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Wer blickt hier so stumm im Studio herum? Die Aufnahme einer Sitzenden mit Bühnenmaske von Oskar Schlemmer im Stahlrohrsessel von Marcel Breuer entstand um 1926.
© Erich Consemüller, Bauhaus-Archiv Berlin / Stephan Consemüller

100 Jahre Bauhaus in Berlin: Die Schöne im Stahlrohrsessel

Vom Teekännchen bis zum Fotogramm: Das Bauhaus-Archiv feiert in der Berlinischen Galerie mit 1000 Objekten auf 1200 Quadratmetern Jubiläum.

Gleich sieben Mal steht es da. Das Tee-Extraktkännchen ist heute ein Klassiker des Bauhauses. Es ist einfach und komplex zugleich, auf der Grundlage von Kreis, Dreieck und Quadrat entworfen, den Grundformen, die in vielen Bauhaus-Werken wiederkehren. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Kännchen nur minimal. Mal ist der bauchige Korpus gehämmert, mal glatt poliert, mal aus Silber, Messing oder Bronze. Nur das Material des Griffs in Form einer halbrunden Scheibe besteht bei allen aus Ebenholz. Vermutlich würde selbst Marianne Brandt stutzen, die alle sieben schuf und nie sah, wie unterschiedlich sie alle ausfielen.

Das Tee-Extraktkännchen ging nie in Serie

Die große Jubiläumsausstellung des Bauhaus-Archivs hat sie wieder zusammengeführt, unter anderem aus dem Metropolitan Museum in New York, dem British Museum in London, aus Weimar und Los Angeles. Eigentlich als Prototyp für die Industrie gedacht, ging das Kännchen nie in Serie. Das Luxusobjekt eignete sich nicht dafür und blieb Unikat. An ihm lässt sich die ganze Spannbreite der Produktion am Bauhaus ablesen. Mit dem Kännchen absolvierte Marianne Brandt als eine der ersten Frauen in der Metallwerkstatt ihre praktische Ausbildung, sie erhielt dafür einen Gesellenbrief. Danach hätte das handgefertigte Stück vom Band laufen sollen.

„original bauhaus“, so der Ausstellungstitel, geht dieser Ambivalenz auf den Grund. Im Museum wird dem Original gehuldigt, doch schon im nächsten Einrichtungshaus sind Marcel Breuers Stahlrohrstühle käuflich zu erwerben, die den einst in Dessau entwickelten Möbeln zum Verwechseln ähnlich sehen. Damals schrieb László Moholy-Nagy seinen Text „Produktion – Reproduktion“. Der Lichtkünstler interessierte sich immer schon für fotografische Verfahren und nahm es womöglich auch mit dem Kopieren nicht so genau. Zumindest warf ihm El Lissitzky vor, dass sich der ungarische Bauhaus-Meister die Fotogrammtechnik bei Man Ray abgeguckt habe. In der Ausstellung hängen nun die Arbeiten beider Künstler einander gegenüber.

„original bauhaus“ ist die etwas andere Jubiläumsausstellung, Berlin hat sich nach den großen Aufschlägen in Weimar und Dessau locker gemacht und erzählt mit seiner Schau lauter kleine Geschichten, die manchmal sehr viel mehr über den Geist der Kunstschule vermitteln. Die anderen Bauhaus-Städte haben neue Museen zustande gebracht, in Berlin bestimmt typischerweise eine Baustelle das Bild, wo am Landwehrkanal eigentlich längst ein Neubau stehen sollte. Nach dem Auftakt zu Jahresbeginn in der Akademie der Künste mit einem performativen Festival und einer Konferenz im Haus der Kulturen zelebriert die Stadt, in der das Bauhaus nur wenige Monate bis zu seiner Schließung 1933 existierte, das Jubiläum eine ganze Woche lang mit lauter Aktivitäten von Yoga auf dem Flachdach, Schaufensterpräsentationen bis hin zum OpenAir-Kino.

