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Mahmoud Dowlatabadi schrieb den längsten persischen Roman "Kelidar" (1984). Am 18. Februar kommt er in die Berliner Schaubühne und liest aus seinem neuen Buch.
© imago/gezett

Literatur aus Iran: Die Präsenz der Worte

Irans Intellektuelle trifft man entweder im Café oder im Gegenwartsroman. Auch nach Deutschland gibt es literarische Brücken.

Im Persischen gibt es kein Maskulinum oder Femininum; die Grammatik kommt ohne Geschlechter aus. Als dritte Person Singular existiert nur das "u". Ob mit dieser dritten Person, die man oft in alten persischen Gedichten anspricht, der Gott oder die Geliebte oder sogar der Geliebte gemeint war, ist bis heute unklar. Und wo die Klarheit endet, beginnt die Interpretation. Das ist die Natur der persischen Sprache, der Sprache der Poesie.

In den 1960er Jahren veränderte der Dichter Nima Youschidsch das alte persische Gedicht in seiner Struktur – eine Revolution in der Dichtung, die ihn zum „Vater der modernen persischen Lyrik“ machte. In der modernen Erzählung war es der Kurzroman „Die blinde Eule“ (1936) des Schriftstellers Sadegh Hedayat, der für Aufsehen sorgte. Eine düstere, surrealistische Geschichte, in der der Erzähler seinem eulenförmigen Schatten Mörderisches beichtet. Sie wurde in mehr als 14 Sprachen übersetzt.

Im Kontrast zu dieser kurzen Erzählung steht der längste persische Roman „Kelidar“ (1984) von Mahmoud Dowlatabadi, ein zehnbändiges Epos mit 3000 Seiten, an dem Dowlatabadi rund 15 Jahre arbeitete. In dem Roman geht es um das Leben der Nomaden in der iranischen Region Chorasan nach dem Zweiten Weltkrieg – nicht ohne Kritik am Absolutismus der damaligen Zeit.

Zwischen diesen zwei Polen moderner iranischer Literatur gab es ein breites Spektrum von Romanen, die vor allem vom sozialistischen Realismus geprägt waren und oft Gesellschaftskritik enthielten.

Die Zensur lässt sich in Büchern eher umgehen als auf der Leinwand

Im Kontrast dazu reflektieren die zeitgenössischen Romane in Iran eher den Lebensstil der Intellektuellen. Da diese Gruppe nach der Revolution in den staatlichen Fernsehserien und -filmen nicht vorkam – und bis heute kaum vorkommt –, erkannte sie sich in den Romanen wieder. Wem nur wenige Bilder zugestanden werden, der erzwingt sich seine Präsenz mit Worten. Die Zensur zu umgehen fällt in Büchern leichter als auf der Leinwand. Und so wirkt etwa das tägliche Leben im Iran in einem Roman weitaus authentischer als im Film: In einer Erzählung zum Beispiel muss eine Frau im eigenen Haus nicht unbedingt mit Kopftuch „gezeigt“ werden – im staatlichen Fernsehen schon.

Und so kommt es, dass man Intellektuelle in Iran heute entweder in den Cafés oder in den Gegenwartsromanen antrifft. Von beiden gibt es besonders im Zentrum Teherans eine Vielzahl. In der iranischen Hauptstadt findet auch die wichtigste internationale Buchmesse statt, die allerdings erst rund 30 Jahre alt ist.

Wie ein Volksfest empfand sie bei einem Besuch der deutsche Schriftsteller David Wagner, dessen 2013 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichneter Roman „Leben“ auch ins Persische übersetzt wurde. Und in der Tat: Obwohl es auf der Teheraner Buchmesse keine Afterpartys gibt, ist die Messe selbst eine einzige große Party. An der alle teilnehmen dürfen, nicht bloß Prominente und Intellektuelle, sondern zum Beispiel auch Schülerinnen und Schüler, die sich an den Ständen Lehrbücher für die Aufnahmeprüfungen der Universitäten kaufen möchten.

Die Brücke, die Goethe baute, trägt bis heute

Die literarische Brücke zwischen Deutschland und Iran indes wurde schon viel früher gebaut – als die Dichtung von Hafis, dem großen persischen Dichter des 14. Jahrhunderts, Johann Wolfgang von Goethe zu seiner Gedichtsammlung „West-östlicher Diwan“ (1819) inspirierte. Diese Brücke trägt bis heute, vor allem durch gegenseitige Übersetzungen, zunehmend aber auch durch Veranstaltungen in beiden Ländern.

So lud etwa das Berliner Haus für Poesie vergangenes Jahr sechs zeitgenössische iranische Dichter ein, um mit deutschsprachigen Kollegen in einem Workshop an der Übersetzung der jeweils eigenen Gedichte zu arbeiten. Aus allen Werken wird im Frühjahr 2017 eine Anthologie entstehen, die auch in Iran präsentiert wird. „VERSschmuggel“ heißt die Projektreihe der Literaturwerkstatt Berlin, diesmal: persisch-deutsch.

Zudem kommt im Februar Mahmoud Dowlatabadi nach Berlin, um in der Schaubühne unter dem Titel „Fremdheitsgefühle“ aus seinem neuen Erzählband zu lesen.

Lesen Sie zur zeitgenössischen Kunstszene in Iran den Artikel "Kommerz und Kampfgeist" von Hannah Jacobi.

Bahareh Ebrahimi

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