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Semper Augustus, 1993. Die teuerste Tulpe des 17. Jahrhunderts ist heute ein Massenprodukt, das zur Veredelung der neuen Zwiebeln geköpft wird. Für diese Tulpen auf dem Foto von Marieken Verheyen (1993), das heute im Frans Hals Museum in Haarlem hängt, hätte man im 17. Jahrhundert ein ganzes Stadtviertel kaufen können.
© Marieken Verheyen

Tulpenfieber: Ein ganzes Haus für eine Zwiebel

Die Tulpe kam über Afghanistan, Persien und die Türkei nach Europa und wurde rasch zum Luxusobjekt. 1637 stürzte die Spekulation mit Tulpen die Niederlande ins wirtschaftliche Chaos

„Das Murmeln eines kühlen Baches//Vogelgesang, in Mengen reife Früchte, //leuchtende bunte Tulpen und duftende Rosen“, beschrieb der Perser Musharrifu’d-din Sa’di bereits 1258 in seinem Gedicht „Gulistan“ einen Garten, in dem mehrfarbige Tulpen standen. In Afghanistan wachsen sie heute noch wild in den Bergen. In Persien und im Osmanischen Reich war die Tulpe eine am Hofe geschätzte Blume, lange bevor sie in Europa bekannt wurde. Bis ins 15. Jahrhundert müssen es aber wildwachsende Tulpen gewesen sein, die die Dichter durch ihre Farbenvielfalt begeistert haben. Sogar ein Gefecht soll der indische Großmogul und Dynastiegründer Babur im 16. Jahrhundert unterbrochen haben, um auf dem Schlachtfeld neue Tulpenvarianten zu begutachten.

Ogier Ghislain de Busbecq, Botschafter Kaiser Ferdinands I. am Hofe von Suleiman dem Prächtigen, bemerkte Mitte des 16. Jahrhunderts auf einer Reise nach Konstantinopel „überall eine Fülle von Blumen – Narzissen, Hyazinthen und jene, die die Türken Tulipam nennen, – sehr zu unserem Erstaunen, denn es war fast Mitte des Winters, eine für Blumen unfreundliche Saison. Die Tulipam jedoch haben wenig oder gar keinen Duft, werden aber für die Schönheit und Vielfalt ihrer Farben bewundert. Die Türken schenken der Kultivierung von Blumen große Aufmerksamkeit, und zögern nicht, obwohl sie weit davon entfernt sind, extravagant zu sein, einiges für jene, die schön sind, zu bezahlen.“

Ein Diplomat brachte die Tulpe erst nach Wien

Das alles klingt noch nicht nach Tulpenwahn oder „Tulpenfieber“, wie der gerade in den Kinos laufende Film heißt, der die spannende Geschichte der ersten großen Spekulation eher als bloße Kulisse für eine Liebesgeschichte nutzt. Dabei bietet die Geschichte des Tulpenwahns reichlich Stoff.

Busbecq bekam einige Samen geschenkt, nahm sie mit nach Wien und wohl auch zu wohlhabenden Freunden nach Flandern und Frankreich. Bereits wenige Jahre später sah der Schweizer Botaniker Conrad Gesner im Garten eines Augsburger Patriziers Tulpen blühen. Gesner war es auch, der 1561 die erste Abbildung einer Tulpe in einem westeuropäischen Buch veröffentlichte, „De Hortis Germaniae Liber“. Tulipa gesneriana wurde später der Sammelbegriff für alle Gartentulpen.

