunstschule. Dann hört er „Heartbreak Hotel“ von Elvis im Radio. „Diese Zeile, ,Since my baby left me’, diese paar Takte – das war die Initialzündung.“
Bald darauf kommt es am Bahnhof von Dartford zu einer historischen Begegnung. Keith Richards hat eine Platte von Chuck Berry dabei und wird von Mick Jagger angesprochen, der noch ein paar Platten mehr unterm Arm trägt. „Er hatte das echte Zeug. Und ich keine Ahnung, wie ich drankomme“, erinnert sich Richards. Sie steigen in den Zug und sprechen über ihre Blues- und Rock’n’Roll-Götter. Jagger ist schon ein halber Londoner, er studiert an der London School of Economics. Richards fühlt sich im Vergleich dazu „wie ein Dorftrottel“. Am Ende der Fahrt verabreden sie, demnächst gemeinsam Musik zu machen. Ein paar Monate später gabeln sie in einem Jazzclub den Gitarristen Brian Jones auf. Als sie im Juli 1962 zu ihrem ersten Live-Gig eingeladen werden, brauchen sie einen Namen. Die Wahl fällt auf einen Titel von Muddy Waters: The Rolling Stones.
Das Repertoire der frühen Rolling Stones besteht aus Blues-Standards, Stücken wie „Doing the Crawdaddy“ oder „Got My Mojo Working“. Für Richards hat die Musik bis heute nichts von ihrer Magie verloren. „Da sitzt du mit ein paar Leuten zusammen, spielst deine Songs und denkst dir: ,Ooh yeah!’ Es gibt nichts Größeres als dieses Gefühl. Da kommt dieser Moment, wo du merkst, dass du tatsächlich gerade ein bisschen von der Erde abhebst und dass dir niemand was anhaben kann. Das ist wie Fliegen ohne Pilotenschein.“
Begeistert erinnert sich der Gitarrist an den eiskalten Winter 1962/63, den er mit Mick Jagger und Brian Jones – Bassist Bill Wyman und Schlagzeuger Charlie Watts stoßen erst später dazu – in einer runtergekommenen Wohnung in Fulham damit verbringt, den Blues so zu spielen, wie er auf den Platten des Chess-Labels aus Chicago klingt. Was sie zum Leben brauchen, klauen sie im Supermarkt. „Wir waren Anti-Pop, wir wollten nichts weiter als Londons beste Bluesband sein und den Pennern zeigen, was Sache ist.“
Die Rolling Stones werden tatsächlich schnell die berühmteste Bluesband der Stadt, die Decca, die kurz zuvor noch die Beatles abgelehnt hatte, gibt ihnen einen Plattenvertrag. Bereits die erste Single „Come On“ wird ein Hit. Bis 1966 stehen die Stones fast ununterbrochen auf der Bühne. Sie geben zweitausend Konzerte, in drei Jahren haben sie zehn freie Tage. Um den Stress auszuhalten, beginnt Richards, Drogen zu nehmen. Er fängt mit Hasch und Speed an und landet beim Heroin.
Irgendwann sperrt ihr Manager Andrew Loog Oldham Richards und Jagger in einer Küche ein und sagt: „Wenn ihr rauskommt, habt ihr einen Song.“ So entsteht „As Tears Go By“, ihre erste Komposition. Das Songschreiben, behauptet Richards, ist gar nicht schwer. „Du musst in etwa wissen, wo es langgeht, dann kommt der Rest von selbst. Als hättest du einen Samen gepflanzt, gibst ein bisschen Wasser dazu, und hey, plötzlich guckt das Pflänzchen aus der Erde und sagt: Bin ich nicht schön?“ „Satisfaction“ fällt ihm buchstäblich im Schlaf ein. Er nimmt die Rohversion nachts auf einem Kassettenrekorder auf, der neben dem Bett steht. Als er am nächsten Morgen auf die Rewind-Taste drückt, hört er zunächst den Song und dann vierzig Minuten lang sein Schnarchen.
Brian Jones hatte die Rolling Stones für seine Band gehalten, er konnte es nicht verkraften, dass Jagger und Richards ihn an den Rand drängten. „Das Komische an Brian war sein Größenwahn“, schreibt Richards. Bei einer Amerikatournee spitzen sich die Auseinandersetzungen zu. Die Rolling Stones haben genug von den Sprüchen ihres ehemaligen Anführers: „Ach halt doch die Klappe, Brian.“ Im Juni 1969 werfen sie den Gitarristen aus der Band, einen Monat später ertrinkt er vollgepumpt mit Drogen in einem Swimmingpool.
Was Richards über Brian Jones schreibt, wirkt ziemlich kalt und gnadenlos. Die späten sechziger und frühen siebziger Jahre, in denen die herausragenden Alben „Beggars Banquet“, „Let It Bleed“ und „Exile On Main Street“ entstehen, sind die beste Phase der Band. Zu verdanken hat der Gitarrist seine Kreativität auch den Drogen. „Auf Heroin ackert und ackert man weiter, bis man die Lösung gefunden hat“, bilanziert er. Er hat das Heroin nicht in eine Armvene, sondern in den Gesäßmuskel gespritzt. So vermeidet er Narben, und der Flash hält länger an. Ihre größte Krise durchleben die Stones in den achtziger Jahren, als Mick Jagger mit seinen Soloplatten ein größerer Star als Michael Jackson werden will. In dieser Zeit schlägt Charlie Watts den Sänger mit einem Faustschlag zu Boden, als er ihn „meinen Schlagzeuger“ nennt. Ruhestand? Den gibt es nicht für Keith Richards. „Ich kann mich erst zur Ruhe setzen, wenn ich den Löffel abgebe.“
Keith Richards mit James Fox: Life. Aus dem Englischen von Willi Winkler, Wolfgang Müller und Ulrich Thiele. Heyne, München 2010, 735 S., 26,99 €.
Seit ihrer Gründung 1962 sind die Stones der Inbegriff dafür, dass Rock ’n’ Roll nie stirbt. „Come On“ war 1963 ihre erste Single. 1964 erschien das StonesDebütalbum, auf dem Foto oben: Mick Jagger und Richards, 1977. Unten: Richards, 30 Jahre
später, wie immer
mit seiner Telecaster.
Zuletzt erschien 2008 „Shine A Light“ und 2009 die remasterte Version ihres Albums „Exile On Main Street“.
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