Salzburger Festspiele: Papageno und die Kammer des Schreckens
Salzburger Festspiele: Start der Intendanz von Alexander Pereira mit Mozarts „Zauberflöte“, die Nikolaus Harnoncourt zur Eröffnung grandios dirigiert. Dazu kommen szenischer Boulevard-Klamauk und wenig überzeugende Sängerleistungen.
„Sein Geist ist kühn, sein Herz ist rein – bald wird er unser würdig sein!“ Alexander Pereira konnte gar nicht anders, als zum Start seiner Intendanz bei den Salzburger Festspielen „Die Zauberflöte“ anzusetzen. Die letzte, rätselhafte Oper Mozarts, das beliebteste Repertoirestück des klassischen Kanons und eine Säule der Festspielgeschichte seit 1928. 211-mal war die „Zauberflöte“ hier schon im Sommer zu sehen. Nicht immer so „exzellent“, wie Pereira sich das vorstellt.
„Salzburg hat wieder Boden zurückzugewinnen. Wir müssen Mozart-Aufführungen produzieren, die man anderswo nicht besser hören kann“, verkündete er im Vorfeld. Wenn einer das schafft, dann der 1947 in Wien geborene Spross einer portugiesisch-österreichischen Adelsfamilie, studierter Betriebswirt und ausgebildeter Sänger, der für die Tourismusbranche und den Schreibmaschinenhersteller Olivetti arbeitete, bevor er zum Kulturmanagement kam. Ein Mann, der erst das Wiener Konzerthaus auf Augenhöhe mit dem berühmten Musikverein brachte und dann 21 Jahre an der Oper Zürich mit einem ununterbrochenen Star- und Premierenfeuerwerk betuchte Schweizer wie internationale Sponsoren begeisterte. Zwei Mal war Alexander Pereira im Rennen um den Salzburger Job unterlegen, erst wurde ihm Peter Ruzicka vorgezogen, dann Jürgen Flimm.
Nun also kann er beweisen, dass er der Richtige ist. Ein Wiedergänger des „Zauberflöten“-Librettisten Emanuel Schikaneder, ein Macher, der rechnen kann, ein begnadeter Selbstdarsteller, ein geschmeidiger Charmeur, der zum Premierenabend im weißen Dinnerjacket die Honneurs macht, kurz, ein Impresario, der weiß, was die Leute wollen. Auf jeden Fall keine Regietheaterexzesse.
„All die Maschinengewehre, Panzer und nackten Unterleiber, die wir jahrauf, jahrab anschauen müssen, nur weil Regisseure finden, das sei ungeheuer erotisch und kritisch! Das hat sich ausgereizt, das ist Betrug am Zuschauer“, schimpfte Pereira jüngst im „Spiegel“. Darum hat er seine Getreuen um sich geschart, Sven-Eric Bechtolf zum Salzburger Schauspielchef gemacht, dem Schauspielregisseur Jens-Daniel Herzog, der bei ihm in Zürich 1999 als Operninszenator debütierte, die Eröffnungspremiere der „Zauberflöte“ anvertraut. Er wird den in Salzburg traditionell verschmähten Puccini rehabilitieren, mit einer von Anna Netrebkos Mitwirkung gekrönten „Bohème“ kommende Woche, er bringt mehr Neuproduktionen heraus als jeder seiner Vorgänger, das Kartenkontingent wurde um 25 Prozent aufgestockt und zum krönenden Abschluss wird es einen Ball mit Galadiner geben. Ab jetzt wird wieder ganz großes Zaubertheater gemacht in Salzburg. Oder um es mit Schikaneders Worten zu sagen: „Bald prangt, den Morgen zu verkünden, die Sonn’ auf goldner Bahn. Bald soll der finstre Irrwahn schwinden, bald siegt der weise Mann!“
Wie Harnoncourt das Klangbild verändert
Der größter Coup des neuen Chefs aber ist, dass er Nikolaus Harnoncourt zum „Zauberflöten“-Dirigat überreden konnte. 2007 hat der brillante Musikdurchleuchter das Stück bei Pereira in Zürich gemacht, damals mit dem dortigen Opernorchester. Nun sitzt der „Concentus Musicus Wien“ im offenen Graben der Felsenreitschule, jenes stilbildenden Alte-Musik-Ensembles, das Harnoncourt 1953 ins Leben rief. Lange hat sich der 82-Jährige wieder zur Vorbereitung über Mozarts Autografen gebeugt – und ist bei der Suche nach den Geheimnissen dieser „Oper für Kinder und Philosophen“ erneut voran gekommen.