Satire auf den Tulpenwahn von Jan Brueghel (II) von 1640. Brueghel zeigt Affen als listige Tulpenhändler, die ihr Geschäft machen.
Satire auf den Tulpenwahn von Jan Brueghel (II) von 1640. Brueghel zeigt Affen als listige Tulpenhändler, die ihr Geschäft machen.
© René Gerritsen-Kunst en Onderzoeksfotografie/FransHalsMuseum Haarlem

Missverständnisse blieben anfangs nicht aus. Ein Antwerpener Kaufmann hatte seine kostbare Zwiebelladung, die er mit einer Sendung Tuch aus Konstantinopel bekommen hatte, geschält, geröstet und verspeist, ein deutscher Apotheker gar kandiert und als Süßigkeiten verkauft, „kandierten Orchideenzwiebeln weit überlegen“. Leichte Verwirrung gab es auch wegen des Namens. Der türkische und persische Name für Tulpe ist Lale, während dulban oder Tüllband die Kopfbedeckung jener Länder umschrieb. Wahrscheinlich hat Busbecq seinen Übersetzer missverstanden, als dieser den Umriss einer Lale mit der eines Turbans verglich.

Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts war die Tulpe eine Kuriosität, eine Preziose, die die Adeligen in ihren Kunstkammern sammelten, neben wertvollen Mineralien, Muscheln und sonstigen Exotika. So verwundert es nicht, dass 1561 schon Tulpen in den Gärten der Fugger blühten. Man war reich und auf der Höhe der Zeit. Die Tulpe überraschte durch klare Formen und Farben, man schätzte sie als lebendes Kunstwerk im Garten und steckte sie in eigens entwickelte Vasen.

Dass die Tulpe zum Symbol der Niederlande wurde, ist dem Botaniker Carolus Clusius zu danken, der 1593 von Wien an die Universität Leiden wechselte, um dort den Botanischen Garten zu verwalten. Clusius, Hofbotaniker der Habsburger, hatte seine kostbare Zwiebelsammlung mitgenommen und im Botanischen Garten in Leiden im Herbst eingepflanzt. Die Blüte im Frühjahr 1594 wird nun als Beginn der niederländischen Tulpenzucht gefeiert, denn Clusius war es, der die Tulpen vermehrte. Der Botaniker wachte eifersüchtig über seinen Schatz, für den sich bald auch andere interessierten. Er widerstand hohen finanziellen Angeboten und verkaufte keine seiner Zwiebeln. Dass aus diesem limitierten Bestand dennoch so schnell die Tulpe über die Niederlande Verbreitung fand, wird in der Literatur auch durch die schlichte Tatsache erklärt, dass man dem Besitz des standhaften Clusius nächtens in seinem Garten zu Leibe rückte und die eine oder andere Zwiebel ausgrub und mitgehen ließ – woraufhin Carolus Clusius allmählich das Interesse an der Tulpenzucht verloren haben soll.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts verdrängt die Tulpe die Rose

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts verdrängte das schlichte Zwiebelgewächs für eine Zeit lang sogar die wohlriechende Rose. Tulpen waren in Mode. Der Gärtner Charles I. züchtete schon 50 Sorten in den königlichen Gärten in England, und bereits um 1610 trugen die modebewussten Hofdamen in Frankreich Tulpen im Dekolleté. Innerhalb kürzester Zeit erreichten deren Zwiebeln in Frankreich fantastische Preise. Man sammelte sie und gab ein Vermögen dafür aus. Ein Müller war bereit, sich für eine Zwiebel der Sorte „Mère brune“ von seiner Mühle zu trennen, während ein enthusiastischer Landsmann seine Brauerei im Werte von 30 000 Francs für eine Zwiebel der Sorte „Tulipe brasserie“ – die zu Ehren dieses Handels so genannt wurde – hergab.

Bald merkten Hobbyzüchter und Liebhaber aber, dass die ausgesäten einfarbigen Tulpen nach einer gewissen Zeit ihre Farbe veränderten: Sie „brachen“, bekamen geflammte Ränder, wurden zweifarbig. Allerdings konnte man nicht vorhersagen, auf welche Art und Weise eine Tulpe einmal „brechen“ würde. So war die Zwiebel im Boden eine Art Überraschungsei. In diesem Effekt lag der ganze Reiz der Zucht – denn jeder Züchter wollte eine ganz individuelle Farbe oder Musterung erzielen, und keine Blume ließ sich so einfach vervielfältigen. Aber letztendlich konnte man das geheimnisvolle „Brechen“ kaum beeinflussen. Heute weiß man, dass die Ursache in einer Viruskrankheit begründet liegt.

