Das Humboldt-Forum im Gespräch: Die Raupe frisst weiter
Ende 2019 eröffnet das Humboldt-Forum: Museumskuratoren und internationale Experten diskutieren die verschiedenen Ausstellungsmodule.
Die Lacher hat der indische Kunsthistoriker Jyotindea Jain auf seiner Seite, als er bemerkt, dass das Tadsch Mahal doch wohl eher für die verlorene Liebe stehe, seit jenem berühmtem Bild von Lady Di mit gesenktem Blick auf der einsamen Bank vor dem schneeweißen Grabpalast. Mit Pragmatismus, Humor, Kennerschaft begegnet der ehemalige Direktor des National Crafts Museum in Neu Delhi dem Kurator des Ausstellungsmoduls „Höfisches Indien“ im Humboldt-Forum. Raffael Dedo Gadebusch sprüht im Gespräch mit dem indischen Kollegen vor Begeisterung für seinen Fund in den Depots des Museums für Asiatische Kunst, dessen stellvertretender Direktor er zugleich ist.
Dort hatte er einen Grundriss des Gartens vom Tadsch Mahal entdeckt, dessen Wasserbecken und Beete in die Gestaltung der Räume im Humboldt-Forum prompt eingegangen sind. „Warum haben Sie ausgerechnet das Tadsch Mahal wieder ausgewählt?“, fragt Jain daraufhin schelmisch sein Gegenüber. „Es gibt noch so viele andere Beispiele für die Moguln-Architektur.“ „Weil es eine Ikone ist, ein besonders spannendes Objekt“, antwortet dieser. „Ein touristisches Monster“, gibt Jain nochmals zurück.
Für einen Moment blitzt auf, wie es sein könnte, wenn die Ausstellungen im Humboldt-Forum, das Ende 2019 eröffnen soll, zum Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen werden, durch die beide Seiten voneinander lernen: die Museumsleute und die Menschen, aus deren Ländern die Artefakte stammen. Vor allem für ein interessiertes Publikum.
Die Öffentlichkeit profitiert vom offenen Diskurs
Die Stiftung Humboldt-Forum hat am Freitagabend zum Gedankenaustausch zwischen Kuratoren des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst sowie Experten und Wissenschaftlern aus Indien, Peru und China eingeladen. Wie stark das Interesse des Publikums an einer solchen öffentlichen Debatte ist, zeigt sich an der großen Nachfrage. Der Saal im Haus Ungarn ist zu klein für die vielen Anmeldungen. Bei einer Fortsetzung der höchst anregenden „Einblicke“-Reihe muss unbedingt mehr Platz her.
Plötzlich wird klar, wie nahe das Humboldt-Forum mit seinen 44 000 Quadratmetern Ausstellungsfläche und 22 000 Exponaten schon ist, auch wenn es immer noch nur als ein mit Werbung ummantelter Rohbau im Zentrum Berlins dasteht. Für die einzelnen Module gibt es präzise Pläne. Aber es musste zum Verdruss der Kuratoren aufgrund der Interventionen des später hinzugekommenen Gründungsintendanten Neil MacGregor auch so manches neu gedacht werden. Der einstige Direktor des British Museum wünschte sich eine stärkere Vernetzung mit anderen Sammlungen in der Stadt, Konkretisierung, praktische Beispiele. Wie das aussehen kann, zeigt sich im Gespräch zwischen Klaas Ruitenbeek, Direktor des Museums für Asiatische Kunst, und dem chinesischen Kunsthistoriker Wei Hu, der wie sein indischer Kollege Jyotindea Jain zum internationalen Expertenteam gehört. Das letzte Januarwochenende ist einem großen Brainstorming gewidmet, das dritte des Berater-Boards, diesmal zu den Fragen: Was bedeutet Aktualität am Humboldt-Forum? Wie kann die heutige Welt dokumentiert, gesammelt und erzählt werden? Was macht eine gute Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern aus? Der erste Abend findet noch im Beisein der Öffentlichkeit statt.
Ruitenbeek und Hu unterhalten sich über chinesische Hofkunst und wie Preußen Chinas Monopol auf die Seidenproduktion mit eingeführten Seidenraupen zu brechen suchte. Scheinbar selbst noch verwundert, dass das überhaupt geht, berichtet Ruitenbeek von einem neu geplanten „Blickfenster“ zum landwirtschaftlichen Kontext an dieser Stelle seines Ausstellungsmoduls. Ja, warum eigentlich hier nicht sogar Raupen züchten, wenn auch nicht zwischen den Vitrinen, sondern im Rahmen der Humboldt-Akademie?, überlegt der Kurator laut weiter.
So viele Bedeutungsebenen: Ethno-Geschichte ist kompliziert
Sein Gesprächspartner Wei Hu evoziert wie zuvor Jyotindea Jain Lacher im Publikum, als er darauf verweist, dass die damalige Darstellung von Chinesen in der Kunst des preußischen Hofes ziemlich ungelenk gewesen sei. Man denke nur an die mit Blattgold überzogenen Skulpturen der Musiker am Teehaus im Park von Sanssouci. Beifälliges Nicken. Und überhaupt: Der Lorbeerbaum, dessen Blätter die chinesische Kaiserin im Gemälde von Bernard Rode zur Fütterung der Raupen ernte, sei viel zu groß gewachsen. In China waren sie kleiner und hätten deshalb sehr viel mehr Blätter gehabt.
Wie kompliziert Ethno-Geschichte ist, davon geben Manuela Fischer, verantwortlich für das Ausstellungsmodul „Am Humboldtstrom“, und Natalia Majluf, Direktorin des Museo de Arte de Lima in Peru und ebenfalls Mitglied des internationalen Beratergremiums, eine Ahnung. Sie unterhalten sich über die Instrumentalisierung der Inkas, zunächst um die Machtposition der spanischen Eroberer zu legitimieren – etwa durch Heirat mit der Tochter des zuvor ermordeten Inka-Königs – oder später durch die Archäologen, deren Ausgrabungen das Interesse neu entfachten. Heute befindet sich eine der größten Inka-Sammlungen im Berliner Ethnologischen Museum. Majluf beschreibt die Schwierigkeiten, die vielen Bedeutungsebenen etwa eines Hochzeitsbild voneinander zu trennen. Jede Schicht besitzt ihre eigene Bedeutung.
In einem Interview hatte die Kunsthistorikerin zuletzt erklärt: „Museen müssen sich nicht um einen allgemeinen Konsens bemühen, denn das macht sie zu sehr langweiligen Orten.“ Höchste Zeit, die Kontroversen ums Humboldt-Forum und seine Ausstellungen vor Publikum auszutragen. Die alles andere als langweilige Gesprächsrunde im Haus Ungarn könnte ein Anfang sein.