Filmkritik: "Die geliebten Schwestern": Fuk mi Schiller
Als einer von vier deutschsprachigen Regisseuren steht Dominik Graf mit "Die geliebten Schwestern" im Berlinale-Wettbewererb. Friedrich Schillers hat's mit zwei Frauen, die verschwestert sind - doch der Film schafft es nur knapp über eine Klatsch-Story bei Hofe.
Seltsame Reise gestern früh bei der Pressevorführung im Berlinale-Palast, ab halb neun und drei Stunden lang. Erst die plötzlich unbändige Sehnsucht, in jener fernen Zeit leben zu wollen, als die Klassiker ganz jung waren, an ihren Orten unbegradigter Flüsse und unbegradigter Gefühle. Als die idealistischen Dichter, beflügelt vom Aufstieg des Bürgertums und angeekelt vom Muff der Kleinstaaterei, sich zur unhöfischen Wahrheit ihrer Empfindungen bekannten, umgeben von so schönen wie klugen wie wilden Frauen. Weg also mit dem Staub von ihren lorbeerbekränzten Häuptern, fack ju, ödes Desinteresse an Goethen und Schillern!
Und dann düstert sich das langsam ein, diese überwältigende Frische – von 1788, als das Liebestrio, von dem Dominik Graf in „Die geliebten Schwestern“ erzählt, in seinen Zwanzigern war, bis 1802. Die Bilder, anfangs noch so licht und voller Augensauerstoff, wollen einem enger, irgendwie fernsehtauglicher erscheinen, Stationen werden situationsweise abgehakt, und auch das Voice- over des Regisseurs, erst ein schönes semipoetisches Raunen, wandelt sich ins bildungsbürgerlich dahinstaksende Sekundärliterarische. Und auf einmal ist jenes späte 18. Jahrhundert wieder so fern, wie es immer war.
Nur: Erzählt und arrangiert Dominik Graf seinen 170-Minuten-„Liebesdiskurs“ über Friedrich Schiller und die Schwestern Caroline und Charlotte von Lengefeld, dem im Sommer eine um eine halbe Stunde gekürzte Kinofassung folgen soll, am Anfang anders als am Ende? Ganz wahrscheinlich nicht. Eher ist wohl der Anfang einer Liebe immer schöner anzusehen als die Entzweiung, das Tassenzerschlagen, das gegen alle feierlichen Jugendversprechen sich zäh voranarbeitende Auseinandergehen. Also: Selber schuld an deiner irrigen Erwartungshaltung, Spätromantiker!
Dominik Graf macht aus einer Klatsch-Story bei Hofe brodelnde Energie
Die leuchtende Zeit: Im Film ist sie immerhin die längste Zeit. Es sind die Jahre, in denen Schiller erst Charlotte und dann ihre drei Jahre ältere, unglücklich verheiratete Schwester Caroline kennen- und sofort lieben lernt. Eine Ménage-à-trois, die ein glückliches Jahr dauert und für die es in der Schiller-Forschung allerlei Indizien gibt. 1789 heiratet Schiller Charlotte, bekommt bald Kinder mit ihr; Caroline zieht sich zurück, aber die leidenschaftliche Beziehung zu Schiller flammt immer wieder auf, und eines Tages, längst geschieden von ihrem elf Jahre älteren Geldbringer von Legationsrat, ist sie schwanger. Von Schiller? Von einem ihrer Ersatz-Lover?
Man könnte das als Klatsch-Story am Hofe zu Weimar und anderswo erzählen, und es war damals, zumal bald anonym Carolines Fortsetzungsroman „Agnes von Lilien“ in Schillers Zeitschrift „Die Horen“ erschien, wohl auch eine. Dominik Graf aber betrachtet die Geschichte von innen, als dramatisch brodelnde Energie, und schiebt der Tratschgesellschaft allenfalls eine Echo-Nebenrolle zu. Manchmal hat das Geschehen, im rauschhaften Liebeskassiberschreiben und Darüberreden, etwas von den Filmen des Eric Rohmer, ist mehr Lust an der Sprache als Lust an der Lust. Dann wieder illustriert Dominik Graf seinen Liebestrialog, wie er ihn nennt, mit hinreißenden emblematischen Szenen.
Die Schauspielerinnen Herzsprung und Confurius: flirrend und glühend
Einmal wärmen die Schwestern den nackten, schlotternden Schiller, der soeben ein Kind aus der kalten Saale gerettet hat, mit ihren reifrockbepanzerten Körpern und beschirmen ihn zugleich vor dem Zuschauerblick. Einmal will Caroline dem geliebten Schiller ein von ihr geschriebenes Manuskript zu lesen geben und bereitet ihm und sich selbst einen Punsch, der Mut machen soll zum wahren Wort über Wörter – und, nicht gerade nebenbei, für die Liebe.
Florian Stetter gibt den jungwilden Schiller als hübschen Brausekopf wie aus dem Dichterquartett. Hannah Herzsprung ist Caroline: flirrend, unstet, unwiderstehlich, erst im Pakt fest mit der Schwester vereint und nachher fast irre werdend am Zwang zur Geheimniskrämerei. Und Henriette Confurius, die deutlich Jüngste im Schauspieler-Trio, ist als Charlotte das personifizierte Glühen. Auch schweigend gibt sie dem Film immer Wärme: geradewegs auf ihr Ziel zu, sei es Glück oder Schmerz oder dort, wo sich beide, als wär’s ein Stück aus Goethes Farbenkreis, an ihren Rändern berühren.
Apropos Goethe und sein berühmter Farbenkreis. Den von Schiller bewunderten Großliteraten-Rivalen und späteren Gesprächspartner bekommt der Zuschauer nie zu Gesicht. Wohl aber ist einmal sein Farbenkreis im Bild, als leuchtende Zeichnung auf Schillers Sekretär. Darunter der Goethe-Satz: „Ich glaube, dass alles, was ein Genie als Genie tut, unbewusst geschehe.“ Aber das ist eine andere Geschichte.
9.2., 10 Uhr (Friedrichstadt-Palast) und 19.30 Uhr (HdBF), 10.2., 17 Uhr (Adria)