Türkei unter Erdogan: Die Situation der Künstler und Galerien ist dramatisch
In der Kunstszene Istanbuls herrscht ein Klima der Angst und Repressionen. Viele Galeristen und Künstler sitzen auf gepackten Koffern.
Es geht inzwischen um alles, auch in der Kunst. Zum Beispiel Bedri Baykam, wuschelköpfiger Künstler, Galerist und rastloser Präsident der Unesco Künstlervereinigung. Gerade mal vier Jahre ist es her, da wurde er in Istanbul auf offener Straße überfallen, ein Islamist schlitzte ihm mit einem Küchenmesser den Unterleib auf. Baykam schwebte in Lebensgefahr. Doch der Hass verfolgte ihn bis in den Gerichtssaal. Am Ende drehte sich der Attentäter zu ihm um und rief: „Wenn ich wieder rauskomme, landest du in der Hölle.“
Nicht alle in der Türkei lieben die Kunst. In einem Klima schriller Repression stehen auch die Künstler am Abgrund. Und das in einer so strahlenden Metropole wie Istanbul, die Fatih Akin 2005 mit seinem Dokumentarfilm „Crossing the Bridge“ noch romantisch verklärt hatte. Heute stehen vermummte Militärs und Polizisten auf Straßen und an Eingängen, die Schals tief übers Gesicht gezogen. Es weht ein kühler Wind. Fast alle hier sind verunsichert, der Tourismus ist eingebrochen. Und auch die Kunstszene wackelt, wie im November die wichtigste Kunstmesse der Türkei, Contemporary Istanbul, feststellen musste. „Nach dem Putschversuch haben rund ein Drittel der gemeldeten Galerien storniert“, rekapituliert Ali Güreli, der Gründer, Erfinder und unermüdliche Promoter der CI. Hier wurde früher gekauft, was das Zeug hält. Diesmal waren statt der erwarteten 95 nur 70 Galerien am Start. Die Angst geht um in der früher so lässigen Szene.
Die Contemporary Istanbul gilt als Leuchtturm der Freiheit
Kunstshopping – das war eben noch das heißeste neue Ding in Istanbul, ein Jahreshöhepunkt als Party-Event, mit reichlich Champagner und 70 000 Besuchern. Ali Güreli, der große Zampano, wollte seine Messe auf Augenhöhe mit Basel, Miami und London bringen. Doch die Wucht des politischen Umsturzes in der Türkei machte dem cleveren Kulturmanager erst mal einen Strich durch die Rechnung. „Von August bis Oktober sind wir in der ganzen Welt herumgereist und haben unseren Partnergalerien eingetrichtert: Leute, ihr müsst kommen, gerade jetzt nach dem Putsch. Schon aus Solidarität. Wir brauchen eine Kunstmesse der Mutigen.“ Ungewöhnliche Töne für eine Kunstmesse, der es in der Regel um Geld und Kommerz geht. Doch die Contemporary Istanbul spielt eine Sonderrolle. Sie ist ein Pfeiler gegen die Gleichschaltung in der Türkei. Hier gab es schon immer, bei allem Dekorativen und nicht immer Geschmackvollen, auch politische Kunst, die das Bild einer anderen, fortschrittlichen Türkei an die Wand malte. Jetzt steht alles infrage.
Nachdem schon mehrere türkische Biennalen abgesagt wurden, gilt die CI umso mehr als Leuchtturm der Freiheit. Doch die regierende „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ legt der Kunst Daumenschrauben an. Im Stadtteil Topane machte ein islamistischer Mob brutal Jagd auf Galeristen und Kunstliebhaber – angeblich weil bei den Vernissagen Alkohol ausgeschenkt wird. Das Land ist gespalten, der Kulturkampf tobt nicht erst seit den verzweifelten Protesten im Gezi-Park.
Die Künstler wehren sich. Sükran Moral etwa, die bekannteste Performance- Künstlerin der Türkei. Eine Frau, die ihren Körper mit virtuoser Gewalt einsetzt, eine türkische Marina Abramovic. Viele verlogene Tabus hat sie schon geknackt. Ende der neunziger Jahre marschierte sie nackt in ein Hammam, das nur Männern vorbehalten war, und durchbrach so die Ordnung der Geschlechter. Mit blonder Perücke und einem Schild „Artist for Sale“ rückte sie zu einer Performance im Bordell aus. Dann wiederum heiratete sie drei Männer gleichzeitig, aus Protest gegen die in der Türkei praktizierte Polygamie. Das islamische Establishment schäumte, es gab Todesdrohungen. Der ebenfalls bedrohte Istanbuler Galerist Moiz Zilberman musste Bodyguards anheuern, die Künstlerin floh zeitweise ins Ausland.
Die kalte Angst vor Flucht und Exil
In der üblicherweise eher keimfreien Welt der Kunstmesse mit ihren parfümierten White Cubes trudelte Sükran Moral mit einem Plastikkoffer voll blutender Rinderherzen ein und nagelte sie wie bei einer Kreuzigung an eine weiße Galeriewand. „Wir dürfen nicht beim Abendessen zusehen, wie sich die Repression immer weiter ausbreitet“, meint sie. „Das Einzige, was ich als Künstlerin noch leisten kann, sind Hit-and-Run-Performances, spontane, unangekündigte Aktionen gegen die Zensur.“
Zur Eröffnung hatte Güreli vor internationalem Publikum noch sehr schöne und geschmeidige Worte gefunden. Mut sei jetzt gefragt. Prompt überblendete die Künstlerin Azade Köker in der Galerie Zilberman das alte und das neue, im Kampf pulverisierte Aleppo in einem meterlangen historisierenden Wandgemälde. Inzwischen sitzen viele Galeristen und Künstler auf gepackten Koffern, man spürt die kalte Angst von Flucht und Exil, so als sei 1933 plötzlich zurück. Die Kreativen in der Türkei brauchen einen Plan B – und jeder hat seinen schon in der Tasche. Der Chef der avantgardistischen Galerie x-ist, Dario Beshkenazy, sagt: „Ich bin Jude, meine Familie lebt hier in Istanbul seit 1492. Doch jetzt überlege ich mir erstmals, das Land zu verlassen.“
Der 62-jährige Galerist Moiz Zilberman, früher ein erfolgreicher Industrieunternehmer, hat vorsichtshalber im vergangenen Jahr schon einmal eine Dependance in Berlin eröffnet. In Istanbul beweist er gesellschaftskritisches Engagement, in Charlottenburg war zuletzt ein eher poetisches Bildergeflecht zu sehen, „The Red Gaze“. Die Kuratorin Shulamit Bruckstein Coruh hat dort orientalische und westliche Bildwelten in Berührung gebracht. Von so viel kuratorischer Intelligenz könnten sich die Macher des künftigen Humboldt-Forums, die noch die große Synthese suchen, eine Scheibe abschneiden. „Ich bin Pessimist, aber ich glaube an die Dynamik der Türkei“, sagt Moiz Zilberman auf seiner Istanbuler Galeriecouch.
Logistisch rüstet man hinter den Kulissen schon auf. In diesem Jahr wird die Kunstmesse Contemporary Istanbul, zeitgleich mit der Istanbul Biennale, im September ausgetragen. Es soll dann eine Art Week geben, mit Biennale, Kunstmesse und Vernissagen – sofern die Politik es zulässt.
Werner Bloch