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Eine Anlage der Initative "Kunst im Untergrund" in Marzahn-Hellersdorf.
© Kunst im Untergrund

Berlin Art Week: Die Stadt gehört uns

Politische Kunst hat in Berlin Konjunktur, nicht nur zur Wahl: Ausstellungen, Projekte, Künstlerinitiativen zur Art Week.

Eine Wahlempfehlung wünscht sich ein Zuhörer im „aquarium“, einem Veranstaltungsraum mit gläserner Fassade am Kottbusser Tor. Thema des Abends: „Die Legende vom Sozialen Wohnungsbau“, zusammengefasst in einem von Künstlern herausgegebenen Magazin.

Ein Wahlempfehlung gab es nicht, stattdessen einen Tipp: „Egal welche Partei am Ruder sitzt“, sagt Sandy Kaltenborn von der Mietergemeinschaft Kotti & Co, „man muss seine Anliegen auf die Straße bringen. Sonst passiert nichts.“ Seit fünf Jahren protestiert Kotti & Co gegen die steigenden Sozialmieten am Kottbusser Tor. Und immer öfter werden sie jetzt auch Teil von Ausstellungen und Kunstprojekten.

Auch wenn die schicken, zur Art Week eröffneten Galerieschauen anderes suggerieren, politische Kunst hat in Berlin immer noch Konjunktur – in vielfältigen Formen, etwa in der Ausstellung „Ene Mene Muh, und welche Stadt willst Du?“ in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK). Auf Holzgestellen sind Schwarz-Weiß-Fotos ausgelegt mit Szenen von Bürgerbeteiligungsprojekten der Siebziger bis heute. Eines zeigt Menschen kurz nach der Wende beim Bäumepflanzen in den Ex-Grenzanlagen zwischen Prenzlauer Berg und Wedding – Gründungsakt des Mauerparks, der jetzt trotz Bürgerbegehren bebaut wird. Texte informieren über Initiativen wie „100 % Tempelhofer Feld“ oder „Stadt von unten“, eine Initiative, die den Verkauf des Dragoner-Areals in Kreuzberg verhindert hat.

Der Senat ließ das Konzept der Künstler in der Schublade verschwinden

Die Ausstellung bietet Einblick in Jahrzehnte der Stadtentwicklung und Bürgerbeteiligung, mitsamt Erfolgen, Widersprüchen und Niederlagen. „Wir möchten an Projekte erinnern, die nicht mehr im Gedächtnis sind. Damit stärken wir uns für den Kampf im Heute“, so Florian Wüst, Mitbegründer der Initiative „Haben und Brauchen“, die 2011 eine Debatte über die Förderung von Kultur auslöste. Der Senat beauftragte die Künstler gar mit einem Konzept zu einem parteiübergreifenden Dialogprozess – das letztlich aber doch in der Schublade verschwand. Der Frust darüber lähmte die Initiative. Viele machen außerhalb der Senatssäle trotzdem weiter, wie Wüst, der die kürzlich im "aquarium" vorgestellten "Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt" publiziert und kuratiert. Aber ist im Ausstellungsraum überhaupt etwas zu erreichen? „Politische Arbeit ist wichtig, ebenso der Aktivismus auf der Straße“, sagt Wüst. „Aber auch Reflektionsräume sind wichtig.“

Ähnlich denken die Künstler Ina Wudtke und Erik Goengrich, die sich mit Wohnungsfragen beschäftigen. „Plötzlich diese Teilhabe“ heißt ihre Ausstellung im Lichtenberger Projektraum „After the butcher“. Abseits der Kunstpfade beleuchten sie „reale und mögliche Orte gesellschaftlicher Teilhabe in Berlin“. Goengrichs Siebdrucke und Fotografien zeigen DDR-Architekturen mit begrünten Innenhöfen und Kinderplantschen in Parks.

Silhouetten von Demonstranten und ein Rap-Text

Auch das leer stehende Haus der Statistik am Alexanderplatz haben Goengrich und andere Künstler als Ort der Teilhabe im Visier. Dort könnten Ateliers und Wohnräume für Flüchtlinge eingerichtet werden. Allein der politische Wille fehlt. „Die Ausstellung ist klein, aber wir verhandeln die großen Themen der Politik“, sagt Ina Wudtke. Sie beschäftigt sich in ihrer Kunst mit der Verdrängung einkommensschwacher Berliner aus der Innenstadt. Nun thematisiert sie den aus ihrer Sicht fragwürdigen Wiederaufbau des Stadtschlosses. Auf schwarzen Stoffbahnen hat sie Silhouetten von Demonstranten und einen Rap-Text gedruckt, der den Bogen spannt vom Schloss zum Kolonialismus der Kaiserzeit und zur Kunst aus Asien und Afrika, die künftig dort gezeigt werden soll. „Solche Themen sind im Kunstkontext gut aufgehoben“, sagt Wudtke. Schließlich kommen zu den Ausstellungen gebildete und gut vernetzte Menschen, die theoretisch etwas bewirken könnten.

U-Bahnstationen mit Kunst bespielen

Um die Kunst außerhalb des Ausstellungsraumes und jenseits des Zentrums kümmert sich die Arbeitsgruppe „Kunst im Untergrund“, eine Initiative des NGBK. „Mitte in der Pampa“ lautet der Titel des Wettbewerbs, bei dem die U-Bahn-Stationen der Linie U5 und öffentliche Orte in Marzahn-Hellersdorf mit Kunst bespielt werden sollen. „In den U-Bahnhöfen sitzen Menschen aus aller Welt zusammen, friedlich und tolerant, jeder kann sich dort aufhalten, ob er nun U-Bahn fährt oder nicht“, sagt Adam Page, Mitglied der Arbeitsgruppe.

Der Künstler und seine Mitstreiter engagieren sich für diese Form der Öffentlichkeit, die wichtig ist für demokratische Gesellschaften. Ebenso für Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung, für die Online-Petitionen nicht reichen. Die Projektgruppe hat eine Grünfläche nahe dem U-Bahnhof Cottbusser Platz zum Veranstaltungsort erklärt. In einem spielerischen Akt mit Anwohnern und Flüchtlingen soll ein Monument aufgestellt und wieder gestürzt werden. Gemeinsam wird überlegt, was mit Grünflächen wie dieser passieren könnte. Wofür sich engagieren und wie? Bei derlei Entscheidungen kann es helfen, sich auf die Spuren der Kunst zu begeben. Auch nach der Wahl.

Ausstellung "Ene Mene Muh und welche Stadt willst Du?", NGBK, bis 3.10., täglich 12-19 Uhr, Mi-Fr bis 20 Uhr;
Auftakt und Künstlergespräch, Grünfläche U5 Cottbusser Platz (Ausgang Carola-Neher-Str.), Ausstellung der Beiträge zu „Kunst im Untergrund“ bis 18. 9., in der „station urbaner kulturen“, Cecilienplatz 5, Hellersdorf.
Vormerken: Erster Lichtenberg-Spaziergang von Erik Göngrich im Rahmen der Ausstellung "Plötzlich diese Teilhabe", So 2.10., 14 Uhr, Treffpunkt: S-Bahn Storkower Str.

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