Eine psychoanalytische Betrachtung: Die voodoohafte Macht der Barbie-Puppe
Am Donnerstag eröffnet in Berlin das umstrittene Barbie-Dreamhouse. Die Puppe hat ein deutsches Vorbild: das Fräuleinwunder. Was macht sie eigentlich so erfolgreich? Und hat die Puppe tatsächlich eine Art voodoohafte Fähigkeit, Mädchen nach ihrem Bilde zu formen? Eine psychoanalytische Betrachtung.
Es ist eine besondere Art von Albtraum, der sich in Berlin materialisiert. Er ist pink und für manche die Erfüllung aller Wünsche. Für andere hingegen öffnet am heutigen Donnerstag mit dem Barbie-Dreamhouse ein Bau seine Pforten, der für die „Pinkifizierung“ der Welt verantwortlich ist, die Ungleichbehandlung der Geschlechter, die Zurichtungen zur Weiblichkeit. Barbie wird geliebt und gehasst – beides in einem Maß, das das Verhältnis von Mensch und Puppe so zuspitzt, als ginge es um weit mehr als ein Spielzeug. Tatsächlich verkörpert Barbie eine Geschichte, die auf uns selbst verweist.
In den Vorwürfen an Barbie artikuliert sich die Angst, die Puppe könne Mädchen nach ihrem Bilde formen. Blickt man auf ihre Entstehungsgeschichte, dann besaß Barbie offenbar von Anfang an die magische Fähigkeit, vom Bild zum Körper zu werden. Das Vorgängermodell war in Deutschland entstanden. Seit 1952 erschien in der „Bild“-Zeitung täglich eine Comicfigur, die als langbeinige, großbusige, stupsnasige und spitzzüngige Vertreterin des sogenannten deutschen Fräuleinwunders so beliebt – in diesem Kontext möchte man sagen: begehrt – war, dass 1955 eine Puppe nach ihrem Vorbild hergestellt wurde.
Sie hieß „Bild-Lilli“. Bereits hier hat sich also eine zweidimensionale Figur zum dreidimensionalen Körper materialisiert. 1959 sah dann Ruth Handler, damals die Vizepräsidentin des amerikanischen Spielzeugkonzerns Mattel und später dessen Präsidentin, während einer Europareise „Lilli“ in einem Luzerner Schaufenster und erwarb die Rechte an der Figur. Dieser Kauf war, so Handler in ihrer Autobiografie, alles andere als Zufall. Sie wollte für ihre Tochter Barbara – Kosename Barbie – das Spielzeug erschaffen, das diese sich sehnlichst wünschte: eine Erwachsenen-Puppe, die sie modisch ausstaffieren konnte. Mangels Spielzeugpuppen hatte sich Barbara bis dahin mit Papiermodellen und Mode zum Ausschneiden begnügt.
Mit Barbie knüpfte Handler kulturhistorisch an die in Aristokratenkreisen beliebte Modepuppe des 17. und 18. Jahrhunderts an, die im Zuge der Pädagogisierung des Kinderzimmers um 1800 angeblich kindgerechterem Spielzeug weichen musste, der Hausmutter und der Babypuppe. Die züchtige Hausmutter war im 19. Jahrhundert das dominierende weibliche Rollenvorbild, mit Beginn des 20. Jahrhunderts kam die Kinder- und Babypuppe in Mode. Was fehlte, war die Frau als Frau, die Frau als Geschlechtswesen, Gender pur gewissermaßen.
Barbie avancierte zur meist verkauften Puppe der Welt. Sie wurde von Dior, Kenzo und Pierre Cardin eingekleidet, von Andy Warhol gemalt und anlässlich des 200. Geburtstags der USA als „schützenswertes Kulturgut“ mit Mickey Mouse und Coca Cola in eine Zeitbox gepackt. Der Anthropologe Claude Lévi-Strauss befand, „es lohne sich, über Barbie nachzudenken“; dem Kunsttheoretiker Bazon Brock zufolge symbolisiert die Puppe „die Westmenschen als Kulturträger in der allgemeinverbindlichsten Art“.
Auch der Mensch baut sein Ich auf einem Trugbild auf
Doch genau das tut sie eben nicht. Als Barbie 1959 ihren Siegeszug antrat, tat sie es nicht als Westmensch, sondern als Westfrau. Die Mädchenzimmer wurden zum Ärger vieler Eltern vom pinkfarbenen Traum der Weiblichkeit heimgesucht, einem Ideal, dem bald vorgeworfen wurde, dass es seine Entstehung – die physische Materialisierung eines Bildes – via Gehirnamputation und Körpermodellierung an seinen Besitzerinnen wiederholen würde.
Hat die Puppe also diese fast schon voodoohafte Fähigkeit, Mädchen nach ihrem Bilde zu formen? Bilden das ukrainische Modell Valeria Lukyanova und die britische „Barbie Doll Laura Vinicombe“, die sich mittels Operationen, Schminke und Diäten in lebende Barbies verwandelt haben, nur die prominentesten Beispiele, denen Millionen (noch) nicht ganz so perfekt zugerichteter Mädchenkörper entsprechen? Woher gewinnt die Puppe diese Macht? Vielleicht tatsächlich dadurch, dass sich hier ein Bild zum Körper materialisiert. Damit wäre die Geschichte der Barbie-Puppe auch eine über uns selbst.
Denn auch der Mensch baut ja sein Ich auf einem Bild auf: dem Spiegelbild. Das Kleinkind, so hat es der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan erläutert, hat keine Vorstellung von sich selbst, es erfährt sich als „zerstückelten Körper“. Erst wenn es sich im Spiegel erkennt, gewinnt es ein Bild von sich als ganzem, integralem Körper. Lacan hat diesen Moment der Selbsterkenntnis als einen „jubilatorischen“ Augenblick bezeichnet. Und zugleich als Moment tiefster Entfremdung, denn wir brauchen immer einen Spiegel oder einen anderen, der uns ein Bild von uns selbst zurückwirft, um uns auf diese Weise als ganz – als Ich – zu erfahren. Alle Idealbilder von uns sind also Trugbilder und beruhen auf dieser Grundillusion.
Die Barbie-Puppe war nicht das Einzige, was Ruth Handler gefunden und erfunden hat. Als ihr wegen einer Krebserkrankung eine Brust amputiert werden musste, entwickelte sie 1976 eine Prothese, die sie „Nearly me“ taufte und in einer eigenen Firma vertrieb. Die Firma Mattel rühmt Handlers Einfühlungsgabe in die Bedürfnisse der Menschen, die sie schon mit Barbie gezeigt habe. Tatsächlich vermitteln sowohl die Prothese als auch die Puppe das Bild des integralen, idealen, letztlich unsterblichen Körpers – eine Illusion, die Lacan zufolge immer eine „orthopädische“ ist.
Barbie ist also im orthopädischen Illusionsgewerbe aktiv. Und hier ist es ihr sogar gelungen, Teil des menschlichen Körpers zu werden. 1999 fand die an der amerikanischen Duke University forschende Chirurgin Jane Bahor zwar nichts Neues über Barbies berühmte Beine heraus, aber etwas über ihre Kniegelenke. Auch diese sind ideal, wie alles an der Puppe – ideal verwendbar als Fingerprothesen. Zwischen Barbies Plastikknie und dem menschlichen Finger liegt die orthopädische Differenz zwischen Ideal und Ich. Diese Differenz können wir weder durch allzu viel Liebe noch durch Hass aufheben. Aber sie lädt, wie Barbie, zum Spielen ein.
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