zum Hauptinhalt
Ständige Ausstellung „Marlene Dietrich“.
© Hans Scherhaufer, Deutsche Kinemathek

Archiv der Deutschen Kinemathek Berlin: Die Schatzkammer

Werner Sudendorf holte Marlene Dietrichs Schätze nach Berlin. 33 Jahre lang leitete er das Archiv der Deutschen Kinemathek. Jetzt geht er.

Die Schätze liegen am südlichen Ende Berlins verborgen. Ringsum öde Gewerbehallen, ein Ponyhof ist nicht weit. Hier in einem unscheinbaren Bau, in dem früher Lebensmittel übers Fließband liefen, ist Werner Sudendorf Herr über das Erbe der deutschen Filmgeschichte. Der Leiter des Archivs der Deutschen Kinemathek macht mächtige Lichtschalter an, schiebt schwere Eisentüren auf und betritt, vorbei an Feuerlöschern, forsch das kühl temperierte Reich. 33 Jahre stand es unter seiner Leitung, jetzt geht er in Rente – und zeigt noch einmal seine Schätze.

Historische Filmapparate, Drehbücher, Produktionsunterlagen, Plakate, Grafiken, Briefe und persönliche Dokumente sind sorgfältig auf 3000 Quadratmetern deponiert. Zielstrebig durchquert Sudendorf den Bereich, in dem die neu angekommenen, noch nicht gesichteten Kartons lagern. Tiefer drinnen im Halbdämmer schlummert wohlverwahrt in seidenpapiergefütterten Kartons Marlene Dietrichs Nobelgarderobe. Ihre monumentalen Kofferschränke sind nach Größe geordnet, ihre Bücher mit den Widmungen verliebter Großschriftsteller stehen im Regal. Die Schatzkammer ist aufgeräumt, eine Ruhe, die jederzeit durch Rechercheure aufgescheucht werden kann.

Das umfangreichste Archiv des deutschen Filmerbes in Marienfelde ist auf Zuwachs eingestellt. Beim Rundgang zeigt Werner Sudendorf , dass längst auch die jüngere deutsche Filmgeschichte vertreten ist, etwa mit Modellen und Materialien von Wim Wenders und Werner Herzog. Er weist auf ein poröses Plastikmonster aus einem Roland-Emmerich-Streifen hin, dessen Restaurierung seinen Nachfolgern irgendwann Kopfzerbrechen bereiten wird.

Ewige Baustelle: im Reich der Dinge

Bei jedem weiteren Gang durch die sagenhaft vielfältigen Bestände springen dem scheidenden Chef kuriose Erfindungen, müde Materialien, vergessene Gebrauchsanweisungen ins Auge. Solch ein Reich der Dinge bleibt ewig Baustelle. Auch sein Nachfolger Peter Maenz, meint Sudendorf, wird für hinreichende Mittel zur Erhaltung der Archivalien kämpfen müssen. Dass es mit Sudendorf manches Mal zu Konflikten kam, räumen Hans Helmut Prinzler und Rainer Rother, der ehemalige und der jetzige Leiter der Deutschen Kinemathek, bei der Verabschiedung des Archivchefs gutgelaunt ein. Immer wieder ging es um die knifflige Frage, wie viel vom Budget in öffentlichkeitswirksame Präsentationen fließen soll und wie viel in die Sicherung des Archivs.

Anfangs hatte es nicht danach ausgesehen, dass die Reliquien der Filmgeschichte Werner Sudendorfs Passion werden würden. Lakonisch erzählt der 1950 im oldenburgischen Cloppenburg Geborene, wie er „zum Film“ kam. Sein Heimatstädtchen war „kampfkatholisch“, außer Frühstück, Kirche und Mittagessen drohte sonntags die Langeweile, wären da nicht drei Kinos gewesen. Drückte der „Katholische Filmdienst“ einem Film den Stempel „abzuraten“ auf, schaltete das Lokalblatt keine Anzeige. Sofort wusste die Jugend, dass ein Filmbesuch sich lohnen würde. John Fords Western „The Searchers“ – gekürzt, zerkratzt und deutsch synchronisiert – war Werner Sudendorfs Erweckungserlebnis. Da war er zwölf. Von da an ging er „wie auf Wolken“ und las über Filme, was er nur konnte.

Sudendorf entdeckte die Filmmusik zu "Panzerkreuzer Potemkin"

Vom Jura-Studium in West-Berlin frustriert, begann er in den 70er Jahren beim Hanser Verlag in München eine Lehre als Verlagsbuchhändler und arbeitete als Herstellungsassistent. „Godard/Kritiker“, ein schmales Bändchen mit Godard Schriften verkaufte sich damals recht erfolgreich: „Filmbuch geht doch!“ Auch bei der anschließenden, von Wolfram Schütte und Peter W. Jansen herausgegebenen legendären Blauen Reihe schaute er den Autoren über die Schulter.

