Berlinale-Zwischenbilanz: Diese Filme haben Chancen auf den Goldenen Bären
Mit Feo Aladags Afghanistanfilm „Zwischen Welten“ wurden alle vier deutschen Beiträge im Berlinale-Wettbewerb präsentiert. Und alle vier sind im Vergleich zur internationalen Konkurrenz angenehm stark. Eine Schwäche fällt auf dem Weg zum "Goldenen Bären" jedoch auf.
Wenn es einer richtig weiß, dann ist es Dominik Graf. Unlängst sagte der Regisseur des Wettbewerbsbeitrags „Die geliebten Schwestern“, deutsche Filme hätten auf der Berlinale „immer eine sehr eigene Resonanz“. Und: „Davon können auch hübsche Narben zurückbleiben, die man sich hinterher patentieren lassen kann.“ Keine Frage, auf welches inzwischen leicht patinierte Trauma der sensible – und im Austeilen durchaus robuste – Filmemacher da anspielt: 2002, im ersten Jahr der nunmehr langsam sich neigenden Ära Kosslick, war Grafs wilder Ferienkatastrophenfilm „Der Felsen“ in manchen Medien in der Luft verrissen worden, auch in dieser Zeitung. Andererseits: Andreas Dresens „Halbe Treppe“ avancierte damals schnurstracks zum Publikums- und Kritikerhit und holte den Silbernen Bären.
Das erste deutsche Wettbewerbsquartett in jenem Jahr – hinzu kamen Christopher Roths „Baader“ und Tom Tykwers „Heaven“ – stand für den Willen des neuen Festivalchefs, die Berlinale auch ausdrücklich als Bühne fürs heimische Filmschaffen zu nutzen. Diesem Prinzip ist er treu geblieben. Inzwischen waren alle vier deutschen Wettbewerbsfilme dieses Jahrgangs zu sehen, so viele wie seit 2006 nicht mehr – und tatsächlich schmücken sie die sogenannte Königsdisziplin des Festivals, in der am Sonnabend die Bären vergeben werden. Was den Glanz trübt: Die Konkurrenz lahmt, so heftig wie im Vorjahr.
Kurios dabei: Während Dominik Graf, 61, inzwischen ähnlich kanonisierten Status genießt wie, sagen wir, Alain Resnais in Frankreich, hat ausgerechnet der formal wagemutigste und thematisch beeindruckendste unter den deutsche Filmen manches ruppige Echo ausgelöst. Doch Dietrich Brüggemann, der mit „Kreuzweg“ eine präzise Studie über eine fundamentalistisch-katholische Familie vorlegte, mag sich trösten – bei den internationalen Kritikern liegt er einstweilen knapp vorn.
Den vielfältigen deutschen Beiträgen – neben Grafs Klassiker-Liebesdrama ist Edward Bergers „Jack“ dabei, eine ganz auf zwei mutterseelenalleingelassene Brüder fokussierte Kindergeschichte – fügte die Regisseurin Feo Aladag nun einen so aktuellen wie universellen Stoff hinzu. „Zwischen Welten“, an Originalschauplätzen in Afghanistan gedreht, erzählt titelgemäß vom Kontrast zwischen deutscher Militär-Hightech, wie sie sich auf den Kriegsstützpunkten findet, und den Strukturen eines afghanischen Dorfs, das es – so der Auftrag – vor den Taliban zu schützen gilt. Wobei die Protagonisten beider Lager, mit einer gewissen Sensibilität für das jeweils Andere, eine gemeinsame Zwischenwelt erschließen können. Nur: Wie viel Spielraum gibt es für menschlich gesteuerte Entscheidungen – gegen Argwohn, gegen Regeln und gegen militärische Hierarchie?
Hauptmann Jesper (Ronald Zehrfeld) und sein afghanischer Dolmetscher Tarik (Mohsin Ahmady) sind die Drehbuch-Beispielfiguren dieses Konfliktfeldes. Jesper hat kurz zuvor seinen Bruder beim Einsatz in Afghanistan verloren, Tariks Vater wurde schon vor Jahren von den Taliban ermordet – nun bringen der Sohn und seine studierende Schwester Nala (Saida Barmaki) sich mehr schlecht als recht durch. Tariks Job erweist sich bald als lebensgefährlich: Wer für die Besatzer dolmetscht, und täte er das noch so vermittelnd und klug, gilt unter fanatischen Afghanen als Verräter. Nala ist es dann, an der sich alles entscheidet – hier die Gewaltbereitschaft, dort die Hilfsbereitschaft. Beides führt zwangsläufig zu einer dramatischen Grenzüberschreitung, die nicht ohne Folgen bleibt.
So brillant das von Kamerafrau Judith Kaufmann (sie fotografierte auch Aladags Debüt „Die Fremde“, 2010) visuell umgesetzt ist und so sehr manches Gefühlsarrangement mitunter anrührt: Der Eifer, stets das Exemplarische zu suchen, ebenso ein gewisses Tremolo im Bedürfnis, die richtigen Fragen zu stellen, ihre Beantwortung aber ausgesucht offen zu lassen, irritieren dann doch. Bei allem Abenteuer des taffen Settings, bei allem imponierenden Auf- und Einbruch in die doppelt exotischen Männerwelten des Militärs und des Islam, geht Aladag im Ergebnis kaum ins Risiko. Und so haftet ihrem Film, trotz Staub und Schweiß und ausgestelltem Todesmut, etwas seltsam Steriles an.
An diesem Rückzug, oder um im Militärjargon zu reden: an dieser „Rückverlegung“ ins bloße Beweisführungskino kranken manche Berlinale-Beiträge. Kaum haben sie ihren Protagonisten gefunden – wie den britischen Soldaten in „71“ oder auch den griechischen Killer in „Stratos“ –, stürzen sie sich geradezu monomanisch in die Auspinselung einer Miniatur. Auch äußerlich welthaltige Panoramen, ob der Nordirland-Krieg oder die europäische Krise, helfen da wenig. Und selbst der böse alte Genrefilm, etwa Hans Petter Molands Bodycount-Farce „Kraftidioten“ fügt sich plötzlich in diesen Rahmen. Man merkt die Absicht – die pure Exekution einer Idee –, und ist immer verstimmter.
Bären-Prognosen bleiben unter derlei Umständen arg gewagt, zumal sich im verbleibenden Drittel der Kandidaten unbedingt und dringlichst noch mindestens ein Joker im Spiel finden möge. Die Aussichten für die Deutschen scheinen einstweilen so ungünstig nicht. Nur: Den Goldenen Bären gewann in den Jahren, als gleich vier Kandidaten antraten, noch keiner.
„Zwischen Welten“: 12.2., 9.30 sowie 15.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 19.30 Uhr (HdBF), 16.2., 15.30 Uhr (Berlinale-Palast)