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Geruchsexperimente. Videostill aus Anicka Yis Installation "The Flavor Genome" (2016).
© Courtesy Yi/47, Canal, New York

Julia Stoschek Collection: Die Sprache der Tiere

Humboldt ist überall: Die Berliner Stoschek Collection sucht nach der Verbindung von Kunst und Natur.

Die einfachen Bilder, die schlichten Aufnahmen – sie haften häufig am nachhaltigsten in der Erinnerung. Nancy Holt und Robert Smithson streifen nur durch Schilf, die Kamera auf die sich vor ihnen teilenden Halme gerichtet, Heike Baranowsky filmt in Nahaufnahme vom Wind bewegtes Gras, Kader Attia zeigt den Ausschnitt einer BBC-Tiersendung über den australischen Prachtschleierschwanz, der das Klicken der Linse eines Fotoapparats, den Klang einer Sirene oder das Geräusch einer Motorsäge perfekt nachgeahmt in seinen Balzgesang integriert. Ironie der Geschichte: Die Kettensäge beraubt den Vogel immer mehr seines Lebensraumes, dessen Veränderungen er doch gerade adaptiert.

Mensch, Tier, Natur gehen fortschreitend eine Gemengelage ein, in der nicht mehr klar voneinander zu scheiden ist, wo wir uns gerade befinden, welches Zwischenstadium der gegenseitigen Anpassung, Verdrängung, Verschwisterung wir erreicht haben. „Jaguars and Electric Eels“, die zweite Ausstellung der Stoschek Collection in Berlin, versucht nicht die Antwort darauf zu finden, in welchem Erdzeitalter wir leben, ob der Mensch noch im Zentrum steht, sie gibt den Fragen vielmehr ein Forum. Zugleich verbeugt sie sich vor dem großen Kulturheiligen der Stadt, Alexander von Humboldt, auf dessen Reisebericht vom Orinoco der Ausstellungstitel anspielt. Wie schon bei der Eröffnung ihres privaten Showrooms im vergangenen Sommer kurz vor der Berlin Biennale signalisiert Julia Stoschek, dass sie die Diskurse in der Hauptstadt genau verfolgt und sich wie an ihrem Hauptsitz in Düsseldorf einzumischen gedenkt. Die Aufmerksamkeit ist der Sammlerin garantiert, denn Videokunst dieser Größenordnung und Güte gibt es in den öffentlichen Häusern nicht. Nun hat sie so etwas wie ein privates, temporäres Humboldt-Forum.

Von Jaguaren und Zitteraalen berichtete Alexander von Humboldt nach seiner großen Reise in den Jahren 1799 bis 1804 – und wie sich ihm die Natur Südamerikas in ihrer faszinierenden Vielfalt darbot. Der Forscher war einer der Ersten, der einen Zusammenhang zwischen Rodungen und Trockenheit feststellte, die Veränderlichkeit von Flora und Fauna systematisch beobachtete und die Rolle des Menschen in dem Zusammenspiel beschrieb, das wir heute Ökologie nennen.

Grüne Halsbandsittiche fliegen die Königsallee hinauf

Ein Begriff wie Klimawandel und das Verschwinden ganzer Arten, wenn ihnen die Anpassung nicht gelingt, sind längst zum Allgemeinplatz geworden. Wohin der Weg führen könnte, was wir im Voraus bedenken müssten, das zeigen häufig schon sehr früh die Künstler: mit Poesie, Brutalität oder einer Form der Dokumentation wie Cyprian Gaillard, der während seiner Ausstellung vor zwei Jahren in der Düsseldorfer Stoschek Collection von seinem Hotelfenster aus die grünen Halsbandsittiche beobachtete, die in der Abenddämmerung als Schwarm die Königsallee herauf- und herunterfliegen.

Aus Afrika und Asien als Käfigvögel importiert, sichern sie sich in freier städtischer Bahn ihr Überleben, indem sie die hell erleuchteten Schaufenster der Kö als Orientierung, die Platanen auf dem Mittelstreifen als Schutz vor Feinden nehmen. Auf ihrem Weg zum Hofgarten am oberen Ende der Prachtstraße umkreisen sie das Denkmal des einstigen Gartenbaudirektors, von dessen Plänen für einen Landschaftspark nur wenig geblieben ist. Straßen und Häuser fraßen sich vor.

Die 36 Werke umfassende Ausstellung von 30 Künstlern, verteilt auf drei Geschosse in dem Gebäude, das zu DDR-Zeiten das tschechoslowakische Kulturinstitut beheimatete, versucht immer wieder jenen Punkt zu treffen, an dem Natürlichkeit und Künstlichkeit ineinander übergehen. Besonders verstörende Bilder hat dafür die koreanische Künstlerin Anicka Yi gefunden. In ihrem Video „The Flavor Genome“ nimmt sie selbst die Rolle der Forscherin ein, die sich in Südamerika auf die Suche nach dem Aroma-Erbgut macht. In ihrer fantastischen Geschichte wechseln sich Aufnahmen vom Amazonasgebiet mit Laborszenen ab, folgen auf Bilder von sich teilenden Organismen junge Männer, die vom Wasser aus einen Delphin mit Fischen füttern.

Glibberige Störeier und eine Honigwabe auf Metallbeinen

Die gleichen glibberigen Störeier aus dem Labor des Films finden sich in Anicka Yis Skulptur wieder, die ebenfalls zu sehen ist: eine Honigwabe auf Metallbeinen. Irgendetwas brütet hier, wird dem Betrachter suggeriert, im Inneren leuchtet eine digitale Anzeige. Das Ergebnis kann nur ein hybrides Wesen sein, eine beängstigende Vorstellung.

Wohin gehen wir? Diese Menschheitsfrage scheint in vielen Beiträgen der Ausstellung auf. Etwa in Doug Aitkens Epos „Blow Debris“, das er in der Mojave-Wüste drehte, wo eine Kommune fern der Zivilisation zu leben versucht. Aitkens Darsteller laufen nackt wie Adam und Eva durch die kärgliche Gegend, in der kaputte Fernseher herumliegen, aber auch fahrbereit mal ein Auto steht. Nicht minder bombastisch, nur bei anderen Temperaturen kreist Isaac Juliens dreiteilige Film-Installation „True North“ um dieses große Thema. Bei ihm wandelt die schwarze Hauptfigur durch das ewige Eis, eine Hommage an den Afro-Amerikaner Matthew Henson, der 1909 an der ersten Polar-Expedition teilnahm, jedoch ebenso wie die vier begleitenden Inuit bei der triumphalen Heimkehr des ersten Nordpol-Bezwingers Robert Peary in Vergessenheit geriet.

Wohin wir gehen? Für sich hat Julia Stoschek diese Frage vorläufig beantwortet. Zumindest die nächsten fünf Jahre will sie in dem mit viel Aufwand zum Ausstellungsort umgebauten Haus an der Leipziger Straße bleiben. Die Sammlerin zieht es dauerhaft nach Berlin, das erklärte sie nun erneut, auch ihre Kollektion soll hier beheimatet werden. Im Sommer aber wird zunächst das zehnjährige Bestehen ihres Düsseldorfer Sammlermuseums gefeiert, ein Hybrid eigener Art.

Julia Stoschek Collection, Leipziger Str. 60, bis Herbst 2017, Di bis So 14 – 18 Uhr. Eröffnung, 4. 2., 18 Uhr.

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