zum Hauptinhalt
Selbstironische Weisheitsanfälle. Michael Caine (l.) als Fred Ballinger und Harvey Keitel als Mick Boyle. Sorrentinos Film kommt Donnerstag in die Kinos.
© Wild Bunch

Im Kino: "Ewige Jugend": Die Unfertigen

Menschen im Hotel, himmelwärts: Paolo Sorrentinos Tragikomödie „Ewige Jugend“ ist ein filmisches Meisterwerk.

Dass der berüchtigten Kreativität hiesiger Verleiher beim Eindeutschen von Filmtiteln kaum Grenzen gesetzt sind, stellen sie nahezu im Wochenrhythmus unter Beweis. Unvergessen etwa „Vergiss mein nicht!“ für Michel Gondrys „Eternal Sunshine of a Spotless Mind“, höchst erfinderisch der Untertitel „Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt ...“ bei Barry Levinsons „Wag the Dog“, und auch der Zusatz „Das Dorf“ für M. Night Shyamalans „The Village“ mag in entlegenen Landstrichen hilfreich sein. Manchmal steigern sich diese Bemühungen, die im Internet längst für Spott sorgen, sogar ins Selbstreferenzielle: „Tödliche Versprechen“ (für „Eastern Promises“ von David Cronenberg) macht so mancher deutsche Filmtitel.

Nun mag die Übersetzung von „Youth“, Paolo Sorrentinos zweitem englischsprachigen Film, in „Ewige Jugend“ nicht gleich ein tödliches Verbrechen sein. Eine grobe Verfälschung aber, ja, ein fatales Missverständnis der Intentionen des italienischen Regisseurs enthält sie allemal. Im Bemühen, der avisierten älteren Klientel seines neuen Films irgendwie wellnessesoterisch entgegenzukommen, hat der deutsche Verleih die klare Kante des Originaltitels schlappgeschliffen. Ebenso wie in Sorrentinos großem Vorgängerfilm „La grande bellezza“ nicht in erster Linie von Schönheit, sondern von der Hässlichkeit und der Oberflächlichkeit des römischen Schickeria-Lebens die Rede war, spricht nun „Youth“ weniger von Jugend als vom Alter, von Tod und Vergänglichkeit.

Das lässt sich durchaus programmatisch lesen. Die in diesen Filmtiteln genannten Begriffe bezeichnen das sehr konkrete, aber unerreichbar andere; eine Brücke dorthin gibt es nicht. Entsprechende Sehnsüchte mögen menschlich verständlich sein, auch weigert die Kamera sich keineswegs, dafür Bilder zu finden, aber sie stellt sie selber listig unter Kitsch- oder zumindest Märchenverdacht. Ein harmonisierender Illusionismus jedenfalls, wie ihn die triviale Unsterblichkeitsvorstellungen mobilisierende Anti-Aging-Vokabel „ewige Jugend“ verrät, hat im Sorrentino-Universum erst recht nichts verloren.

Die Uraltfreunde Fred und Mick sind das emotionale Zentrum des Films

Nicht, dass es an jungen Menschen fehlen würde in dem Berghotel, in dem der Film bis kurz vor seinem Ende spielt. Aus der Perspektive aber, die der Zuschauer bald mit den beiden Hauptfiguren einnimmt, dem Komponisten Fred Ballinger und dem Filmregisseur Mick Boyle, wirken sie eher außer- als überirdisch fern: Figuren aus Fleisch und Blut sind sie, aber nicht von ihrer Welt, der Welt sehr alter Männer. Da ist der kleine Junge, der Geige spielen lernt. Da ist ein kleines Mädchen, das einem an sich selbst zweifelnden Schauspieler für eine Vaterrolle dankt, die er selber kaum mehr erinnert. Da ist die engelsgesichtige Masseurin, die tagsüber faltiges Fleisch walkt und abends in ihrem Dienstbotenzimmer vorm Bildschirm Tanzbewegungen nachahmt. Und da ist Miss Universe, die nackt in den Hotelpool steigt – oder sollte man sagen: bekleidet mit ihrem untadeligen, unberührbaren jungen Körper?

Diese jungen Menschen signalisieren Unschuld, Neugier, eine fast paradiesisch kreatürliche Heimat in sich selbst. Auf der anderen Seite, und sie sind das emotionale und kommunikative Zentrum des Films, bewegen sich, ziemlich träge, die von Michael Caine und Harvey Keitel verkörperten Uraltfreunde mit ihren diametral verschiedenen Haltungen gegenüber dem Alter. Komponist Fred hat die Welt und das Komponieren mit nahezu philosophischer Gelassenheit losgelassen, und, siehe da, die Welt kommt zu ihm, und sogar die Musik kehrt in ihn zurück; beides nimmt er lächelnd an wie ein Geschenk.

Der Regisseur dagegen hängt mit jeder Faser an Fama und Nachruhm, tüftelt in Hotelzimmern und umgebender Höhenlandschaft mit nicht weniger als fünf Script-Famuli an seinem Opus ultimum „Life’s Last Day“. Natürlich darf der Film, unter der Regie eines Dauerzweiflers wie Mick, niemals fertig werden; was allerdings nicht heißt, dass der heimliche Chefarzt des Ganzen, Doktor Sorrentino, nicht auf andere Weise einen schrillen Schlusspunkt setzt.

