Ausstellung: "Hans Arp. Der Nabel der Avantgarde": Die Urform des Ovals
Wo Schnurrbärte auf Zifferblätter treffen: Das Georg-Kolbe-Museum in Berlin widmet dem Jahrhundertkünstler Hans Arp nach langen Rechtsstreitigkeiten eine Ausstellung. Endlich!
Diese Ausstellung hat eine Vorgeschichte. Sie handelt von gestörtem Vertrauen und der Frage, wie man danach weitermachen kann. „Es hat sich seit Jahren niemand mehr getraut, Hans Arp auszustellen“, beklagt Julia Wallner, die neue Direktorin des Berliner Georg-Kolbe-Museums. Mit ihrer Ausstellung „Hans Arp. Der Nabel der Avantgarde“ tut sie nun genau dies.
Zur Erinnerung: Das Vermächtnis des 1966 gestorbenen Jahrhundertkünstlers wurde beschädigt, als es 2008 endgültig zum Eklat um das neu eröffnete Arp-Museum im Bahnhof Rolandseck kam. Das Land Rheinland-Pfalz und der einen Teil des Nachlasses betreuende Verein „Stiftung Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp e. V.“ beendeten ihre Zusammenarbeit, nachdem Zweifel an der Authentizität von Arp-Skulpturen aufgekommen waren, die das Land zuvor für das neue Museum vom Verein erworben hatte. Vom Künstler oder seiner Witwe nicht autorisierte Werke mussten zurückgenommen werden; der juristische Streit endete mit einem Vergleich.
Inzwischen ist die Stiftung Arp e.V. – konkurrierende Arp-Stiftungen wirken zudem im französischen Clamart und im schweizerischen Locarno – nicht nur von Remagen nach Berlin umgezogen, sondern hat sich um einen personellen und wissenschaftlichen Neustart bemüht. 2012 publizierte man eine Bestandsaufnahme aller Skulpturen, in der die Frage nach der urheberrechtlich zulässigen Art und Menge posthumer Neugüsse mit einer von Arps zweiten Frau Marguerite Arp-Hagenbach unterzeichneten Gussrechteliste von 1977 beantwortet wird.
Zwischen Dingwelt, Mensch und Natur
Der Himmel hängt damit wieder halbwegs gerade über Arps Kunstuniversum. Und so war es für Julia Wallner keine Frage, die Stiftung Arp e. V. als Kooperationspartner und Hauptleihgeber für ihre Ausstellung zu gewinnen. Aus kunstwissenschaftlicher Sicht, so Wallner, sei die Problematik unautorisierter Nachgüsse und Repliken mittlerweile „nicht mehr vorhanden“.
Der Ausstellungskatalog bietet ausreichend Informationen über die meistenteils erst nach Arps Tod gegossenen Bronzeskulpturen, die nun in Berlin zu sehen sind. Auch wenn der Transport von Großformaten in Kolbes intimes Atelierhaus aus finanziellen und logistischen Gründen nicht zu bewältigen war, haben Wallner und der Ko-Kurator Jan Giebel ihr Arp-Revival überzeugend inszeniert. Selten wirkten die Museumsräume, die nach Ausstellungsende saniert werden, so großzügig. Das liegt auch am feinen Spiel von Farbe und Licht, mit dem der Architekt David Saik die Wirkung von Arps Skulpturen, Wandreliefs und Papierarbeiten beflügelt.
Hans oder Jean Arp, wie sich der gebürtige Straßburger auch nannte, der 1926 französischer Staatsbürger wurde, ist ein Phänomen unter den Großen der klassischen Moderne. Künstlerisch blieb sich der überzeugte Pazifist, der im schweizerischen Exil 1916 die Dada-Bewegung mitbegründete, statt in den Weltkrieg zu ziehen, stets treu. Immer klarer entwickelte der Maler, Grafiker, Bildhauer und Dichter eine Vorliebe für elementare Formen und Symbole, für die Analogien und Übergänge zwischen Dingwelt, Mensch und Natur. „Er erinnerte mich an eine Art Hindu-Philosoph“, so der 92-jährige Ellsworth Kelly später, der Arp um 1950 einige Male in Paris traf. Kellys Aluminiumskulptur „White Ring“ von 1963, sonst als Privatleihgabe in der Fondation Beyeler zu sehen, dokumentiert die Wirkung von Arps Elementarismus auf nachfolgende Generationen, die bis zu Künstlern wie Olafur Eliasson reicht.
Übervater der abstrakt-organischen Skulptur
Was Kelly ins Monumentale steigert, war bei Arp zunächst eine Sache weniger Zentimeter: Der Nabel, jene Urform des gedrückten Ovals, derer sich Arp zeitlebens bediente, steht im Zentrum von sieben Lithografien. Kurt Schwitters gab die Folge 1923 als Ausgabe seiner Einmann-Zeitschrift „Merz“ heraus. Arps „Arpaden“ bedienen sich in ihrer Assoziationslust noch ganz der Verballhornungstaktik, wie sie die Züricher Dadaisten dem entfesselten nationalistischen und technologischen Wahnsinn der Welt entgegensetzten. Darin werden wilhelminische Schnurrbärte und stilisierte Zifferblätter zu Motiven wie der „Schnurruhr“ kombiniert.
Bereits in Zürich vollzieht Hans Arp den Sprung in die dritte Dimension. Ein frühes, lustvoll hingebasteltes Wandrelief wie „Pferdevogel“ wirkt auf heutige Betrachter herrlich beiläufig. 1916 dürfte das kleine bemalte Stück Holz selbst ein aufgeschlossenes Publikum schockiert haben. Um 1930 begann Arp, der mit seiner ersten Frau Sophie Taeuber-Arp nach Meudon-Clamart bei Paris gezogen war, mit dem Modellieren meist sockelloser Skulpturen. Diese von philosophischer Gelassenheit getragenen Handschmeichler aus Bronze oder Marmor sollten ihn weltberühmt machen und das Spätwerk mit dem Vorwurf des Dekorativen belasten.
Als er 1954 – gemeinsam mit Max Ernst und Joan Miró – den Großen Preis der Biennale von Venedig erhält, erklärt man ihn endgültig zum Übervater der abstrakt-organischen Skulptur. Zugleich dichtet, zeichnet, collagiert er weiter und pflegt nebenbei im großen Stil internationale Freundschaftsnetzwerke. „ich bin in der natur geboren. ich bin in straßburg geboren. ich bin in einer wolke geboren“, beginnt Arp 1932 sein Gedicht „Straßburgkonfiguration“. Gut, dass wir diesen großen Wolkenkuckucksheimer endlich wiederhaben.
Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, bis 11. Oktober, Di bis So 10 – 18 Uhr. Katalog 18 Euro.
Michael Zajonz
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