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Aus neu mach’ neuer. Die Preußensiedlung stand 1913 für modernes Konzeptwohnen mit Kleinviehställen. Nach der Sanierung erscheint sie auch 2012 aktuell.
© Thilo Rückeis

Gartenstadt Preußensiedlung: Der Traum ist raus

Zwischen 1910 und 1913 bekam Altglienicke eine Gartenstadt, unter anderem nach Plänen von Hermann Muthesius. Nun wurde die Preußensiedlung saniert - und illustriert die ungebrochene Sehnsucht nach frischer Luft und dem eigenen Häuschen. Eine Exkursion ins Freie.

Gartenstadt, wie das klingt. Licht, Luft und nette Nachbarn. Gleichgesinnte. Gartenstädter. Natürlich ist das nur eine Utopie. Immerhin eine der harmloseren, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. In Berlin-Altglienicke, damals jwd, heute nahe dem Flughafen Schönefeld, steht seit 1913 eine solche Gartenstadt. Die Preußensiedlung ist gebaute Architekturgeschichte. Benannt hat man sie nach der Preußenstraße, einer seinerzeit noch weitgehend unbebauten Erschließungsstraße, an der sich heute Einfamilienhäuser mit schwarz glasierten Dächern drängeln. Die Parallelstraße heißt Germanenstraße. Es hätte also schlimmer kommen können.

Die Gartenstadtmode, die vor dem Ersten Weltkrieg aus Großbritannien nach Deutschland schwappte, war Teil der Wohnungs-, Lebens- und Sozialreform des frühen 20. Jahrhunderts. Kleine Leute sollten im eigenen (Reihen-)Haus im Grünen leben und sich möglichst selbst versorgen. Alles schön genossenschaftlich geregelt und in adrette bauliche Formen gebracht. Auch die Nazis mit ihrer Blut-und-Boden-Ideologie waren dem Gartenstadtkonzept nicht ganz abgeneigt. Das Urban Gardening der Gegenwart hingegen hat damit nicht mehr viel zu tun – obwohl es ebenfalls um Selbstverwirklichung und Selbstversorgung im engen Rahmen geht. Welcher urbane Gärtner besitzt schon einen Schuppen, in dem er Hühner oder Ziegen hält?

Historisch: Die Preußensiedlung nach ihrer Fertigstellung im Jahr 1913.
Historisch: Die Preußensiedlung nach ihrer Fertigstellung im Jahr 1913.
© privat

In der Preußensiedlung gibt es noch solche Stallanbauten, auch wenn dort heute eher der Rasenmäher parkt. Die historische Gartenstadtidee ist tot, doch die Sehnsucht nach frischer Luft und dem eigenen Häuschen übt eine ungebrochene Faszination aus. Da recken zweigeschossige Reihenhäuser mit kleinteiligen Sprossenfenstern ihre Giebeldreiecke in Richtung Innenhof. Dunkelgrüne Haustüren laden freundlich ein. Richtige Häuser mit allem drum und dran, mit fein differenzierten Details, klaren Fassaden und praktischen Grundrissen. Allerdings: alles ein bisschen kleiner als in heutigen Siedlungen. Willkommen auf der Zwergenwiese.

Die Entwürfe für das schmucke Ensemble stammen neben dem wenig bekannten Architekturbüro Bel & Clement (1. Bauabschnitt 1910, sieben Hausgruppen) von Hermann Muthesius (2. Bauabschnitt 1913, 26 Reihenhäuser). Muthesius, einer der bedeutendsten Architekten der späten Kaiserzeit, war eigentlich der Mann des modernen wilhelminischen Großbürgertums, Erbauer von Villen und Landhäusern in Nikolassee und Dahlem. Muthesius war aber auch eine tragische Figur. Als Architekt der Berliner Hautevolee kam er, der sich durchaus für eine stärkere Typisierung im Wohnungsbau einsetzte, nur sehr selten dazu, Siedlungen für einfache Leute zu entwerfen. Und nach 1918, als tatsächlich Siedlungen statt Villen gebaut wurden, gehörte er zum alten Eisen. Ein paar hundert Meter östlich, jenseits der S-Bahntrasse, steht Bruno Tauts Gartenstadt Falkenberg, bekannt als Tuschkastensiedlung. Klassische Architekturmoderne. Seit 2008 gehört sie zum Unesco-Kulturerbe. Die Preußensiedlung kennt kaum jemand.