Die Niederlande erleben einen Tulpenboom. Über zwei Milliarden werden 2017 produziert, die Hälfte für Deutschland. Eine als Dienstmagd mit Milchkrug verkleidete Frau - nach einem Gemälde von Jan Vermeer - nimmt am 16. Januar, dem Nationalen Tulpentag auf dem Dam-Platz in Amsterdam, Tulpen auf und stellt sie in den Krug.
Die Niederlande erleben einen Tulpenboom. Über zwei Milliarden werden 2017 produziert, die Hälfte für Deutschland. Eine als Dienstmagd mit Milchkrug verkleidete Frau - nach einem Gemälde von Jan Vermeer - nimmt am 16. Januar, dem Nationalen Tulpentag auf dem Dam-Platz in Amsterdam, Tulpen auf und stellt sie in den Krug.
© Evert Elzinga/ANP/dpa

Dass die Tulpe in Frankreich Modeblume war, rief natürlich die geschäftsbewussten Züchter in den Niederlanden auf den Plan. Es entstanden erstklassige Gärtnereien, die ganz auf das Zwiebelgewächs spezialisiert waren. 1623 hatte der Amsterdamer Ratspensionär Adriaan Pauw in seinem Garten eine Vielzahl Tulpen gepflanzt. Für eine einzige Zwiebel der Semper Augustus (mit regelmäßigen roten Streifen auf weißem Grund) verlangte man 1000 Gulden. Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Niederländers betrug damals 150 Gulden. Für eine Zwiebel hätte er 1623 mehr als sechs Jahreslöhne hinlegen müssen. Aber im nächsten Jahr hätte das kleine Vermögen wahrscheinlich nicht gereicht, denn eine Zwiebel des einzig vorhandenen Dutzends Semper Augustus kostete nun 1200 Gulden, also acht Jahresgehälter.

Es wurden Qualitätsklassen eingeführt, wobei man in den damals republikanischen Niederlanden wenig von König oder Vizekönig hielt, sondern den edelsten und teuersten Tulpen lieber den Namen „Admirael“ gab, wobei der Name des Züchters oder Besitzers und der Wohnort zugefügt werden. Admirael Aerssen, Admirael Bogaert, Admirael da Costa oder Admirael van Enckhuysen waren demnach keine zu Ehren gekommenen Seehelden, sondern schlichtweg vier Varianten von mehr als 50 damals bekannten Admiraels-Tulpen mit ganz bürgerlichem, zivilem Hintergrund. Als zweite Klasse wurde darauf der „Generael“ eingeführt, wobei „Generael der Generaelen van Gouda“ etwas ganz besonderes gewesen sein muss.

Alle wittern das große Geschäft mit den Zwiebeln in der Erde

Der Haarlemer Gärtner Jan van Damme eröffnete bald einen Laden für den Direktverkauf und pachtete von einem örtlichen Armenhaus noch Land dazu, um den Nachschub sicherstellen zu können. Keine Gilde kontrollierte das Geschäft, weder Preise noch Qualität. Es war nur eine Frage der Zeit, dass angesichts der astronomischen Gewinne, die aus den schlichten Zwiebeln zu erzielen waren, mancher Handwerker oder kleine Mann den Traum vom schnellen Geld träumte. Diese zweite Generation der Züchter und Händler bestand nicht mehr aus Liebhabern oder wohlhabenden Bürgern, die einen Misserfolg vertragen konnten. Jetzt übten sich Zimmerleute, Metzger, Zuhälter, Studenten, Schuhmacher, Apotheker und Bäcker, Torfträger und Huren in dem Geschäft, das bald zum sogenannten Tulpenwindhandel, der Tulpomanie auswuchs.

