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Das Zimmer, der Blick hinaus. Luthers Stube auf der Wartburg in Eisenach dürfte eines der ältesten Touristenziele schlechthin sein.
© Marlis Heinz

Eisenach: Tintenfleck und Hexerei

In Thüringen können sich Besucher auf Martin Luthers Spuren begeben. Die Wartburg ist nur eine von vielen Stationen.

Möhra anno 1483. Im Haus gleich neben der Kapelle, wo die Familie Luther seit zwei Jahrhunderten wohnt, herrscht Unruhe. Hans Luther und seine Frau Margarethe packen ihren Hausstand zusammen. Sie wollen nach Eisleben ziehen. Margarethe ist hochschwanger. Martin wird der Zweitgeborene genannt werden.

So könnte es gewesen sein. Der später so Berühmte wurde im Mutterleib davongetragen. Mit dieser Tragik haben die Möhraer zu leben gelernt. Sie haben eine größere Kirche gebaut und nach Luther benannt. Sie haben ihm ein Denkmal errichtet und Wanderern einen Luther-Weg angelegt. Keine Diskussion: Möhra allein ist der Luther-Stammort! Das heißt allerdings auch: Wann immer im Laufe der Jahrhunderte sich Herrschende mit Luther schmücken wollten, spielte sich das auch in Möhra ab. Und so wurden vor dem Denkmal bei der Kirche auch Fahnen gehisst und Arme in die Luft gerissen. Zeugnisse dieses Lebens mit den Luthers und deren berühmtem Nachkommen haben die Möhraer im Dorfgemeinschaftshaus zusammengetragen.

Die heutige Gemeinde geht entspannt mit ihren einstigen Mitbürgern um. Der pensionierte Pfarrer schmettert seine selbst komponierten Luther-Lieder. Der Besitzer des – nur noch in den Grundmauern existenten – Lutherschen Hauses hat auf historischem Grund Ferienwohnungen eingerichtet. Der unmittelbare Nachbar der Kirche, der ehemalige Parteisekretär der Agrargenossenschaft, führt gelegentlich Gäste durch den Ort. Regelmäßig wird gefeiert, der Reformationstag natürlich, und am ersten Sonntag im Mai wandert man auf Martin Luthers Spuren.

Eisenach anno 1498. Ein Grüppchen Lateinschüler zieht durch die Gassen. Die Jungs klopfen hier und da, singen, bekommen ein paar Münzen oder einen Happen. Unter ihnen der fünfzehnjährige Martin. Seine Eltern sind nicht arm, aber er geht gerne mit. Er gilt als guter Sänger. Als sie vor dem Haus der Familie Cotta Lieder vortragen, fällt er der Hausherrin auf. Sie bietet ihm an zu bleiben.

Martin findet bei Frau Cotta drei Jahre lang Aufnahme und „Brot um Gottes Gnaden“. Auch anderes wabert durch die Gerüchteküche, denn Luther hatte mal unvorsichtigerweise über seinen Aufenthalt geschrieben: „Es ist kein besser Ding auf Erden als Frauenliebe, wems mag werden.“ Gegenleistung Luthers ist die Hausaufgabenhilfe für den Sohn des Hauses. Wichtig für den Jugendlichen war, dass er ungestört studieren konnte. Die reichen Cottas hatten mehrere Grundstücke in Eisenach. Martin lebte höchstwahrscheinlich in jenem stattlichen Fachwerkhaus, das heute als Lutherhaus am „Lutherplatz“ steht.

Höchstwahrscheinlich, wie es fast immer heißt, wenn es um Luther-Stätten geht. „Über seine Kindheit und Jugend hat er nie viel erzählt“, klagt das Weib mit Haube, Schnürmieder und Umhang. Katharina von Bora, die Lutherin. Ohne dieses Gewand, das präzise nach dem auf der Wartburg hängenden Hochzeitsbild geschneidert wurde, wäre sie nur Alexandra Husemeyer, Mitarbeiterin im Lutherhaus und Stadtführerin von Eisenach. Aber so kann sie sich in die Rolle jener Frau begeben, die für ihr energisches Management des Unternehmens Luther bekannt war und die ihr Mann gern „Herr Käthe“ nannte. Mit ihr kann man im „Lutherhaus“ durch alle Räume spazieren – bis hinauf in die Ausstellung über das Evangelische Pfarrhaus.

Erfurt anno 1507. Ein Mönch liegt mit ausgebreiteten Armen vor dem Altar in der Kirche des Augustinerklosters. Das Gesicht zum Steinboden spricht er das Gelübde.

