Ingeborg-Bachmann-Preis 2018: Dissonanz und Vielfalt
Die in der Ukraine geborene Schriftstellerin Tanja Maljartschuk gewinnt mit ihrer Migranten-Erzählung "Frösche im Meer" den Bachmann-Preis 2018.
Als schon alles vorbei war am letzten Lesetag im Klagenfurter ORF-Theater, konnte man hinten im Café des Senders noch zwei Literaturprominente dabei beobachten, wie sie die Köpfe zusammensteckten, lachten und sich vielleicht selbst schon die diesjährige, 1983 im ukrainischen Iwano-Frankiwsk geborene und in Wien lebende Schriftstellerin Tanja Maljartschuk als Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin ausgeguckt hatten. Der eine war der österreichische Schriftsteller Josef Winkler, der 2008 den Georg-Büchner-Preis zugesprochen bekam. Die andere die slowenischstämmige Kärntner Lyrikerin und Schriftstellerin Maja Haderlap, die 2011 den Bachmann-Preis gewann.
Beide leben zeitweise in Klagenfurt, für Winkler war die Kärntner Landeshauptstadt nach seinem Aufwachsen in dem Dörfchen Kamering gar die große weite Welt; beide besuchen regelmäßig die Bachmann-Preistage; und beide sind gute Beispiele dafür, dass das Schreiben eine Lebensaufgabe sein kann, es gar eine Lebensnotwendigkeit darstellt.
Das ist im Zusammenhang mit dem Bachmann-Wettbewerb insofern von Bedeutung, als zuletzt eben keine Uwe Tellkamps, Térezia Moras oder Maja Haderlaps mehr ausgezeichnet wurden, sondern Autoren und Autorinnen, die mehr in den Randgebieten der erzählenden Literatur zuhause sind. Und nicht unbedingt den Eindruck machen, primär literarische, auf ein großes Gesamtwerk zielende Karrieren anzustreben. So wie der Dramatiker und Theaterwissenschaftler Ferdinand Schmalz im vergangenen Jahr (als ein Autor wie John Wray seltsamerweise schon zu „big“ für Klagenfurt war); so wie 2015 die Autorin, Lyrikerin Produzentin, Herausgeberin und diesjährige Bachmann-Preis-Jurorin Nora Gomringer. Oder wie der Maler und Cartoonist und eben auch Schriftsteller Tex Rubinowitz, der 2014 in Klagenfurt gewann.
Der Berliner Autor Bov Bjerg gewann den zweiten Preis
Vielleicht hat sich die Jury deshalb mit Tanja Maljartschuks „Frösche-im-Meer“-Text ganz explizit wieder für eine traditionell erzählte Geschichte entschieden („endlich Literatur!“ entfuhr es Gomringer), für die Geschichte eines sich in Deutschland ohne Pass und Papiere aufhaltenden Migranten, der die Bekanntschaft einer alten und dementen Frau macht. Diese lädt ihn zu sich ein, sie will ihm unter anderem ihre Frösche zeigen, die nur in ihrem Kopf existieren. Irgendwann fragt sie ihn, ob Frösche auch im Meer leben können, woraufhin Pedro, wie der Migrant heißt, antwortet, dass für diese das Meer wohl zu groß sei. Die Erzählung ist zunächst etwas konventionell, sie wurde im übrigen, wie Tanja Maljartschuk im Anschluss an die Preisverleihung verriet, gezielt auf den Wettbewerb hin geschrieben; doch sie enthält tolle Sätze wie „Jahre vergehen schnell, wenn man das eigene Leben nicht schätzt“, hat eine abgründige wie dezent humorvolle Note, trotz all der Malaisen der beiden Hauptfiguren. Und „Frösche im Meer“ behandelt natürlich ein Thema, das in Zeiten der ewigen Flüchtlingsdebatte brennend aktuell ist, für Klagenfurter Verhältnisse eher die Ausnahme als die Regel.
Doch wäre es genauso in Ordnung gewesen, hätte der Berliner Schriftsteller Bov Bjerg den ja immer noch mit stolzen 25.000 Euro dotierten Bachmann-Preis gewonnen. Seine Vater-Sohn-Geschichte „Serpentinen“, für die Bjerg dann recht eindeutig in der Abstimmung den zweiten, mit 12.500 Euro dotierten und vom Deutschlandfunk gestifteten Preis erhielt, ist motivreich, hat Tempo, gute Dialoge und steckt voller Szenen- und Zeitenwechsel.
Joshua Groß zitierte Wolfgang Borchert...
