Verfilmung von Sarah Kuttners "Mängelexemplar": Du fühlst zu viel
Witzig, lebendig, direkt: Laura Lackmann bringt Sarah Kuttners Bestseller „Mängelexemplar“ ins Kino – ein starkes Regiedebüt.
Wer hätte gedacht, dass das so ein guter Film werden könnte? Bei Literaturverfilmungen, bei Bestsellerverfilmungen zumal, und bei deutschen erst recht, ist man ja zunächst mal skeptisch: Hat da jemand überhaupt eine eigene Idee, oder will er sich bloß an den Erfolg der Vorlage dranhängen? Findet er eigene Bilder, oder bebildert er bloß die Worte, die man schon kennt? Berechtigte Vorbehalte.
Die Adaption von Sarah Kuttners „Mängelexemplar“, dem Roman über die Depression einer jungen Frau, deshalb allerdings abzulehnen, ihn sich vielleicht gar nicht erst anzusehen, das wäre nicht berechtigt. Das wäre dumm. Denn Laura Lackmanns Langspielfilmdebüt ist nicht nur ein, wie gesagt, wirklich guter Film. Mit einer Hauptdarstellerin (Claudia Eisinger), die man sich merkt, sowie einem insgesamt ziemlich herausragenden Ensemble (Maren Kroymann! Laura Tonke! Detlev Buck! Katja Riemann!). Er trifft auch einen Ton, der so überzeugend zwischen laut und leise, Witz und Sarkasmus und Traurigkeit changiert, und ist überhaupt auf eine Weise lebendig, wie man sie selten zu sehen bekommt im deutschen Film.
Seine raue Direktheit ist sehr berlinerisch (ja, auch die Kreuzberger Gentrifizierung spielt eine Rolle). Und zugleich wirkt er fast schon amerikanisch: So eine selbstironische, unbequeme Offenheit in der Darstellung psychischer Probleme von jungen Leuten, die keine echten Probleme haben, im Sinne von äußeren Gefahren, bei denen stattdessen alle Gefahr aus dem Inneren kommt, die kennt man doch aktuell vor allem aus amerikanischen Serien und Independentfilmen. An die exzentrischen Ausbrüche von Hannah aus „Girls“ erinnert die Verzweiflung der Hauptfigur zum Beispiel oft.
Depression, gepaart mit einer Angststörung
Bei Karo ist das Leben ebenfalls eine Aneinanderreihung kleinerer und größerer Katastrophen, und auch bei ihr müssen all diese Katastrophen immer gleich raus, besprochen, abreagiert werden. Bis die anderen ihr Grenzen setzen. Erst wird sie gefeuert, weil sie „zu emotional“ sei, dann verlässt ihr Freund sie, weil sie ihm „zu viel“ ist. Und als sie daraufhin zusammenbricht, kriegt Karo überdies von ihrer besten Freundin zu hören, dass es bei ihr ja sowieso wie immer nur um sie selbst gehe. Und das stimmt sogar: Karo ist laut, egozentrisch, unkontrolliert, sie empfindet alles als bedrohlich und ist damit innerlich vollauf beschäftigt. Sie hat eine Depression, gepaart mit einer Angststörung.
Die psychologischen Zusammenhänge werden in „Mängelexemplar“ nicht überanalysiert. Eher nebenbei, aber dennoch glaubwürdig, zeigt der Film in kurzen Rückblenden, woher Karos Angst kommt: Ihre Mutter war depressiv, Karo hat sich schon als Kind um sie gekümmert, der Vater war abwesend. Die Überforderung, die als Angst zurückbleibt, die Wut auf sich selbst, weil sie doch eigentlich funktionieren muss – das berührt, gerade weil man zwischendurch auch so viel lachen kann. Weil Karo und ihr psychisch nicht viel stabileres Umfeld eben keine zurückgezogenen Opfer sind, weil sie trotzdem (meistens) am Leben teilnehmen, ausgehen und trinken, albern sind und streiten und sich verlieben. Normal sind sie, echt, und gerade dieser unprätentiöse Realismus und diese Schnoddrigkeit bringen einem die Geschichte so nah.
Wenn man laut weint, kann man auch laut lachen
Man guckt eben nicht von außen auf Karo, sondern ist mit ihr wütend und überfordert und belustigt und traurig. Man blickt durch ihre Augen auf den Wahnsinn der Welt, der zum Beispiel darin besteht, dass einem jemand kündigt und dabei trotzdem so tut, als hätte er einen wahnsinnig gern, woraufhin man Dinge sagt wie „Ne klar, alles supi“. Man blickt auf eine Welt, in der man sich so ziemlich alles erlauben kann, solange man gefälligst unabhängig und unbedürftig bleibt.
„Mängelexemplar“ ist auch ein Film gegen die Beherrschtheit, für die Lebendigkeit. „Ich kenne das von mir selbst“, hat die Regisseurin kürzlich in einem Radiointerview gesagt, „dass Menschen, die psychische Probleme haben, oft auch Menschen sind, die generell viel fühlen. Und dass man eben, wenn man laut weint, auch sehr laut lachen kann.“ Vielleicht liegt es ja daran, dass diese Geschichte einer Depression merkwürdigerweise froh macht.
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Julia Dettke
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