Im Jahre 1501 war Martin in diese Stadt, das Thüringische Rom, gekommen, um zu studieren. Folgsam und eifrig war er. Dass er dann Priester werden wollte, brachte seinen Vater in Rage. Dennoch trat er in den Augustinerorden ein. Wer Luthers Erfurter Jahren nachspüren möchte, kann dies in einer kleinen Ausstellung in der Burse, also der Studentenunterkunft, in der er einst wohnte und im Augustinerkloster. Links hinter dem Altar der Augustinerkirche leuchtet übrigens noch heute das Löwen- und Papageien-Fenster, von dem sich Luther die Rose für sein Familienwappen abkupferte – höchstwahrscheinlich.

Auf der Wartburg anno 1521. Da sitzt einer im Kerzenschein, über einen großen Tisch gebeugt und schreibt unermüdlich. Heute hat er wieder fast fünf Seiten des Neuen Testaments übersetzt, aus dem Griechischen und Lateinischen ins Deutsche. Er geht zum Fenster, schaut ins Tal. Er trägt nicht die ihm vertraute Mönchskutte, sondern Wams und Hose eines Junkers. Die Tonsur ist kaum noch zu erkennen, der Bart wird immer üppiger. Der Augustiner ist seit dem Reichstag von Worms vogelfrei.

Futtern wie bei Luthern...

Idyllischer Ausblick...
Idyllischer Ausblick...
© Marlis Heinz

Heute heißt das Arbeitzimmer auf der Wartburg „Lutherstube“ und ist einer der ältesten Touristenorte schlechthin. Die grobe Vertäfelung, der bröckelnde Putz, alles scheint seit Luthers Zeiten unberührt. Das täuscht. Er habe hier den Teufel mit Tinte vertrieben, hatte Luther berichtet. Er meinte damit wohl das Aufschreiben neuer Gedanken. Die Luther-Pilger vermuteten allerdings einen kühnen Wurf mit dem Tintenfass auf den herumspukenden Satan. Über Jahrhunderte pulten sie den vermeintlichen Tintenfleck aus der Wand und nahmen Späne der Täfelung mit. Deshalb wurde er 1903 zum allerletzten Male nachgemalt. Auch den originalen Schreibtisch Luthers zerlegten frühere Besucher.

Im Eisenacher Hof kann man essen wie zu Luthers Zeiten. Ganz verbissen sieht es der Koch nicht und tischt auch die in Europa damals noch unbekannten Tomaten und Kartoffeln auf. Wer für den vielgängigen „Luther-Schmaus“ nicht genügend Mit-Esser zusammentrommeln kann, hat immerhin noch „Luthers Leibgerichte“ oder „Luther-Fladen“ auf der Karte, allerdings ohne Spielmann-Begleitung.

Schmalkalden anno 1537. Luther steht in der Paramentenkammer der Stadtkirche St. Georg, schaut durch ein kleines Fenster hinab in Richtung Kanzel, hört zu. Man hat ihm sogar eine Feuerschale heraufgebracht, damit er nicht gar so friere. Es geht ihm schlecht, Nierensteine quälen ihn. Aber jetzt darf er hier nicht fehlen. Er steigt hinab, um seine Schmalkaldischen Artikel vorzutragen.

Das Fachwerkstädtchen Schmalkalden gehört zu den weniger bekannten Luther-Orten. Aber gerade hier wurde Reformationsgeschichte geschrieben. Landesherr Philipp von Hessen initiierte, überzeugt, dass nur ein Bündnis der protestantischen Fürsten Schutz gegen den katholischen Kaiser böte, 1530 den Schmalkaldischen Bund. Während der Tagung dieses Bundes wohnte Luther im Hause des Rentmeisters Wilhelm. Seine einstige Unterkunft wird natürlich „Lutherhaus“ genannt, und selbstverständlich ist es zu besichtigen.

Nicht minder interessant ist das Schloss Wilhelmsburg, das – aufgrund bald nach dem Bau einkehrender Bedeutungslosigkeit von barocken Modernisierungen nahezu verschont – noch originale Spätrenaissance präsentiert. All jenen, die irgendwann ihr Pensum an Luther-Häusern, -Stuben, -Zimmern, -Denkmalen etc. erfüllt sehen, sei die Sonderausstellung auf Wilhelmsburg empfohlen: „Luther und die Hexen“. Da werden allerlei Fragen in den Raum gestellt: Welche Wurzeln hatte der Hexenwahn? Welche Formen hat er heute? Und vor allem: Welche Rolle spielte Luther für die Hexenverfolgung? Immerhin glaubte der Reformator an Teufelsbuhlschaft und Schadenzauber.

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