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Gute Verbindung. Lilienthal (links) und Johan Simons, der jetzige Intendant der Münchner Kammerspiele, der 2015 aufhört.
© dpa

Theater in Berlin und München: Münchner Hammerspiele

Was Matthias Lilienthals Abgang nach Bayern für Berlin bedeutet. Ein Essay über den Berliner Theatercoup des Jahres.

Am Morgen danach macht Matthias Lilienthal, was ein Kurator morgens so macht. Er besteigt ein Flugzeug. Er fliegt vom Franz-Josef-Strauß-Airport zu jenem Flughafen, der seinen Namen trägt – nun ja, den Nachnamen – und in seiner Heimatstadt liegt: Flughafen Otto Lilienthal. In Berlin wird man ihn jetzt allerdings kaum mehr zu sehen bekommen. Matthias Lilienthal düst hierhin und dorthin für das Festival Theater der Welt 2014 in Mannheim, organisiert im slowakischen Kosice, einer der Europäischen Kulturhauptstädte 2013, eine Ausgabe seines „X Wohnungen“-Spektakels, und im Sommer 2015, wie man seit der Pressekonferenz am Montag weiß – Gerüchte gab es schon länger – übernimmt er die Intendanz der Münchner Kammerspiele.

Matthias Lilienthal! In München! Schön ist das nicht. Nicht für Berlin. In München sind sie offensichtlich vom eigenen Wagemut überrascht. „Veredelung eines Straßenköters“ titelt das Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“, auf den ewig-ollen Jeans- und T-Shirt-Look des 53-Jährigen anspielend. Ein Kompliment, als Unverschämtheit verpackt, oder umgekehrt. Eine kollektive Beleidigung der Hauptstädter, denen die größenwahnsinnigen Freistaatler ohnehin nichts gönnen. Berliner Straßenköter pinkelt in die piekfeinen Münchner Kammerspiele an der sauteuren Maximilianstraße? Der Mann, der einst die Volksbühne und das Hebbel am Ufer als Dauerspektakel, Diskursschleuder, Partyraum und Ideologielabor erfunden hat, soll eins der bedeutendsten deutschsprachigen Schauspielhäuser leiten? Warum nicht gleich das Burgtheater?

Lilienthal ist ein Animateur, er schafft Atmosphäre und Austausch

Aber die Münchner haben schon auch Sinn für Anarchisten und Außenseiter, radikale Künstler wie Franz Xaver Kroetz, Rainer Werner Fassbinder, Herbert Achternbusch, den eine lange Geschichte mit den Kammerspielen verbindet. Über Bayern sagte er mal: „Diese Gegend hat mich kaputtgemacht, und ich bleibe, bis man ihr das anmerkt.“

Da besteht bei Lilienthal keine Gefahr. Er bleibt nie endlos lang. Neun Jahre HAU, dann war genug. Danach ein Jahr Beirut, um auf ganz andere Gedanken zu kommen. Das Aufhören, wenn alles ausgereizt, nicht mehr zu toppen und erschöpft ist, hat er von Frank Baumbauer gelernt. Der war Intendant in Basel und Hamburg und an den Kammerspielen in München. Bei Baumbauer in der Schweiz traf Lilienthal einst auf Frank Castorf. Lilienthals Münchner Berufung ist eine Konsequenz aus der Theatergeschichte der letzten Jahrzehnte.

Das Bild vom Stadt- und Staatstheater hat sich stark gewandelt. Es sind keine Häuser mehr, in denen Abonnenten wahlweise bedient oder verschreckt werden. Die Bühnen sind zu Durchgangsorten geworden – für Menschen und Medien. Ensembles haben eine kürzere Verweildauer. Der Festival- und Eventcharakter bestimmt das Bild. Das reine Schauspiel, wie sehr man sich auch danach sehnen mag, verflüchtigt sich. Ein Theatermann wie Lilienthal attackiert starre Systeme von innen heraus. Er inszeniert keine Stücke, sondern Häuser. Er ist ein Animateur, schafft Atmosphäre und Austausch.

Der Theatercoup des Jahres lenkt den Blick auf die Berliner Landschaft. Matthias Lilienthal gehört hierher, da sind sich Kritiker und Politiker und viele Künstler einig. Allein, an welches Haus? Auf das Berliner Ensemble angesprochen, sagt er am Telefon zwischen Einchecken und Abheben: „Da muss jemand Junges ran. Jemand, der mit Brechts politischen Forderungen umgehen kann.“ Damit hat er sich im Voraus selbst aus dem Rennen genommen, das lange schon eröffnet sein müsste: BE-Chef Claus Peymann (76) hört 2016 definitiv auf.

Berlins Kulturstrategen müssen sich schnell nach einem Nachfolger umsehen. Das gilt auch für die Volksbühne, wo Frank Castorfs Intendantenvertrag gleichfalls am Ende der Spielzeit 2015/16 ausläuft. Die Volksbühne hätte Lilienthal haben können, er wollte nicht. Er fürchtete, zum Wiedergänger zu werden, räumt aber ein: „Um den Laden zu machen, braucht es ein gerüttelt Maß Erfahrung.“ Er teilt die Beobachtung, dass an den großen Bühnen in Berlin ein gewisser Stillstand herrscht. Dann lieber nach München, da kann er mehr bewegen. Fortbewegung setzt Widerstand voraus, etwas, an dem man sich reibt. Daran fehlt es in Berlin. Der Betrieb läuft zu routiniert.

Lilienthals Abgang ist ein Alarmsignal für Berlin

Nur mal kurz herumgeschaut: Dem Deutschen Theater will nicht mehr viel gelingen, dort macht sich rechtschaffenes Biedermeier breit. Man hat das seltsame Gefühl, dass Intendant Ulrich Khuon und seine Leute gleichzeitig zu viel und zu wenig wollen. Prominente Schauspieler wandern zur Schaubühne ab, wo man immer mal einen Neustart beobachtet; Thomas Ostermeier leitet die Schaubühne seit vierzehn Jahren. Der Volksbühne ist die Linie längst abhanden gekommen, doch man ist am Rosa-Luxemburg-Platz nie vor angenehmen Überraschungen sicher. Wenn Herbert Fritsch inszeniert oder René Pollesch, wie jüngst zum Saisonstart, Birgit Minichmayr und Martin Wuttke auf die Bühne zurückholt.

Mit der neuen Intendantin Shermin Langhoff (sie hat bei Lilienthal am HAU gearbeitet) will das Maxim-Gorki-Theater frische Akzente setzen. Es ist dringend notwendig. Die Freie Szene ist dann doch nicht so umwerfend stark und innovativ, wie sie im kulturpolitischen Ringen um eine – gebotene – bessere Ausstattung behauptet. Annemie Vanackere, Lilienthals Nachfolgerin am HAU, hat im ersten Jahr viel erreicht, gute Zuschauerzahlen, gute Stimmung. Aber eine verfestigte Theaterstadt Berlin vor sich her zu treiben, das ist auch einem Matthias Lilienthal nur in Momenten gelungen, die von Aufbruch und Abschied gekennzeichnet waren.

Lilienthal sucht das Abenteuer anderswo. Sein Abgang nach München sollte die Ausnahme sein, nicht die Regel. Es ist ein Alarmsignal für den Regierenden Kulturbürgermeister Wowereit. Bitte aufwachen, Berlin!

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