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Vier Beine und kein Stuhl. Martin Kippenberger interpretiert ein Modefoto seiner Frau Elfie Semotan.
© Estate Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne

Kunst und Mode: Auf Socken in die Moderne

Wie eng das Verhältnis zwischen Mode und Kunst ist, zeigt die Ausstellung „Reflecting Fashion“ im Wiener Museums-Quartier.

Bloß weg vom Viereck. Giacomo Balla hielt nichts von starren Leinänden. Seine Kleidung schien ihm hingegen perfekt, um die Kunst beweglich zu machen: So trug der Italiener um 1910 asymmetrisch geschnittene Anzüge mit großen, von ihm selbst entworfenen Mustern und dazu verschiedenfarbige Socken als „Modifikanten“, die über die aktuelle Stimmung ihres Trägers informierten. In Düsseldorf feierte man den Künstler deshalb als Reformer, in Paris gab man ihm wegen seines Äußeren kein Hotelzimmer.

Dabei passte sein futuristisches Konzept perfekt in jene Zeit zunehmender Geschwindigkeit, Industrialisierung und erster emanzipatorischer Bewegungen: Die künstlerische Avantgarde erkundete fasziniert die neuen Freiheiten, die aus dem gesellschaftlichen Umbruch resultierten. Die Malerin Sonia Delaunay übertrug ihre abstrakten Entwürfe auf Stoffe und eröffnete 1917 ein Modegeschäft in Madrid, während in Wien auf der Mariahilfer Straße die Modeschöpferin Emilie Flöge Haute-Couture-Kleider ohne Korsett anbot. Die Entwürfe stammten von ihrem Lebensgefährten Gustav Klimt.

Unweit davon ist jetzt die große Ausstellung „Reflecting Fashion“ zu sehen. Eingebettet in den MQ Summer of Fashion reflektiert das Wiener Museum Moderner Kunst (mumok) das Verhältnis von Kunst und Mode seit der Moderne. Das gesamte Museums-Quartier setzt dafür zum ersten Mal einen Themenschwerpunkt, der mit der MQ Vienna Fashion Week (12. bis 16.9.) endet.

Auf drei Stockwerken hat man einiges zusammengetragen, darunter Leihgaben aus Moskau, Italien oder den USA in seltener Dichte. Über 100 Künstler sollen dokumentieren, wie eng das Verhältnis zwischen den Genres ist. Und dass Cross-over nicht erst mit Künstlern wie Erwin Wurm begann, der aus Wolford-Strümpfen und Hermès-Pullovern flexible Skulpturen geschaffen hat, von denen zahllose Aufnahmen kursieren.

„Reflecting Fashion“ beginnt mit einem historischen Überblick im Erdgeschoss und arbeitet sich langsam über die Stockwerke hoch. Bis in die Gegenwart, wo nach Annäherung und temporärer Verschmelzung – Max Ernst hält die Mode für die Zukunft, Kunst dagegen für ein Auslaufmodell – die kritische Auseinandersetzung ins Zentrum rückt. Doch so einfach ist das nicht.

Natürlich macht sich ein Künstler wie Salvator Dalí zum Designer, wenn er 1937 einen Stoff für das „Woman’s Dinner Dress“ von Elsa Schiaparelli entwirft. Ein Abendkleid, festlich und tragbar – auch wenn ein großer Hummer über den Rock zu kriechen scheint, was sicher nicht jederfraus Geschmack entsprach. Ebenso konkret aber waren die Kleider der Russin Liubov Popova, die konstruktivistische Formen wie Kreis, Dreieck oder Quadrat dem Körper anpasste und an einen erweiterten Kunstbegriff glaubte. Ellsworth Kelly hat farbige Blockstreifen auf ein Etuikleid drucken lassen und enthüllt, wie dekorativ seine vermeintlich strenge Malerei sein kann. Wenn schließlich Christo, sonst eher als Einwickler bekannt, 1967 eine Frau in leichter Kleidung zentnerschweren Stoff ziehen lässt und seine Performance „Weddingdress“ nennt, spielt er mit den Erwartungen, die die Gesellschaft an eine Heirat knüpft.

Mode als Medium, Dresscode, Projektionsfläche: Die Anknüpfungspunkte sind vielfältig und richten sich nach den Absichten der Künstler. Der Filzanzug von Jospeh Beuys nimmt formal die Silhouette der Balla-Kleidung wieder auf, preist jedoch ein paar Jahrzehnte später nicht mehr die Moderne, sondern erzählt von der Isolation des Individuums. Andy Warhol wiederum bricht in den sechziger Jahren mit jeder kritischen Reflektion und bleibt bewusst an der Oberfläche. Die Ausstellung demonstriert dies wunderbar mit „Green Stamps Blouse“: Der Künstler entdeckte sie 1965 an einer Mitarbeiterin, die sich eigens für die Warhol-Ausstellung eine Bluse mit Warhols Muster genäht hatte, und signierte das Stück. Er selbst lief gern für Herrenausstatter über den Laufsteg – gegen Gage, versteht sich. Was für ein Gegensatz zur „Genitalpanik/Hose“ von Valie Export, die fast zur selben Zeit entstand – als schamfreier Angriff auf die Prüderie.

Solche Vor- und Rücksprünge kennzeichnen eher das Verhältnis zwischen Kunst und Mode. Martin Kippenberger macht es vor, wenn er 1996 mit seiner damaligen Frau Elfie Semotan ein Doppelprojekt startet: Die Fotografin hält für ein Shooting von Helmut Lang Models fest, die wie Leningrad Cowboys aussehen. Kippenberger interpretiert ihre Aufnahme und verfremdet sie malend noch einmal. Die Bezüge offenbaren sich aber nur im Nebeneinander und nicht, wenn man Ordnung im Schrank schafft.

„Reflecting Fashion“, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, bis 23. September 2012

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