Steueraffäre um André Schmitz: Die regierenden Bühnenmeister
Nach dem Rückzug von André Schmitz: Wowereits Kulturprogramm war höchst erfolgreich. Kommt es jetzt an sein Ende? Die Freie Szene dürfte der Wechsel freuen.
Kultur ist in Berlin Chefsache. Man erkennt es schon daran, dass sie zwei Chefs hat. Oder hatte: den Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, der zugleich als Kultursenator fungiert, und Kulturstaatssekretär André Schmitz, der wie ein ausgewachsener Kultursenator auftrat und nun zurücktreten musste wegen Steuerhinterziehung.
Unter normalen Umständen wären die Verfehlung und die Demission eines Staatssekretärs eine zweitrangige Sache. Aber Schmitz war eben kein nachgeordneter Amtsgeschäftebesorger, sondern viel mehr: ein weltgewandter, hauptstadtreifer Kulturpolitiker, eine eindrucksvolle öffentliche Erscheinung und enger Vertrauter Wowereits als Chef der Senatskanzlei von 2001 bis 2006. Danach übernahm er die Kulturverwaltung.
Seine Leidenschaft gilt der Gedenkkultur, der Erinnerung an die von den Nationalsozialisten „Zerstörte Vielfalt“. So hieß das Themenjahr 2013, und dabei war Schmitz der Ideengeber und Wortführer. Wowereit blieb im Hintergrund.
Was immer dem Regierenden Bürgermeister jetzt einfällt, ersetzen lässt sich André Schmitz nicht. Der Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning, führt bis zum Amtsantritt eines Nachfolgers die Geschäfte des Kulturstaatssekretärs. Kulturpolitische Größen sind in allen Parteien rar. Zu ihnen gehört Monika Grütters (CDU), die von der Kanzlerin endlich die Chance bekommen hat, sich als Kulturstaatsministerin zu beweisen. Grütters und Schmitz kennen und schätzen einander seit langem. Ihr Zusammenarbeit wäre Berlin gut bekommen.
Wowereit hat früher als andere die Bedeutung von Kultur für Berlin verstanden
Wenn man vom System Wowereit spricht, so muss man sagen, dass er die Bedeutung der Kultur für Berlin früher als andere verstanden hat. Im Abgeordnetenhaus glänzte er seit 1995 als Finanz- und Kulturpolitiker. Kultur ist für Wowereit alles Mögliche: Lebensqualität, Glamour, Wirtschaftsmotor und auch: Machtfaktor. Das funktioniert so nur in Berlin. Es kann nicht anders sein. Wer wünscht sich eine langweilige, graue, verwechselbare Metropole? Wo in der Welt sind die Schwellen und die Eintrittspreise für Oper, Theater, Museen, Konzerte so niedrig, wo stehen das Etablierte und das frei Organisierte in einem solch produktiven Spannungsverhältnis?
Das sind die berühmten Berlin-Klischees, aber sie treffen zu. Auch wenn sie manchmal etwas fade klingen und Wowereit und Schmitz die Tuchfühlung zur Freien Szene verloren haben. Deren „Koalition“ freut sich über den Rücktritt von Schmitz und betrachtet ihn als Chance. In ihrer Erklärung heißt es: „Berlins Kultur ist zu wichtig, um von einer Zweigstelle der Senatskanzlei mitverwaltet zu werden. Gute Kulturpolitik setzt sinnvolle, am Nutzen für die Stadt und nicht an der Rendite orientierte Stadtentwicklungspolitik voraus. Deshalb schlagen wir vor: Gebt der Kultur wieder einen eigenen Senator, der im Zusammenschluss mit Stadtentwicklung die Kunstlandschaft dieser Stadt erhält und stärkt.“
Das ist eine spezielle Sicht der Dinge und unrealistisch, weil erst in der nächsten Legislaturperiode die Zahl der Senatoren wieder erhöht und, falls gewollt, ein eigener Senator für Kultur ernannt werden kann. Stadtentwicklung und Grundstücksdeals beschäftigen aber nicht nur Künstler, sondern alle Bürger und Wohnungssuchenden.
Es bleibt dabei: Die Kultur in Berlin liest sich als gewaltige Erfolgsgeschichte. Denn Schmitz sorgte gut für die Künstler und die Häuser. Sein Budget verzeichnete bemerkenswerte Wachstumsraten. Als er 1997 an die Deutsche Oper kam, war das Haus heruntergewirtschaftet. Er trug entscheidend zur Sanierung des Tankers an der Bismarckstraße bei. Wichtiger aber zum Verständnis von Wowereit, Schmitz und ihrer Stadtkultur waren die Jahre davor, ab 1992. Da saß André Schmitz als Verwaltungsdirektor in Herzen des Hurrikan am Rosa-Luxemburg-Platz.
