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Quadratischer Namensgeber. Um den zentralen Platz gruppieren sich die Gebäudeflügel des Mittelhofs.
© Thilo Rückeis TSP

Berliner Höfe (2): Der Mittelhof in Nikolassee: Die Perle des glücklosen Großhändlers

Der große Berliner Architekt Hermann Muthesius entwarf den Mittelhof in Nikolassee für den Unternehmer Wilhelm Mertens. Die Villa, deren Baubeginn mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zusammenfiel, hat eine bewegte Geschichte.

Wer den Südwesten Berlins besucht, genauer: Nikolassee, der mag an manchen Stellen glauben, er sei vor die Stadt gereist. Kopfsteinpflaster, wilde Wiesenstücke, große Gärten. Da passt schon vom Namen der Mittelhof hin, dessen Grundstück nur durch ein breites Holztor zu betreten ist. Danach führt erst einmal eine 70 Meter lange Birkenallee zum Gebäude. Willkommen auf dem Lande, zumindest gefühlt. Vögel zwitschern, Bäume rauschen, dann und wann huscht ein Fuchs durch das Gesträuch.

Hier hat jemand systematisch die Idylle geplant, und doch wirkt der Ort nicht heiter. Der dunkle Trumm von Haus drückt sich tief ins Gelände, das zur Rehwiese hin abfällt, einer eiszeitlichen Rinne, heute ein Landschaftsschutzgebiet. Wäre das jetzt ein Film, würde während des Gangs zum Haus ein bedrohlicher Soundtrack erklingen, denn die hohen Kiefern und nach unten gezogenen Schindeldächer des Komplexes lassen an deutsche Düsternis denken.

Eigentlich sind solche Assoziationen ungerecht, denn hier hat Hermann Muthesius gebaut, einer der bedeutendsten Architekten der Vormoderne, und 1915 mit dem Mittelhof ein singuläres Stück seiner „Perlenkette“ an Landhäusern abgeliefert, die er für Nikolassee schuf. Für die spätere Geschichte des Hauses kann er schließlich nichts, die Vereinnahmung seiner Ideen durch die Nationalsozialisten, die als architektonisches Ideal deutscher Behaglichkeit den Heimatstil entwickelten. Ebenso wenig ist er dafür verantwortlich, dass die Villa im „Dritten Reich“ zur Dienststelle der Reichskulturkammer umfunktioniert wurde. Hier wurde darüber entschieden, welche Musiker, Maler, Schauspieler Mitglied der Kammer sein durften. Nur ihnen war erlaubt, ihren Beruf weiter auszuüben.

Heute herrscht in dem Gebäude ein völlig anderer Geist. Zwei Forschungsstellen residieren hier: das Zentrum Moderner Orient mit einem großen wissenschaftlichen Stab und die Geschäftsstelle der Historischen Kommission. Historiker, Soziologen, Anthropologen, Psychologen, Ökonomen gehen im Mittelhof ein und aus, kommen zu Tagungen, besuchen die Bibliothek, arbeiten in einem der vielen kleinen Büros, die in den einst großzügigen Räumen der Villa eingerichtet sind. Mittags treffen sie sich zum Lunch in der holzgetäfelten, 64 Quadratmeter großen Eingangshalle, unter deren Decke früher das Modell eines Zweimasters hing.

Von der ursprünglichen Ausstattung ist nicht allzu viel geblieben, 1990 kehrte die Kopie eines Murillo-Bildes über dem Kamin zurück. Das Original befand sich im Bode-Museum. Es gefiel der Gattin des Erbauers so gut, dass sie sich eine zweite Version für daheim wünschte. Johanna hieß sie, so viel ist außerdem von ihr noch bekannt und, dass sie sich von dem Architekten einen Bau wünschte, der sich an einem „altschottischen Gehöft“ orientiert. Ihr Mann, Wilhelm Mertens, hatte dagegen eine Anlage „im kolonialen Bungalow-Stil“ im Sinn. Eine Mischung aus beiden Typen ist es geworden. Ferner erinnert der Bau durch die Birkenallee und die dunkelroten Backsteine an ein niedersächsisches Gut.

Bauherr Wilhelm Mertens hatte gerade einen Rechtsstreit hinter sich

Seinen Namen hat der Mittelhof ganz pragmatisch vom zentralen quadratischen Platz, um den sich die einzelnen Bauteile fügen. Die funktionale Bezeichnung ist eher ungewöhnlich, denn die Muthesius-Villen von Nikolassee tragen fast alle den Namen der Familien, die als Erste darin wohnten. Mertens hielt sich lieber zurück in seiner damals prekären Situation. Er war gerade mit einem blauen Auge aus einem jahrelangen Rechtsstreit herausgekommen. Bei ihm paarte sich deshalb Behauptungswillen mit Bescheidenheit.

Einerseits platzierte der Aufsteiger sein über 600 Quadratmeter großes Heim für die zunächst fünf-, später sechsköpfige Familie in bevorzugter Lage, inmitten Berlins besserer Gesellschaft, andererseits schottete er sich nach außen ab. Dem Unternehmer und „Kolonialhändler“ für Kautschuk, Bananen, Zinn, Gold, Erz wären die Verflechtungen seiner diversen Pflanzungsgesellschaften, Bergbau- und Rohstoffsyndikate in Afrika und Südostasien beinahe zum Fallstrick geworden, auch nach Abschluss des Verfahrens war sein Ruf nicht wirklich wiederhergestellt. Einen der gefragtesten Architekten der Zeit kurz darauf mit einem solchen Hausbau zu betrauen, zeugt von Hartnäckigkeit und Ausdauer.