Das Bauhaus-Archiv leistet seinen eigenen Beitrag zur Ausstellung

Für die große Schau als Hauptakt der Feierlichkeiten hat das Bauhaus-Archiv Unterschlupf bei der Berlinischen Galerie gefunden, ein Glücksfall für beide Seiten. Das eine Landesmuseum bekommt eine Ausstellung frei Haus und kann eigene Schätze zur Geltung bringen wie Hannah Höchs pralles Adressbuch und eine noch nie gezeigte handschriftliche Werkliste. Eigentlich hätte die Dada-Künstlerin 1932 ihre erste Einzelausstellung im Bauhaus haben sollen, die Liste stand bereits, wären in Dessau nicht die Nationalsozialisten an die Macht gekommen, die den Geldhahn gleich zudrehten. An der Wand hängen acht von den 15 in der Liste aufgeführten Fotomontagen. Das andere Landesmuseum profitiert wiederum vom Ortswechsel und breitet nun über 1000 Objekte auf 1200 Quadratmetern aus, mehr als im Bauhaus-Archiv je Platz gewesen wäre.

Hier konnte sich Kuratorin Nina Wiedemeyer in 14 Kapiteln entfalten, so viele Jahre, wie es das Bauhaus gab, nur dass sie gerade nicht chronologisch vorgeht, sondern überraschende Entdeckungen macht wie jene vom „Ungleichen Zwilling“. Erst spät wurde in der kleinen Gemeinde Burbach im Siegerland ein Pendant zum berühmten Haus am Horn entdeckt, das 1923 als Musterhaus der Bauhauses entstand. Zwar gleichen sich die Grundrisse, doch wo das Haus am Horn die Coolness der Moderne feiert, breitete sich in Burbach gediegene Bürgerlichkeit aus. Wie es ein Dreivierteljahr später zu dieser erstaunlichen Nachschöpfung kam, darauf hat auch die Ausstellung keine Antwort.

Das Bauhaus wusste sich zu inszenieren

Ebenso wenig auf die Frage, wer hinter der Maske auf dem wohl bekanntesten Bauhaus-Foto steckt. Wer war die unbekannte Schöne im modischen Kleid, die sich mit übereinandergeschlagenen Beinen auf Breuers Stahlrohrsessel niederließ und den Betrachter unverwandt aus den beiden Gucklöchern anschaut? Erich Consemüllers Aufnahme gehört ebenfalls zu den Inkunabeln, fasst sie doch in einem Bild die Sparten Möbeldesign, Textil, Bühne, Fotografie zusammen – und die Werbung. Das Bauhaus wusste sich zu inszenieren.

Zu den möglichen Kandidatinnen für das Fotomodell gehört auch Ise Gropius, die Gattin des Bauhaus-Gründers und größten Promotors. Ihr begegnet der Besucher noch einmal an einer Schauwand, auf der die über 50 Vorträge von Walter Gropius aufgeführt sind. Gewissenhaft kommentierte sie jeden davon in ihrem Tagebuch. Beim Richtfest finden darin sogar die Bauarbeiter Erwähnung, die sich alle Mühe gaben, nach der Bauhaus-Kapelle zu tanzen. Gerade diese Trouvaillen machen die Berliner Jubiläumsausstellung zu einem ebenso lehrreichen wie vergnüglichen Erlebnis.

An Bauhaus-Schlaubergern sei sie weniger interessiert, sagt Kuratorin Wiedemeyer. Umso mehr vermittelt ihre Ausstellung vom Leben an der Kunstschule, den Zufällen und Strategien. Die Lust am Experiment ist in allen 14 Kapiteln spürbar, als gäbe es da noch nach 100 Jahren eine Energiezufuhr. Dem neuen Bauhaus-Archiv ist zu wünschen, wenn es den Betrieb wieder aufnimmt, dass ihm von der Lockerheit, dem Spielerischen etwas bleibt, das klug Verbindungen zur Gegenwart aufnimmt. Die vielen Hommagen an Oskar Schlemmers Gemälde „Die Bauhaustreppe“ – ob gemalt, gezeichnet, fotografiert – zeugen von der Anziehungskraft. Die wenigsten wissen, dass es sein Abschiedsbild war.

Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124–128, bis 27. 1., Mi–Mo 10 –18 Uhr, Katalog 29 €.

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