Berlinale 2020: Die unerschütterliche Hillary Clinton zu Besuch
Ehemalige US-Präsidentschaftskandidatin stellt eine Dokumentation über ihr Leben vor – und äußert sich zaghaft zur aktuellen amerikanischen Politik.
27.2., 12 Uhr (Cubix 6), ab 8. März bei Sky
Wen Sie sich als nächsten US-Präsidenten wünscht? Ein Polit-Profi wie Hillary Clinton weiß, wie man sich diplomatisch bedeckt hält. „Hauptsache der derzeitige Amtsinhaber kommt weg“, sagte sie bei der Pressekonferenz zu der Dokumentation „Hillary“ über ihr erstaunliches Leben. Ansonsten müsse man abwarten, wer nominiert werde. Ihre umstrittenen Bemerkungen aus dem Jahr 2016 über den einstigen Rivalen und möglichen demokratischen Kandidaten Bernie Sanders („Niemand mag ihn“) sind in diesem Film zu sehen. Kein Wunder, dass es bei dieser Pressekonferenz kurz vor dem Super Tuesday nicht allein um den Kunstfaktor des spannenden viereinhalbstündigen Films geht.
Immerhin sagt sie, dass es inzwischen schon selbstverständlicher sei, dass Frauen kandidieren, als zu dem Zeitpunkt, als sie antrat, US-Präsidentin zu werden. Auch zur Causa Weinstein wird sie gefragt und äußert sich diplomatisch: „Das Urteil der Jury spricht doch für sich.“ Nur beim Thema Putin wird sie glasklar. „Er hat mich genau verstanden.“ Er habe ihre Niederlage gewollt, weil er wusste, dass sie das westliche Bündnis stärken wollte. Sie macht sich große Sorgen um das, was derzeit in den Demokratien passiert: „Wir müssen genau hinschauen.“
Wer erreichen möchte, dass die Welt besser wird, muss steinige Wege gehen. Hillary Clinton wirbt dafür. Sie hat ja selber viele schwierige Pfade überwinden müssen. Die ehemalige US-Außenministerin hat polarisiert, ist immer wieder heftigen Anfeindungen und Ungerechtigkeiten ausgesetzt gewesen. Und doch ist sie darüber nicht bitter geworden. „Ich habe geliebt, ich wurde geliebt. Alles andere ist Hintergrundmusik“, sagt sie ganz unpolitisch gegen Ende der kurzweiligen Dokumentation, die am Montagabend im Haus der Berliner Festspiele Premiere hatte.
2500 Stunden Filmmaterial ausgewertet
Regisseurin Nanette Burstein hat 2500 Stunden Filmmaterial ausgewertet, aus der Wahlkampftour 2016, als es gegen Donald Trump ging, aber auch aus älteren Aufnahmen aus der Jugend, der Zeit als First Lady in Arkansas und schließlich im Weißen Haus während der Präsidentschaft ihres Mannes Bill Clinton von 1993 bis 2001. Dass der Vierteiler so spannend ist, liegt auch an der Schnitt-Technik, deren Tempo auf die Rezeptionsgewohnheiten der Generation Smartphone eingestellt ist. Das Leben selbst schreibt wohl auch die aufregendsten Drehbücher. Historische, teils mit Musik unterlegte Szenen aus ihrem Leben wechseln mit Großaufnahmen von Freunden, Weggefährten und Journalisten, die Lebenssituationen kommentieren.
Dazwischen ist immer wieder Hillary Clintons Gesicht in Nahaufnahme zu sehen. Sie hat dafür 35 Stunden auf einem Stuhl gesessen und sich von Burstein ausfragen lassen und berichtet souverän über ihr Leben. Dabei auch zu den feinen Falten zu stehen, ist auch praktizierter Feminismus. Einmal prangert sie an, dass sie jeden Tag 60 bis 90 Minuten für Haare und Make-up aufwenden musste, während die männlichen Kandidaten nur unter die Dusche zu springen bräuchten. Warum sie polarisiert hat? Sie wollte nicht gefallen, sie wollte immer nur gut sein, wollte nicht den Erwartungshaltungen entsprechen. Das mögen viele Leute nicht.
„Kritik müsst ihr ernst nehmen, aber nie persönlich“, ermahnt sie an einer Stelle eine Gruppe Schulmädchen. „Das würde euer Selbstvertrauen erschüttern.“ Eine der vielen Lehren ihres Achterbahn-Lebens. Bereits für die künftige Schwiegermutter war sie bei der ersten Begegnung ein Schock. Sie trug eine dicke Brille, kein Make-Up, und die Beine hatte sie auch nicht rasiert. Und das in einer Zeit, als Mädchen in der High School noch darauf achteten, keine besseren Zensuren zu bekommen als die Jungs, damit sie nicht als unheiratbar eingestuft würden. Auch der Fernsehmoderator, der die frisch gebackene First Lady von Arkansas, die damals noch Hillary Rodham hieß, fragte, warum sie nicht den Namen ihres Mannes trage, keine Kinder habe und auch noch arbeiten gehe, hatte wenig Verständnis. Dass sie als Anwältin sogar dreimal so viel verdiente, wie ihr Mann, wird dabei noch nicht mal erwähnt.
Mut und Kampfgeist in außergewöhnlichen Portionen
Hillary Clinton beschreibt, wie sie während des Lewinsky-Skandals zwischendurch nicht mehr mit ihrem Mann reden wollte und am Ende doch entschieden hat, bei ihm zu bleiben. Genau das konnten ihr viele nie verzeihen, sagt einer der Zeitzeugen. Es ist ein irgendwie atemloser Film, weil so viel passiert ist in Hillary Clintons Leben. Selbst der Kampf um eine gute Krankenversicherung für alle Amerikaner in den neunziger Jahren wurde ihr angekreidet. Am glücklichsten wirkt sie in ihrer Zeit als Außenministerin, als sie so viele Länder bereiste wie kein Amtskollege zuvor. Frauen müssen eben immer und immer noch besser sein. Während der Wahlkampagne um die Präsidentschaft waren es auffällig viele kleine Mädchen, die bewundern zu ihr aufschauten. Das mag daran liegen, dass Clinton ihrer Zeit voraus war.
„Gerechtigkeit kommt nicht von allein“, sagt sie. Wenn man im Auge eines politischen Sturms stehe, sei es wichtig, von Menschen umgeben zu sein, die einem wirklich etwas bedeuten. Sie sei mit solchen Menschen gesegnet gewesen. Der Film zeigt auch den Kontrast zwischen allem, womit der jetzige Präsident im Wahlkampf davonkam und der teilweise weit hergeholten Skandalisierung ihres eigenen Lebens. „Sie war weder so gut noch so schlecht, wie über sie gesagt wurde.“ Diese Inschrift soll auf ihrem Grabstein stehen. Es fühle sich merkwürdig an, dass alle glaubten, sie zu kennen, sagt sie bei der Pressekonferenz. „Ich bin ein Menschen mit Ansichten und Gefühlen, mit Schwächen und Stärken.“ Mut und Kampfgeist in außergewöhnlichen Portionen gehören auch dazu. Das offenbart der Film.