Die Familie musste 1918 schon wieder ausziehen

Nur fielen Baubeginn und Ausbruch des Ersten Weltkrieges ausgerechnet zusammen. Für Mertens war das fatal. Er kam nicht mehr an seine Gelder im Ausland heran. Nach dem Frieden von Versailles verlor er seine Ländereien in den Kolonien. 1918 zog die Familie in ihr neues Heim, zwei Jahre später musste sie es schon wieder verlassen und sich verkleinern. Sie fand in einer nahe gelegenen, nur halb so großen Villa ein neues Domizil.

Mitte der Siebziger wäre die Villa beinahe abgerissen worden

Quadratischer Namensgeber. Um den zentralen Platz gruppieren sich die Gebäudeflügel des Mittelhofs.
Quadratischer Namensgeber. Um den zentralen Platz gruppieren sich die Gebäudeflügel des Mittelhofs.
© Thilo Rückeis TSP

Es gibt frühe Bilder vom Garten mit zwei Kindern, die im Sandkasten spielen, am Rand sitzt eine Erzieherin, dazu einen Blick durch das Tor auf die noch spillerige Birkenallee, in deren Mitte ein Junge im Matrosenanzug steht, daneben seine kleine Schwester mit weißem Kleidchen und dunklen Strumpfhosen. Auf allen anderen Aufnahmen aus der Frühzeit fehlen die Menschen. Die beiden Tische im Esszimmer, der große für Gäste, der kleine für die Familie, sind leer, die Korbstühle in der Veranda, die Bänke im Kaminerker unbesetzt. Das Familienleben im Mittelhof hatte gerade erst begonnen, da war es auch schon zu Ende.

Muthesius’ extravagante Villa, die auf Wunsch des Bauherrn bräsig in die Breite statt elegant in die Höhe ging, aber sollte nie mehr zum Heim einer einzigen Familie werden. Der Unternehmer verkaufte sein Haus an die beiden Brüder Henckel von Donnersmarck, die hier die Zentrale für ihr florierendes Immobiliengeschäft im Südwesten der Stadt einrichteten. Als Nächstes ließ sich 1938 die NS-Reichskulturkammer mit ihrer Dienststelle nieder. Der Leiter bezog den repräsentativsten Raum, den Speisesaal mit Tonnengewölbe; die großzügige Eingangshalle wandelte sich zum Warteraum für die Antragsteller. Das Kinderzimmer, die Schlafgemächer, Waschküche, Plättzimmer, die Stuben unter dem Dach für das Personal, alles wurde zu Kammern für die Behörde des Reichspropagandaministeriums verkleinert. Im Erdgeschoss zog der „Künstlerdank“ ein, eine Spendenstelle der „Dr. Joseph-Goebbels-Stiftung“ für bedürftige Schauspieler.

US-Soldaten unterhielten nach dem Krieg einen Offiziersclub

Heute befindet sich darin die Teeküche der Historischen Kommission und des Zentrums Moderner Orient (ZMO). Die beiden Forschungseinrichtungen bannen die Geister des Mittelhofs. Mertens erhielt seinen Gegenpart in Gestalt des ZMO, das am gleichen Ort unter anderem zum Kolonialismus forscht, die Historische Kommission stellt das Gegenstück zu den Nutzern des „Dritten Reiches“ dar. Das Intermezzo der amerikanischen Soldaten, die hier ihren Offiziersclub „Mittelhof-Manor“ unterhielten, und der Quäker mit ihrem Nachbarschaftsheim zur Versorgung der Bevölkerung in den ersten Nachkriegsjahren sowie die Phase als Altenstift für Diakonissen aus Ostpreußen fällt da kaum noch ins Gewicht. Als die Schwestern Mitte der Siebziger auszogen, wäre die Muthesius-Villa beinahe abgerissen worden: zu groß, zu weit ab vom Schuss, zu teuer. Die Volkswagen-Stiftung sprang ein, kaufte die Immobilie für die Historische Kommission, die hier in aller Abgeschiedenheit ihrer Forschungsarbeit nachgehen konnte.

Früher gab es einen Personal-Eingang

Daran hat sich seitdem nicht viel geändert, auch wenn seit 1996 das ZMO mit seinen 50 Mitarbeitern den meisten Platz einnimmt und die Historische Kommission nur noch den ehemaligen Schlaftrakt benötigt. Hellwach sind sie trotzdem da draußen in Nikolassee. Beim Wettbewerb „Land der Ideen“ wurde auch das ZMO ausgewählt, die Urkunde im Treppenhaus erinnert an die Auszeichnung durch den Bundespräsidenten. Und wer trotzdem schläfrig wird über seinen Papieren, geht zwischendurch vor die Tür und dreht eine Runde. „Bitte besonders die Jogger und Rehwiese-Benutzer Schuhe gründlich abputzen“, mahnt ein Zettel am Nebeneingang, der früheren „Leute-Tür“. Einst gab es für diese niederen Arbeiten Personal, die Zeiten haben sich glücklicherweise geändert. Nur der Mittelhof blieb, was er war: ein Haus weitab im Grünen.

Der Mittelhof von Hermann Muthesius ist nicht öffentlich zugänglich. Ausnahme: der Tag der Offenen Tür am Sonntag, den 13. September, an dem der Hof von 12 Uhr bis circa 18.30 Uhr geöffnet ist, im Rahmen des Tags des Offenen Denkmals.

Nicola Kuhn

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