Klassik-CD der Woche: Nikolaus Harnoncourt: Die Reden des Klangs
Mit seiner neuen Aufnahme der Sinfonien Nr. 39, 40 und 41 von W. A. Mozart will der Dirigent Nikolaus Harnoncourt beweisen, dass der Komponist die drei Werke als Einheit konzipiert hat.
In seinem 85. Lebensjahr zieht Nikolaus Harnoncourt bewusst Bilanz, mit Musikern, die ihn teilweise seit 60 Jahren begleiten und mit den Komponisten, die von jeher seinen Widerspruchsgeist und seine klangmächtige Fantasie beflügelt haben. Dürfte man nur einen nennen, kann er nur Mozart heißen. Als der Cellist Harnoncourt erleben muss, wie ein Altmeister am Pult selig lächelnd Mozarts vorletzte Symphonie zelebriert, bis das Publikum zurücklächelt, quittiert er endgültig den Orchesterdienst. In der g-Moll-Symphonie KV 550 geht es für ihn um Leben und Tod, alles andere sei schlicht „ein Missverständnis“. Mozarts Musik nimmt nach Harnoncourts Verständnis die extremsten Positionen ein, die überhaupt denkbar sind. Doch was können wir denken? Wohl nur, was sich auch sprachlich mitteilen lässt. Harnoncourt liest die Partituren so lange, bis er die Gewissheit hat, dass bei gängigen Mozart-Aufführungen in jeden zweiten Takt ein Fehler begangen wird. Und er jenes zugespitzte Gespür für Musik als Klangrede entwickelt, mit dem er seit den 1980er Jahren unser Mozart-Bild radikal erschüttert.
Wenn der Dirigent jetzt mit seinem eingeschworenen Concentus Musicus Wien Mozarts letzte Symphonien noch einmal einspielt, dann bündelt er darin die Erkenntnisse eines Musikerlebens im emphatischen Zweifeln. Sicher ist für Harnoncourt, dass die finale Trias, die Symphonien 39, 40 und 41, von ihrem Komponisten als ein unerhörtes Ganzes gedacht wurden, voller Bezüge zwischen den Werken und von einer großartigen Dramaturgie getragen. Harnoncourt nennt es – „weil mir nichts Besseres eingefallen ist“ – ein Instrumental-Oratorium.
Keine Spur von Altersmilde bei Harnoncourt
Vieles spricht aus der Analyse für diese Sicht, die auch der Denker-Dirigent Peter Gülke überzeugend vertritt. Doch nichts ist zwingender als eine Aufführung, die gelingt. Auf Altersmilde braucht man bei Harnoncourt nicht zu hoffen: Das Kräfteverhältnis zwischen Bläsern und Streichern ist aufwühlend, bar jedes firnen Edelmaßes. Jede Wiederholung wird ausgespielt, jeder Zopf abgeschnitten. Auf die 39. Symphonie lässt Harnoncourt pausenlos die 40. folgen, mit ihrem Beginn, der gar keiner ist.
Das packt, rüttelt durch – und hallt lange nach, als sinnliche Kopfmusik, klingendes Perpetuum mobile. Am 19. Oktober kommt Harnoncourt mit dem Concentus Musicus und Mozart ins Konzerthaus, am 10. November mit den Wiener Philharmonikern und Schubert. Es geht um die letzten Dinge. Wie immer, wenn große Musik erklingt.
Ulrich Amling