Die wertvolle Zwiebel wurde nun nach dem Goldgewicht As verkauft, 20 Asse waren ein Gramm. So kostete 1634 ein As „Admirael van Enckhuysen“ 28 Gulden, ein As Semper Augustus 27,50 Gulden. Mit neun Cent per As war die „Gelbe Krone“ noch die billigste Zwiebel, die, später – als die Spekulation blühte – per Pfund verkauft, innerhalb von kurzer Zeit von rund 20 Gulden auf 1200 Gulden pro Pfund stieg. Der Höhepunkt der Spekulation war Anfang 1637 erreicht. Ein Pfund „Switsers“ kostete am 15. Januar 1637 120 Gulden, am 23. Januar bereits 385 Gulden, am 1. Februar 1400 und einen Tag später 1500 Gulden, am 9. Februar ging der Preis auf 1100 Gulden zurück. Selbst früher als wertlos erachtete Zwiebeln konnten pro Pfund nun für bis zu 800 Gulden verkauft werden, wobei der Jahreslohn, wie gesagt, bei durchschnittlich 150 Gulden lag.

Diese Perspektive stürzte das ganze Land in einen wahren Tulpenwahn. Plötzlich schien für jedermann das ganz große Geld in ein paar Zwiebeln im Boden zu stecken. Wenn sie im Herbst gepflanzt wurden, setzte bereits der Verkauf auf dem Papier ein. Oft wurde eine Partie weiterverkauft, ohne dass Verkäufer und Erwerber jemals eine Tulpenzwiebel zu Gesicht bekamen. Die horrenden Preissteigerungen machten den Handel mit den Papieren attraktiv.

Bald waren die Zahlungen aber nicht mehr in bar zu tätigen, da die Preise zu sehr stiegen. So sollten bei Lieferung von einem Viertelpfund „Weiße Krone“ 525 Gulden gezahlt, sofort aber vier Kühe abgegeben werden. Ein wohlhabender Landwirt zahlte für eine einzige „Viceroi“ 2500 Gulden bei Lieferung sowie 160 Scheffel Weizen, 320 Scheffel Roggen, vier fette Ochsen, acht Schweine, ein Dutzend Schafe, 20 Oxhoft Wein, vier Tonnen Butter, 1000 Pfund Käse, ein Bett, Kleidungsstücke und einen silbernen Becher sofort.

 "Tulipan-Nächte" werden alljährlich im Britzer Garten in Berlin gefeiert.
"Tulipan-Nächte" werden alljährlich im Britzer Garten in Berlin gefeiert.
© Kitty Kleist-Heinrich

Die Kirche sah in diesem gierigen Run auf das schnelle Geld natürlich alle Anzeichen von Sittenverderbnis gegeben. Pestepidemien und Krieg hatten den Fatalismus in der Bevölkerung wachsen lassen. Wer denkt schon an morgen? Die Elite des Landes fürchtete das wirtschaftliche Fundament des Staates durch den Handel mit Lieferobligationen im Tiefsten gefährdet, sodass man sich innerhalb kürzester Zeit im Februar 1637 entschloss, dem Spuk ein Ende zu machen. Der Rat von Holland erklärte im April alle Geschäfte nach der Pflanzung von 1636 für ungültig.

Die Tulpe hat einen langen Weg genommen, über die Berge Afghanistans und Irans über die Türkei bis nach Europa – welch eine Traditionslinie in diesen Zeiten. Es ist gut, sich gerade heute dieser Wertschätzung zu erinnern. Sie ist nun kein Luxusgewächs mehr, sondern ein Massenprodukt – ein Exportschlager. Das Foto, das Marieken Verheyen 1993 für das Frans Hals Museum von den Blüten der Semper Augustus in einem Zuchtbetrieb machte (s. großes Bild), verdeutlicht die Entwicklung: Eine Tulpe hätte damals acht Jahreslöhne gekostet – nach damaligem Wert läge also ein ganzes Stadtviertel auf dem Boden. Geköpft werden die Blumen heute, um die Qualität der Zwiebeln zu verbessern. Nach wie vor geht es also vor allem um eines: Optimierung.

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