Die Künstlerdynastie Cranach: Die schnellsten Maler der Welt
Ihre Wittenberger Malerwerkstatt war ungeheuer produktiv: 1500 Gemälde schufen Vater und Sohn Cranach mit ihren Gehilfen. In Weimar, Gotha und Eisenach wird nun dieses „Team Cranach“ mit Ausstellungen gefeiert.
Der Ort, an dem die deutsche Sprache erschaffen wurde, wirkt wie eine rustikale Eremitenhöhle. Zwischen holzvertäfelten Wänden stehen ein wuchtiger Schreibtisch und ein Lehnstuhl mit einem Walwirbel davor. Auf ihn soll Martin Luther seine Füße gelegt haben, als er im Herbst 1521 innerhalb von elf Wochen das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzte. Als „Junker Jörg“ hatte sich der Reformator auf die Wartburg bei Eisenach geflüchtet, nachdem er auf dem Wormser Reichstag vom Kaiser für „vogelfrei“ erklärt worden war, was hieß, dass er von jedermann straffrei hätte getötet werden können.
Einmal, so lautet eine Legende, wurde Luther auf der Wartburg vom Teufel belästigt, den er dann mit dem Wurf eines Tintenfasses vertrieb. Der berühmte Fleck gleich neben dem Kachelofen ist nicht mehr zu sehen. Das Dokument von Luthers Zorn wird nicht mehr erneuert, weil es zu oft von Besuchern abgekratzt wurde. Überhaupt handelt es sich bei der Lutherstube, dem Allerheiligsten der alljährlich von 350 000 Touristen besuchten Burg, eher um die Inszenierung einer Kult- und Andachtsstätte, die im 19. Jahrhundert aus Mobiliar zusammengepuzzelt wurde, von dem kaum ein Stück tatsächlich etwas mit dem verehrten Bewohner zu tun hat.
Wer authentischen Zeugnisse aus Luthers Leben begegnen möchte, muss bloß ein paar Schritte weitergehen, ins Haupthaus der Burg, wo unter dem Titel „Bild und Botschaft“ derzeit die Lutherporträts der Cranach-Werkstatt gezeigt werden. Der Junker Jörg taucht hier gleich in mehrfacher Ausfertigung auf, auf Holzschnitten und Gemälden. Er trägt betont weltliche Gewänder, lange Haare anstatt der Tonsur des Mönches und einen Vollbart mit gezwirbelten Spitzen. Luther war durch eine Scheinentführung von Truppen seines Protektors, des sächsischen Kurfürsten Friedrich des Weisen, vor seinen Verfolgern gerettet und auf die Wartburg begleitet worden. Offiziell galt er als verschollen. Die Bilder, in hohen Auflagen verbreitet, transportierten eine Propagandabotschaft: Der Kirchenrebell lebt noch, und er trotzt der Bannbulle des Papstes und der Reichsacht des Kaisers.
Lucas Cranach der Ältere war 1504 in der damaligen Residenzstadt Wittenberg, die kurz vor ihrem Sprung zum Zentrum von Humanismus und Reformation stand, zu Friedrichs Hofmaler ernannt worden. Doch erst das Privileg, Luther porträtieren zu dürfen, verschaffte dem Maler so viel Aufträge, dass seine Werkstatt zur größten nördlich der Alpen aufstieg und er bis heute unser Bild von der Reformation prägt. Für keinen anderen Künstler saß Luther Modell, selbst Dürer, der 1520 in einem Brief bat, den Verfasser der von ihm geschätzten Ablass-Thesen zeichnen zu dürfen, bekam eine Absage.
In allen Luther-Bilder Cranachs stecken verborgene Botschaften
Wie sehr Luther Cranach schätzte, der später sein Trauzeuge und Pate von seinem Sohn werden sollte, zeigt die Tatsache, dass er im Dezember 1521 seinen Aufenthalt auf der Wartburg unterbrach, um nach Wittenberg zu eilen. Dort musste er den von seinen Ideen entfachten Sturm bändigen, denn Bilderstürmer drohten, auch die Altäre des Freundes in den Kirchen der Stadt zu zerstören. Bei dieser Gelegenheit muss eine Skizze entstanden sein, der dann die Bilder vom Junker Jörg folgten.
Der Kurator Günter Schuchardt hat Cranachs Luther-Porträts in sieben Typen eingeteilt, vom ersten Stich des Augustinermönches 1520 bis zum Totenbildnis 1546. Auf den ersten Blick mögen sie wie realistische Abbildungen erscheinen, doch oft stecken in ihnen verborgene Bedeutungen, die von zeitgenössischen Betrachtern schnell erkannt wurden. Das Profilbildnis mit Doktorhut von 1521 demonstrierte, dass der Mann, der vier Jahre vorher mit seinen 95 Thesen die Welt hatte erbeben lassen, ein seriöser Wissenschaftler war. Die kleinformatigen Hochzeits- und Ehebilder sollten Mönchen und Nonnen Mut machen, wie Martin Luther und Katharina von Bora ihr Kloster zu verlassen. Und selbst die Totenbildnisse, die einen entspannten, nur leicht faltigen Alten zeigen, hatten eine theologische Aufgabe: zu beweisen, dass der Rebell, auch ohne die Sterbesakramente empfangen zu haben, friedlich eingeschlafen war.
Aus Anlass des 500. Geburtstag von Lucas Cranach d. J., der am 4. Oktober 1515 zur Welt kam, feiert Thüringen das Werk von Vater und Sohn mit drei Ausstellungen, auf der Wartburg, in Gotha und Weimar. Außerdem wird die Geburtsstadt Wittenberg ab Ende Juni den Sohn mit der allerersten Ausstellung ehren, die allein ihm gewidmet sein soll. Zu sehen sind mehr als 500 Exponate von den Cranachs und aus ihrem Umfeld, viele von ihnen Leihgaben aus den europäischen Museen vom Prado in Madrid bis zum Kunsthistorischen Museum in Wien.