Preiswert und trotzdem hochwertig

Dabei verdienen sie und ihr unverkennbarer Anspruch, preiswert und trotzdem hochwertig zu bauen, höchste Beachtung. Weil es nach 100 Jahren immer noch genau darum geht. Das findet auch Thomas Kubeneck, der Architekt, der die nun abgeschlossene Sanierung der Siedlung geplant hat. Seit 14 Jahren beschäftigt sich Kubeneck mit der Siedlung, konkret wurden seine Sanierungspläne Ende 2008. Ohne seine Hartnäckigkeit wäre die Gartenstadt wahrscheinlich längst abgerissen worden. Zwischenzeitlich hatten Spekulanten das Grundstück erworben, die das sanierungsbedürftige Baudenkmal einfach nur loswerden wollten.

Die Rettung der Preußensiedlung durch einen denkmalinteressierten Nürnberger Investor ist ein kleines Wunder, das sich das Berliner Landesdenkmalamt eine sechsstellige Fördersumme kosten ließ. Die Projektentwicklung der Preußensiedlung funktionierte dabei wie die Umwandlung eines Mietshauses: Zuerst wurde Haus für Haus verkauft und eine Eigentümergemeinschaft gebildet, dann geschlossen nach Kubenecks Plänen saniert. Was passiert, wenn es weniger planmäßig läuft, lässt sich ebenfalls in der Preußensiedlung besichtigen – vier Reihenhäuser waren vor Projektbeginn verkauft worden und sind nun erkennbar nicht mehr Teil des Ensembles. Zwei davon wurden gar nicht, eines nur teilweise und eines auf eigene Faust saniert.

Die geringe Grundfläche der 55 bis 70 Quadratmeter großen Reihenhäuser bereitete – gepaart mit den zahlreichen baulichen Details – bei der Suche nach Investoren durchaus wirtschaftliche Probleme. Beinahe zehn Jahre dauerte es, bis sich ein seriöser Bauherr fand, der gewillt war, die ungünstige Kosten-Nutzen-Relation auf sich zu nehmen. Stolz ist der Architekt auf Details wie die Kehlen zwischen rechtwinklig aufeinandertreffenden Dachflächen, die nicht – wie es heutigen Normen entspräche – mit Zinkblech verkleidet wurden, sondern mit einzeln per Hand zugeschnittenen Biberschwänzen ausgelegt sind. Durch das einheitlich ziegelrote Material und die exakt gerundeten Kehlen wirken die Dächer wie eine zusammenhängende Dachlandschaft. „An so einer Kehle sitzt der Dachdecker tagelang“, erzählt Kubeneck.

Dem von Hermann Muthesius 1913 errichteten Wohnhof mit seiner leicht trapezförmigen Umbauung galt die besondere Aufmerksamkeit des Planers. Hier wurden Fenster und Türen möglichst originalgetreu nachgebaut und viel Sorgfalt auf die Qualität des rauen Besenputzes gelegt, einer historischen, kaum noch anzutreffenden Putzart. Im älteren Teil der Siedlung gestattete das Denkmalamt größere Freiheiten. Dort durften sogar die Grundrisse stärker verändert werden.

Dem geschlossenen Charakter der Siedlung tut das keinen Abbruch. Wohltuend auf das Gesamtbild wirkt sich eine Entscheidung aus, über die Thomas Kubeneck besonders glücklich ist. Der Bauherr war bereit, ein benachbartes Grundstück, das schon 1913 mitbebaut werden sollte, zu erwerben – nicht, um darauf zu bauen, sondern um Stellplätze anzulegen. So konnte das Herz der Preußensiedlung autofrei bleiben. Ganz getreu dem Motto: Garten statt Stadt.

Preußensiedlung: Preußenstraße 41-47 und Germanenstraße 80-84 in 12524 Berlin-Altglienicke. Mehr Informationen: www.kubeneck.de

Michael Zajonz

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