Dass allerdings der Juror Klaus Kastberger in seiner Laudatio den 1965 im schwäbischen Heiningen geborenen Bjerg gleich als einen „der wichtigsten und besten Autoren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“ bezeichnete, ist arg euphemistisch. Vor allem weil Bjerg mit „Auerhaus“ gerade mal einen, wenn gleich schönen Roman und zudem erst einen Erzählungsband veröffentlicht hat. Dieses übertriebene Lob zeigt die Sehnsucht der Bachmann-Preis-Jury, Talente zu entdecken und auszuzeichnen, die später das Versprechen auf große Literatur erfüllen. So passt auch der dritte Preis ins 2018er-Bachmann-Preis-Bild, der von dem österreichischen Stromversorger Kelag stammt und 10.000 Euro wert ist. Er ging an Özlem Özgül Dündar und ihren Mütter-Text „und ich brenne“, einem Romanauszug, der mit lyrischen Mitteln, nur in Kleinschreibung und ohne Satzzeichen vielstimmig von den Folgen eines Brandanschlags erzählt, mutmaßlich von dem in Solingen 1993, ohne dass dieser genannt wird.
Genauso passte ins Bild, dass bei der Abstimmung am Sonntag der junge, 1989 geborene Joshua Groß sich zuerst nicht gegen Dündar und dann nicht bei der Verleihung des mit 7500 Euro dotierten 3-Sat Preises gegen Anna Sterns mitunter rätselhafte Krankenbett-, Koma- und Flugzeugabsturz-Geschichte „Warten auf Ava“ durchsetzen konnte - obwohl Stern bei der Jury zunächst auf viel Ablehnung gestoßen war, von „mit unzulänglichen Mitteln geschrieben“ (Kastberger) bis „zu viele Leerstellen“ (Hubert Winkels) war da die Rede. In Joshua Groß’ schön durchgeknallten Twen-Drama „Flexen in Miami“ lernt der Ich-Erzähler erst eine junge Meeresbiologin bei einem Basketballspiel in Miami kennen, dann noch eine Frau auf einer Party. Dazu kommen Shaquille-O’ Neal-Doubles und Shaquille O’Neal höchstselbst, Musik von Destiny’s Child, Frank Ocean oder Justin Timberlake, alle möglichen sozialen Medien, natürlich Drogen, und am Ende zitiert der Held ganz naseweis ausgerechnet Wolfgang Borchert mit dem Satz: „Wir sind selbst zuviel Dissonanz“.
Zuviel durch ein mediales Rauschen vermittelter Sound, zuviel Pop- und Popkultur – das mögen Bachmann-Preisjurys traditionell nicht, zumindest nicht mehrheitlich. Dass Groß trotzdem eingeladen worden war, zeigt die Offenheit dieses wahrlich nicht schlechten Jahrgangs, seinen Reichtum an Stoffen, aber auch, wie vielfältig er formal war, wie risikobereit gerade die Autoren und Autorinnen, die sich nicht platzieren konnten.
...und Klaus Kastberger macht einen blöden Stammtisch-Witz
Es gab hier eine Parodie, die man gar als eine auf das Bachmann-Lesen verstehen konnte, Stephan Groetznerss „Destination: Austria“, mit einem Helden auf dem Weg nach Österreich, „der ahnt, dass seine Mission härter wird, als er sich bisher vorgestellt hat“ (so war es am Ende für Groetzner); es gab dort einen schön irren Text wie den von Jakob Nolte, eine Mexiko-Reiseerzählung voller betont falscher Bilder und gezielt daneben liegender Formulierungen; es gab hier ein Langgedicht aus dem Jenseits, Martina Clavadetschers „Schnittmuster“ und dort den Monolog einer Erotomanin von der schreibenden Kieferorthopädin, Zahnärztin und Pianistin Corinna T. Sievers, der in seiner Kälte und Technizität nicht so schlecht und nicht so harmlos und wenig radikal war, wie die Jury ihn in der Diskussion gemacht hatte; auch Raphaela Edelbauers überraschenderweise mit dem Publikumspreis ausgezeichnete Bergwerks- und Auffüllungstechniker-Geschichte „Das Loch“ war ganz ordentlich in ihrer Collagenhaftigkeit.
Und die Jury? War auf Texthöhe, zeigte sich ungern rabiat und konfrontativ und hatte unterhaltsamen Momente, leider auch einen mit Stammtischniveau. Klaus Kastberger sagte nach der Lesung von Sievers: „Na, am Montag wird in ihrer Praxis aber was los sein!" und schickte hinterher, er werde sich auch um einen Termin bemühen. Mit Insa Wilke und Nora Gomringer saßen zwei sofort präsente und wenig schüchterne Neulinge auf der Jury- Bühne: die eine mehr Philologin, Wilke, die andere immer noch zu sehr selbst kreative Autorin und – obwohl mit 38 Jahren jüngstes Jurymitglied – eingestandenermaßen „Traditionalistin“, die etwa mit Groß und Nolte wenig anfangen konnte.
So darf es jedenfalls weitergehen. Und vielleicht kommt ja wirklich der Tag, an dem auch Maljartschuk und Bjerg so wie Winkler und Haderlap ihre dann mit vielen Preisen gekrönten Köpfe zusammenstecken. Der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und nicht nicht zuletzt diesem Wettbewerb wäre es zu wünschen.
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