"Cats" im Admiralspalast: Dissonanzen, scharf wie Krallen
Eine Londoner Produktion des Musical-Klassikers „Cats“ ist zu Gast im Admiralspalast und begeistert mit Spielfreude, eingängigen Hits und Handarbeit.
Katzen, sagt man, haben sieben Leben. Für Andrew Lloyd Webbers Musical über die geschmeidige Gattung scheint dasselbe zuzutreffen. Vor mehr als 36 Jahren erlebte „Cats“ seine Uraufführung am New London Theatre – und hat bis jetzt kein graues Haar im Pelz. Die Klon-Produktion der originalen Inszenierung aus der britischen Hauptstadt, die gerade im Berliner Admiralspalast Station macht, wirkt absolut frisch, mitreißend, ja selbst optisch kein bisschen gestrig. Dabei war keiner der Darsteller, die hier über die Bretter fegen, schon geboren, als aus der katzophilen Gedichtsammlung von T. S. Eliot eine Bühnenshow wurde.
Wie jung die Macher damals waren! Der Komponist 33 Jahre, sein Produzent Cameron Macintosh gerade ein Jahr älter, Regisseur Trevor Nunn 41. Richtig viel Erfahrung im Bühnenbusiness hatte nur die Choreografin Gillian Lynne. Judy Dench wiederum dürfte sich wohl immer noch darüber grämen, dass sie damals wegen einer Verletzung an der Achillessehne die Rolle der Grizabella dann doch nicht spielen konnte.
Begnadete Körper in sexy Catsuits
Die Handlung ist so dünn wie eine sauber abgenagte Gräte, der Ort des Geschehens – ein nächtlicher Schrottplatz bei Vollmond - nicht übermäßig attraktiv, und bei Gastspielproduktion wie dieser ist das Orchester dank elektronisch-instrumentaler Fake-Möglichkeiten längst auf Bandgröße zusammengeschrumpft. Was diese Show so grandios macht, ist die Tatsache, dass hier nicht mit Überwältigungseffekten kalkuliert oder gnadenlos auf die Tränendrüse gedrückt wird, sondern dass alles Handarbeit ist.
Und Arm-, Fuß-, Bein-, Stimmbandarbeit. Denn kein anderes Musical fordert von den Darstellern diese musicaltypische Tripelbegabung für Tanz, Gesang und Schauspiel so sehr wie „Cats“. Begnadete Körper sind jetzt im Admiralspalast zu erleben, zirzensische Gruppenchoreografien von absoluter Präzision, zwei Dutzend Darsteller, die hoch professionell arbeiten, ohne darum an Sinnlichkeit einzubüßen. Oder an Spielfreude. Denn Spaß haben die jungen Leute sichtlich, wenn sie sich in ihren sexy Catsuits umschleichen und umschmeicheln, wenn sie fauchen, kratzen, schnurren oder beim Jellical Ball alle Gliedmaßen einschließlich der unechten Katzenschwänze durch die Luft wirbeln.
Sogar der alte Hit "Memory" zündet noch
Selbst „Memory“, der tausend Mal gehörte, scheinbar totgenudelte Hit des Stücks, zündet live erstaunlicherweise immer noch – wenn die Grizabella-Interpretin, wie hier Joanna Ampil, ihre Stimme raffiniert genug einsetzt, sich zunächst klug im verschatteten Piano bewegt, um erst in der letzten Strophe der Ballade so richtig dramatisch aufzudrehen.
Überhaupt übertrifft keine Partitur Andrew Lloyd Webbers die von „Cats“. Die Ouvertüre ist pure modern music, gespickt mit Dissonanzen, die scharf sind wie Krallen. Für die Songs wildert er mit dem Instinkt eines Raubtiers in allen Stilen vom Barock bis Rock, bedient sich im Jazz, Beat und Soul, bei Puccini und Strawinsky, und verwurstet seine Beute dann zu Nummern von geradezu erschreckender Eingängigkeit.
Admiralspalast, bis 19. August
Frederik Hanssen
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