Es sind nur Details, die Harnoncourt gegenüber dem vertrauten Klangbild verändert, einige überraschende Akzentsetzungen, rhythmische Betonungen, hier und da eine hervorgehobene Nebenstimme, und doch lauscht man staunend und denkt: Ja, genau so muss es sein! So geht es den ganzen langen Abend weiter. Weil Harnoncourt ein aufmerksamer Begleiter ist, weil er mit den Sängern atmet, weil er und seine Musiker nie nur begleiten, sondern selbst in den simpelsten Passagen mitgestalten. Wie der Concentus Musicus einzelne Tutti-Akkorde so federnd spielen kann, dass sie geradezu einen 3-D-Effekt haben, ist grandios.
In Tempofragen war Harnoncourt stets eigenwillig. Das gewöhnlich hurtig genommene Pamina-Papageno-Duett „Schnelle Füße“ beispielsweise bremst er radikal aus, weil Angst nun einmal lähmt. Den Chor am ersten Aktschluss dagegen nimmt er rasant, „presto alla breve“, wie notiert, und erzeugt so denselben hohlen Jubelklang wie bei den Bassa-Huldigungen in der „Entführung aus dem Serail“. Packend auch, wie sonst nie gehörte Totenposaunen erschallen, wenn Sarastro davon singt, dass seine Prüflinge auch „zu Grabe gehen“ könnten.
Doppelt so schnell wie traditionell üblich will Harnoncourt auch Paminas „Ach, ich fühl’s“ genommen wissen. Nicht ein Lamento dürfe das sein, wenn Tamino plötzlich jeden Kontakt zu ihr abbricht, sondern ein Ausbruch von Zorn und Aufbegehren. Leider macht Julia Kleiter, die mit einem honiggoldenen Timbre gesegnete Sopranistin, ausgerechnet hier ihre Stimme mädchenhaft klein. Und das ist leider nicht die einzige Enttäuschung. Aus der Solistenriege überzeugt lediglich Markus Werba als Papageno restlos, weil er ein genuiner Volksschauspieler ist. Bernhard Richter dagegen steht in unmodischer Jeans und grellbuntem Jackett an der Rampe wie Florian Silbereisen – und liefert seine Bildnis-Arie auch so oberflächlich ab wie ein Schlagersänger.
Zwischen Harry Potter und Peter Alexander
Die aus dem brandenburgischen Bad Belzig stammende Mandy Fredrich singt die Koloraturen der Königin der Nacht absolut sicher und gestaltet den langsamen Teil ihrer ersten Arie mit raffinierter Barockrhetorik, klingt im Dialog aber leider nach Operettensoubrette. Auf diesem sängerischen Niveau kann man die „Zauberflöte“ an jedem funktionierenden deutschen Stadttheater hören.
Apropos Stadttheater: Die praktischen Spielkisten, die sich Ausstatter Mathis Neidhardt für schnelle Verwandlungen von Außen- zu Innenräumen ausgedacht hat, sind eine klassische Guckkastenbühnen-Lösung. Auf den Riesenraum der Felsenreitschule nehmen sie keinerlei Bezug, nicht einmal für die Feuer- und Wasserprobe werden die drei in den Stein gehauenen Arkadengänge des historischen Ortes genutzt. Putzig ist die ganze Optik, Papageno fährt im dreirädrigen „Ape“-Lieferwagen vor, dazu tanzen adrette Hausfrauen eine Einkaufskorb-Choreografie von Ramses Sigl. Der Weisheitstempel ist ein Internat im Fünfzigerjahre-Look, die Eingeweihten tragen Chemiker-Kittel. Auch Sarastro muss als dröger Wissenschaftler auftreten, wodurch Georg Zeppenfelds schwarzsamtenen Bass prompt alles Auratische abhanden kommt. Nur die drei Tölzer Knaben sehen mit ihren Professoren-Halbglatzen zur kurzen Hose echt grauslig aus.
So klug Regisseur Jens-Daniel Herzog die Abhängigkeitsverhältnisse auf dem Papier psychologisch zu analysieren vermag, so klein macht er die Parabel, wenn er szenisch billigen Boulevardklamauk anbietet. Vor allem in den Internatsszenen mit Schülerstreichen und Schlafsaalgehampel fühlt man sich irgendwo zwischen Harry Potter und Peter Alexanders Pennäler-Filmen. Am Ende schnappt sich Tamino das Machtsymbol des siebenfachen Sonnenkreises, um damit dem ruckzuck im Kinderwagen angelieferten Nachwuchs von Papageno und Papagena eine Guck-mal-Dudidudi-Freude zu machen. Begeisterter Applaus klingt anders.
Arte zeigt die „Zauberflöte“ am 30. Juli um 20.15 Uhr. Bereits am heutigen Sonntag bietet der Sender ab 14 Uhr einen „Tag in Salzburg“ mit Konzerten (unter anderem von Claudio Abbado ), einem Pereira-Porträt und Probenbesuchen.
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