"Paradies: Liebe": Die Sexkäuferinnen
Hier die europäischen Sugarmamas, dort die afrikanischen Beachboys: Ulrich Seidls Film „Paradies: Liebe“ beobachtet kühl, wie der Markt der Körper in Kenia funktioniert. Schlimm wird es nur, wenn Gefühle dazwischen kommen.
Single-Mutter um die 50 sucht Sextourismus in Kenia. Niederösterreichische Hausfrau lebt Amour fou mit Jesus als Rosenkriegswaffe gegen ihren muslimischen Ehemann aus. Pummeliger Teenager verfällt Schlankheitsarzt, der ihr Vater sein könnte: Diese Dramen, klotzig wie Kolportage-Schlagzeilen, tragen sich in Ulrich Seidls „Paradies“-Trilogie in einer losen Frauenfamilie zu. Mutter, Schwester und Tochter folgen im selben Sommer an verschiedenen Orten parallel und doch als austauscharme Monaden ihren Obsessionen, um sich mit Wucht aus ihren spezifischen Einsamkeiten hinauszusprengen.
„Paradies: Liebe“, die im Wettbewerb von Cannes 2012 uraufgeführte Geschichte der frustrierten Urlauberin, ist der Auftakt des Projekts. Ursprünglich sollte es ein Episodenfilm werden, entwickelte sich jedoch zu drei Sittengemälden über masochistische Rebellinnen. Bereits mit Dokumentarfilmen wie „Tierische Liebe“ und „Models“ oder quasi-dokumentarischen Spielfilmen wie „Hundstage“ und „Import Export“ brannte der Ex-Jesuiten-Schüler seine unbehaglichen Bilder ins Schmerzgedächtnis des Publikums ein.
Auch „Paradies: Liebe“, die Irrfahrt der Sozialarbeiterin Teresa (Margarethe Tiesel) in den europäisch-afrikanischen Liebesmarkt, ist in Seidls stilistischer Handschrift zum plastisch grellen Traktat überhöht. Hochintensive Schauspielarbeit zwischen professionellen und Laiendarstellern raut die Oberfläche an. Dabei strukturieren die präzise komponierten Tableaus und entschleunigten Erzähltempi die improvisierten Spielszenen zu Modellanordnungen.
Teresa (Margarethe Tiesel), die Protagonistin, ist eine einkaufstütenschleppende Vorstädterin, ein leicht hüftsteifer Wohlstandsbrocken, das glatte Gegenteil ihrer frommen, ich-vergessenen Namensvetterin Mutter Teresa. Die Eingangsszene, in der Teresa eine Gruppe geistig Behinderter auf dem Rummel beim wüsten Gerempel ihrer Autoscooter überwacht, steht als grandios sarkastisches Bild für den Wahnsinns-Alltag, aus dem sie flüchtet. Die blonde Frau mit den weichen Zügen und dem Hexengelächter will erkannt, begehrt und geliebt werden, das offenbaren selbst die raunzigen, groben Schwatzrunden mit gleichgesinnten Frauen am Pool. Und die eingespielten Rituale zwischen den Beachboys hinter der Hotel-Absperrung und den sexhungrigen Wohlstandsurlauberinnen im Resort bringen ihre anfängliche Schüchternheit zum Verschwinden.
Den Männern kommt es aufs Bargeld an
Seidl folgt Teresa bei ihren Strandgängen mit der Handkamera wie ein Verhaltensforscher, der erbarmungslos notiert, wie die älteren, sich nicht mehr attraktiv fühlenden Frauen die Hemmungen verlieren und ihre ökonomische Stärke ausspielen. Eine kundige, naiv- obszön erfahrene Freundin (Inge Maux) legt Teresa nahe, sich als Sugarmama einen Liebhaber zu suchen. Die Frauen, die sich am Pool auf exakt ausgerichteten Liegestühlen sonnen und beim Cocktail prustend über den höflichen Bar-Jungen lustig machen, fühlen sich auf dem heimischen Partnermarkt ausgegrenzt. Nun kompensieren sie die Demütigung, indem sie über schöne junge Männerkörper verfügen.
„Paradies: Liebe“ porträtiert dieses unter gleißender Sonne irrlichternde Tollhaus in aller Ruhe. Munga (Peter Kazunga), Salama (Carlos Mukutami), Gabriel (Gabriel Nguma Mwaruma) verstehen sich allesamt auf rudimentäre Konversation. In den kargen Hütten, die für die Rendezvous mit Bett, Moskitonetz und Wäschekörben aus Plastik möbliert sind, lassen sie sich von Teresa, der sehnsüchtig besitzergreifenden Herrin, widerwillig anleiten. Die Europäerin hat Bilder romantischer Liebe im Kopf, die sie dem Liebhaber wie einem störrischen Kind einzureden versucht.
Den Männern allerdings kommt es auf Bargeld an, wobei der Preis nicht wie im offenen Prostitutionsgewerbe verhandelt wird. So münden Teresas Abenteuer in der Frustrationsschleife immer neuer Geldforderungen oder dem plötzlichen Abbruch der Affären. Im emotionalen Taumel, den das ausbeuterische Scheinverhältnis in der Frau hervorruft, liegt die Stärke von Ulrich Seidls Inszenierung. Teresa ist post-koloniale Ausbeuterin und heimwehkranke Verlorene zugleich.
Die zwiespältige Identifikation, die „Paradies: Liebe“ provoziert, wird auf die Probe gestellt, als die Verrohung der Frauen sich steigert. Die Freundinnen schenken Teresa zum Geburtstag einen Stripper-Boy, den die vier hemmungslos animieren, ohne seine Erektion zu erreichen. So bricht sich das fetischisierte Körperideal – in Ironie.
FT am Friedrichshain, Hackesche Höfe, Kant, Kulturbrauerei, Moviemento und Yorck; ein Interview mit Ulrich Seidl ist gestern im Tagesspiegel erschienen.
Claudia Lenssen
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