Diese Überfülle verdeutlicht ein zentrales Problem der Cranach-Forschung. Die Wittenberger Werkstatt war ungemein produktiv, sie hinterließ rund 1500 Gemälde sowie ein Vielfaches an druckgrafischen Blättern. Und weil es darauf ankam, alle Aufträge in gleichbleibender Qualität zu erfüllen, ist es oft unmöglich, die Urheber der Werke zu unterscheiden. Biografische Daten ergeben bloß ein grobes Raster für Zuschreibungen. So lässt ab 1537, als Cranachs ältester, für die Nachfolge vorgesehene Sohn Hans starb, sein Wappentier, eine geflügelte Schlange, die Flügel hängen. Und bereits vor seinem Tod 1553 muss der Vater seine Werkstatt an den jüngeren Lucas übergeben haben. Künstlerisch brachte der Sohn einige Innovationen ins Werk, etwa die naturalistischen Schlagschatten der italienischen Renaissance oder den leicht bizarren Bildertypus eines „Letzten Abendmahls“ – ein Beispiel ist in Weimar zu sehen –, bei dem sich statt der Apostel zwölf Reformatoren um Jesus versammelt haben.
Die Arbeitsweise der Cranachs scheint Andy Warhols "Factory" vorweggenommen zu haben
Um die Nachfrage bedienen zu können, kopierten und variierten die Cranachs ihre erfolgreichen Bilderfindungen vielfach. Für Umrisse und Gesichter benutzten sie Schablonen. Derartige Produktions- und Vertriebsstrategien erscheinen ungemein modern, beinahe wirkt die Wittenberger Bildermanufaktur wie eine Vorwegnahme von Andy Warhols Factory. Die Gothaer Kuratoren Benjamin Spira und Timo Trümper sprechen vom „Musterbeispiel eines frühneuzeitlichen Brandings“ und schlagen vor, die Autorschaft der Bilder lieber einem „Team Cranach“ zuzuweisen als aufwendig nach einer Zuschreibung an den alten oder jungen Meister zu suchen. Dem Kunstmarkt liegt dagegen an einer „Unterscheidung der Hände“, weil Werke des Vaters zehnmal höher bewertet werden.
Die Ausstellung im frisch renovierten Herzoglichen Museum mit dem Titel „Bild und Botschaft – Cranach im Dienst von Hof und Reformation“ ist das inhaltlich ambitionierteste Unternehmen. Im Mittelpunkt steht ein Saal, in dem Papier symbolisch unter der Decke baumelt. Gezeigt wird, wie Bilder in den konfessionellen Kämpfen der Reformation zu Waffen wurden. Noch etwas unbeholfen zeigt Vater Cranach auf seinem Flugblatt „Der Himmel und Höllenwagen des Andreas Bodenstein“, wie reformierte Gläubige, angeführt von Paulus, Christi entgegenreiten, während darunter, begleitet von comicartigen Texttafeln, der Papst und seine Anhänger Richtung Hölle rollen. 1545 präsentiert er in einer Illustration zu Luthers Pamphlet „Wider das Bapsttum zu Rom vom Teuffel gestifft“ einen Papst, der von Teufeln in den Höllenschlund gestoßen wird, der dem Maul eines Monsters gleicht. Aber auch die Gegenreformation greift zu deftigen Satiremitteln und macht aus Luther auf einem anonymen Holzschnitt von 1529 ein siebenköpfiges Teufelswesen.
Lucas Cranach d. Ä. war mit Luther befreundet und verlegte die erste Ausgabe von dessen Bibelübersetzung. Trotzdem arbeitete er auch für katholische Auftraggeber. Weil es nur wenige biografische Quellen gibt, bleibt unklar, ob er selber überhaupt reformiert war. 1552 zog Cranach mit seinem Fürsten Johann Friedrich dem Großmütigen in dessen neue Residenz nach Weimar. Vorangegangen war eine Katastrophe für das Fürstengeschlecht der Ernestiner. Johann Friedrich wurde als Anführer der protestantischen Partei in der Schlacht bei Mühlberg von den kaiserlichen Truppen geschlagen und gefangen genommen. Er verlor seine Kurwürde und einen Großteil seines Territoriums.
Cranach weigerte sich, mit seinem Landesherrn in die Gefangenschaft nach Augsburg zu gehen. Stattdessen malte Tizian dort Johann Friedrich im Auftrag des Kaisers als geschlagenen Ritter mit gesenktem Schwert und der bei der Festnahme erlittenen Wunde auf der Wange. Das aus dem Prado ausgeliehene Bild gehört zu den Prunkstücken der Weimarer Ausstellung. Die Cranach-Werkstatt verwandelte die Niederlage dann in einem symbolischen Sieg, indem sie den Fürsten auf Flugblättern mitsamt der Narbe zeigt, die ihn als Märtyrer des richtigen Glaubens ausweist.
Lucas Cranach d. Ä. wurde auf dem Jacobsfriedhof in Weimar beerdigt. Auf seinem Grabstein steht, er sei „der schnellste Maler“ gewesen. Im 16. Jahrhundert galt das als höchstes Künstlerlob.
Eisenach: Wartburg, bis 19. Juli. Katalog 12,95 €. Gotha: Herzogliches Museum, bis 19. Juli, Katalog 24,95 €. Weimar: Schiller- Museum, bis 14. Juni, Katalog 23 €.
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