Sorrentino verzichtet auf eine dominierende Story und überlässt sich dem Treiben dieser Hoteltage

Selbstironische Weisheitsanfälle. Michael Caine (l.) als Fred Ballinger und Harvey Keitel als Mick Boyle. Sorrentinos Film kommt Donnerstag in die Kinos.
Selbstironische Weisheitsanfälle. Michael Caine (l.) als Fred Ballinger und Harvey Keitel als Mick Boyle. Sorrentinos Film kommt Donnerstag in die Kinos.
© Wild Bunch

Der Schauplatz der Handlung fungiert als Luxusherberge, Sanatorium und Klinik; das gemeinsame Merkmal seiner Klientel heißt allerdings, anders als in Thomas Manns „Zauberberg“, nicht Krankheit, sondern Reichtum. Hierhin, halbwegs himmelwärts, haben sich einige Dutzend Menschen zurückgezogen von der Welt, verwöhnt und verarztet von einer Schar weißgekleideter Lemuren. Fred genießt seine Anwendungen mit lässiger Nonchalance, andere Gäste nutzen nur Pool und Sauna, und wieder andere, Hinfälligere, stoßen als anonyme Rollatorfahrer auf den Kreuzungen der weitläufigen Hotelflure zusammen. Und wenn weder ein Bonsai-Buddha noch ein grotesk verfetteter Maradona-Wiedergänger vom Müßiggängeralltag ablenken, reden auch die Gesündesten gern über ihre Pinkelprobleme und die Prostata.

Michael Caine wandelt mit seigneuraler Gelassenheit durchs Geschehen

Auf eine dominierende Story verzichtet Paolo Sorrentino; vielmehr überlässt er sich, als sei er selber Gast, nach eigenem Drehbuch ganz dem Treiben dieser überwiegend trüben Hoteltage. Ein Puzzle ist „Youth“, komplizierter noch und zugleich verführerischer als der vielfach preisgekrönte „La grande bellezza“, zumal hier gleich zwei Spielführer den Zuschauern die Stückchen zureichen. Michael Caine wandelt mit seigneuraler Gelassenheit und dann doch akut verletzlich durchs Geschehen; Harvey Keitel dagegen, ein Ausbund vibrierender Nervosität, rührt mit selbstironischen Weisheitsanfällen an. Sorrentino installiert diese großartigen Schauspieler als faszinierende Stellvertreter seines eigenen Beobachterblicks. Tief sogar in ihnen noch nistet Jugend, als das Unfertige, Ungelöste, als ein letzter Antrieb und innerer, lebenserhaltender Kriegszustand.

Die unbewertete Parallelität der Ereignisse, in betonter Langsamkeit ausgebreitet, führt bald zu einer fantastischen Besichtigungstrance, wie sie das Kino nur in seinen außergewöhnlichsten Stunden bietet. Geführt wird der Zuschauer durch die Kamera von Luca Bigazzi, der fast alle Filme Sorrentinos fotografiert hat. Am Anfang steht sie auf einer gemächlich rotierenden Drehbühne, auf der im Hotelgarten allabendlich Kultur dargeboten wird, vom Evergreenpotpourri bis zum Alphornblasen, und die Gäste, die sich drumherum niedergelassen haben, schwimmen im Bild vorbei. Oft badet sie, weniger aufs Zentralperspektivische aus als in Sorrentinos früheren Filmen, in Totalen, klebt dann wieder für Augenblicke an Körpern und Gesichtern, schweift freier herum und bewegt sich ohne Hast durch ein artifizielles Universum, das souverän seine eigene Realität behauptet.

Einmal mehr erweist sich Sorrentino so als Fellini-Wiedergänger und lässt seinen verspielten Übervater doch mehr und mehr hinter sich. Wie Fellini ist er immer wieder auf das komisch Bizarre aus, und es gibt in „Youth“ köstliche visuelle Einfälle und Dialogpassagen, aber im Kern speist sich seine Inspiration aus geradezu nordisch verfinsterter Melancholie.

In Cannes, wo „Youth“ im Mai im Wettbewerb lief, ist der Film, wie schon „La grande bellezza“ 2013, unbegreiflicherweise leer ausgegangen. Die Jury unter dem Vorsitz der Coen-Brüder entschied sich für konsequent realistisches Themen- und Botschaftskino, vergab die Goldene Palme an Jacques Audiards Flüchtlingsdrama „Dheepan“, und statt Keitel und Caine, die Leben und Spielen auf unnachahmliche Weise in Einklang bringen, gewann Vincent Lindon in der fraglos bewegenden Rolle eines tapferen Arbeitslosen den Darstellerpreis.

Sorrentinos Filme dagegen zeigen mit beneidenswerter Präzision und ohne im Geringsten experimentell zu sein, welche visuellen und narrativen Horizonte das Kino aufreißen kann – um den Preis freilich, dass man Nebenwege geht, sich einem scheinbaren Zufallsgeschehen überlässt und dramaturgische Labyrinthe nicht fürchtet. Am 12. Dezember werden die Europäischen Filmpreise vergeben, und vielleicht sorgen die dann in Berlin versammelten Filmkünstler für das Happyend, das der Film verdient. Nominiert ist „Youth“ immerhin; und ewig jung sowieso.

Zur Startseite