Da Hans Helmut Prinzler und Wolfgang Jacobsen, beide bereits in der Berliner Kinemathek engagiert, die Daten- und Faktenanhänge der Blauen Reihe verantworteten, sah sich der angehende Verlagsexperte auch in Berlin um. Er begann, anlässlich einer Eisenstein-Publikation von Joachim Schlegel, selbst über den russischen Filmavantgardisten zu forschen, entdeckte Edmund Meisels Filmmusik zu „Panzerkreuzer Potemkin“ und vertiefte sich rund um die erste Marlene-Dietrich-Retrospektive bei der Berlinale 1977 in Leben und Werk der ihm ziemlich fremden Diva. Dass er einmal dabei sein würde, ihren in einem Hangar bei New York verwahrten Nachlass in die Deutsche Kinemathek zu überführen, gründlich zu sichten, aufzuarbeiten und als Highlight der ständigen Ausstellung des Filmmuseums zu präsentieren, wäre ihm nicht in den Sinn gekommen.

Erst nach einer Auszeit in Paris stand fest, dass er die Verlagsarbeit für einen Job in der Kinemathek aufgeben würde. Kein Mensch wusste so recht, was unter der Stellenbeschreibung „Referent für Zentralkatalog“ zu verstehen war, als er den Job 1982 bekam, parallel zu seinem Studium der Publizistik, Theaterwissenschaft und Philosophie.

Werner Sudendorf.
3000 qm Schatzkammer in Marienfelde: Sudendorf vergrößerte über Jahre hinweg das Archiv maßgeblich - eine echte Pioniertat.
© Thilo Rückeis

Suchbewegungen im Labyrinth

Immer mehr Schätze spürten Gero Gandert, der Scout der Kinemathek, und seine Helfer auf. Die Bestände glichen Rumpelkammern, ein Thema wie Karl May konnte man unter K, M oder W wie Winnetou suchen. Von den Basics der archivarischen Profession, der Sichtung und Verschlagwortung der Fundstücke, konnte keine Rede sein. So waren es Pioniertaten, Suchbewegungen im Labyrinth, die den Aufbau der Kinemathek vorantrieben. Statt „den ganzen Tag Filme zu sehen“ – so die fröhliche Unterstellung der Outsider, erinnert sich Werner Sudendorf – sichtete, ordnete und katalogisierte er mit seinem Team nach und nach, was da aus den Kisten quoll. Gemeinsam mit Gandert fahndete er nach vergessenen, ins Exil vertriebenen Filmschaffenden aller Gewerke, warb bei Angehörigen um die Überlassung der Hinterlassenschaften, entdeckte wahre Schätze bei Antiquaren in Paris oder Tel Aviv, wohin immer seine rasch wachsenden internationalen Kontakte ihn trugen.

Nach außen hin geduldig, beharrlich, verständnisvoll gegenüber den liebenswerten Marotten der Sammler, nach innen logistisch versiert, ohne Scheu vor den Tücken der EDV, so beschreibt Sudendorf den Spagat seiner Profession. Kein Wunder, dass eine Fotografie der Badewanne von Henri Langlois, dem legendären Gründer der Cinémathèque Française, es ihm angetan hat. Baden konnte man nicht darin, die Wanne des leidenschaftlichen Sammlers war randvoll mit Filmdosen gefüllt.

Die wilden Pionierzeiten sind Vergangenheit. Der scheidende Archivchef gestaltete den Auf- und Ausbau der Kinemathek mit, ihren Umzug an den Potsdamer Platz sowie die ständige Ausstellung des Filmmuseums. Auch präsentierte er zahllose Fundstücke seiner Recherchen, nicht zuletzt über Marlene Dietrich, in seinen Publikationen. Eine Lebensleistung, der Applaus und Respekt gebührt.

Ungehobene Schätze gibt es noch viele

Beim Abschied liegt ihm der Ratschlag am Herzen, dass sich auch künftige Schatzhüter in die Höhle des Löwen trauen mögen. Ungehobene Schätze gibt es noch viele, meint Werner Sudendorf – und sei es in verrauchten oder verwahrlosten Kammern irgendwelcher Sonderlinge. Er gibt die Verantwortung ab, nicht aber seine Leidenschaft für die Geschichte des Films. Weil er ja weiß, wo die Perlen in seinem eigenen Reich lagern, wird er sie in Zukunft heben. „Ich habe Pläne“, lautet sein lakonisches Resümee.

Zur Startseite