Es begann alles an der Volksbühne. Das Kraftwerk am Rosa-Luxemburg-Platz arbeitet nach wie vor
All das klingt wie ein Nachruf, und es sind auch alte Storys, tempi passati. Und wiederum nicht. Das Kraftwerk Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz arbeitet nach wie vor. Der Intendant heißt, seit 1992, Frank Castorf. Was dieses Kraftwerk in die Berliner Luft geschleudert, in den Berliner Boden gebracht hat, wirkt weiter. Castorf-Behälter stehen überall. Wir haben es mit einer positiven Kontaminierung zu tun.
Kann man eine Stadt wie ein Theater führen? Umgekehrt schon. Frank Castorf hat sein Haus wie ein Bürgermeister regiert. Hat stets neue Regisseure mit ihren Teams angesiedelt, ob Christoph Schlingensief, Christoph Marthaler, René Pollesch. „Ost“ steht auf dem Dach, viel Westen war immer drin – und all die Mischformen. In ihrem ersten überwältigenden Jahrzehnt gab sich die Castorf-Volksbühne laut, arrogant, stets erneuerbar, übergriffig und nachhaltig zugleich. Berlinisch eben.
Die Realität der nicht mehr geteilten Stadt, die ihr eigenes Glück nicht fassen konnte oder wollte, schlug sich im Theater nieder. Und von dort schwappte sie verstärkt und raffiniert in den öffentlichen Raum zurück. Mit der gleichen Energie hat der Klaus, wie der Frank ihn nennt, das Rote Rathaus genommen; und Schmitz war dabei.
Castorf führte die Avantgarde an, Wowereit das Hauptfeld. Erst wurde die Volksbühne zu Europas einflussreichstem Theater, dann zog die Stadt als Ganzes nach. Und jetzt haben wir den Boom und die Touristen, das Wahnsinnsimage, haben einen Höhepunkt erreicht, und André Schmitz hört auf. Wenn es am schönsten ist, würde man unter anderen Umständen sagen.
"André Schmitz ist das Beste, was der Berliner Kultur seit langem widerfahren ist", sagt Matthias Lilienthal
Sein unrühmlicher Abgang trifft die Kulturszene hart. Er ist eine Zäsur. Mit der Kraft und aus dem Geist der Volksbühne wurden in Berlin andere wichtige Institutionen neu erfunden. 2003 eröffnete das Hebbel am Ufer mit dem Intendanten Matthias Lilienthal. Das HAU löste auf vielen Gebieten als Marktführer und Trendgeber die Volksbühne ab, deren Chefdramaturg Matthias Lilienthal gewesen war. Wowereit und Schmitz wussten, dass Personen so wichtig sind wie Orte – und wie das zusammenpasst. Sie machten Barrie Kosky zum Intendanten der Komischen Oper: eine brillante Besetzung. Beim Staatsballett, beim Tanz überhaupt läuft es dagegen überhaupt nicht gut.
Am Dienstag erklärte Kosky: „Ohne Klaus Wowereit und André Schmitz wäre die Stadt Berlin nicht die Opernhauptstadt, als die sie auch weit über die Grenzen Deutschlands hinaus wahrgenommen wird. Darüber hinaus hat André Schmitz im Rahmen seiner Arbeit das längst überfällige Thema Diversity auf die Agenda der Berliner Kulturinstitutionen gesetzt.“
Zuletzt bewies Schmitz wieder sein Gespür, als er Shermin Langhoff und ihrem multinationalen Ensemble das Maxim-Gorki-Theater gab. Der Start gelang bestens. Hier spürt man die spezifische Berliner Energieausschüttung.
Damit zieht Matthias Lilienthal jetzt nach München, 2014 übernimmt er die Intendanz der Münchner Kammerspiele. Lilienthal bedauert Schmitz’ Fall: „André Schmitz ist das Beste, was der Berliner Kultur seit langem widerfahren ist. Ich mag seine Generosität, mit der er sich verführen lässt, Sachen zu mögen, die er eigentlich nicht mag. Seine Mischung aus Aristokratie und Sozialdemokratie hat etwas sehr Spezielles. Ich hoffe, dass er nach einer gewissen Zeit wieder im politischen Geschäft auftaucht.“
Das ist die Frage. Ob er sich auf seinen Landsitz zurückzieht und seiner Familienstiftung widmet. Ob das System Wowereit/Castorf/Schmitz an sein Ende kommt. Die Ökonomisierung und Lethargie in Berlin beklagt Castorf schon seit längerem – und ist Teil davon.
Wie wird sie zu Ende gehen, diese lange und fruchtbare Ära, die in den wilden Neunzigern begann und immer mal wieder aufflackert? Vermutlich mit zwei einsamen und dann schon historischen Chefs. Im Sommer 2016 läuft Castorfs Vertrag an der Volksbühne aus. 2016 wird, wenn bis dahin nichts Außergewöhnliches geschieht, in Berlin gewählt. Ohne Wowereit.