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Schrecklich schöne Qualen: "Die Furien" im Prado in Madrid.
© dpa

Ausstellung "Las Furias" im Madrider Prado: Die Pein der Furien

Tityus, Sisyphos, Tantalus und Ixion sind die Furien der griechischen Unterwelt. Der Prado in Madrid widmet den gequälten Gestalten mit "Las Furias" nun eine exzellente Schau.

1547 vernichtete Kaiser Karl V. in der Schlacht von Mühlberg in Thüringen die protestantischen Aufständischen des Schmalkaldischen Bundes. Es war eines der blutigsten Gemetzel der an Grausamkeit wahrlich nicht armen Religionskriege. Karl V., in seinem Selbstverständnis durchaus kein Glaubenseiferer, sondern Bewahrer des multiethnischen und inzwischen auch multireligiösen Reiches, sah sich danach als neuen Jupiter, der die mythologischen Giganten zerschmettert.

Mit den "Giganten" sind die protestantischen Fürsten gemeint, an der Spitze Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen. Als Jupiter ließ sich der Kaiser auf einer Medaille des Italieners Leone Leoni darstellen, die im Reich von seinem Ruhm künden sollte. Heute wird ein Exemplar davon im Madrider Prado bewahrt, interessanterweise erst seit 1916 - ein Erbstück aus Privatbesitz.

Diese Medaille ist zum Auftakt der Ausstellung "Die Furien. Politische Allegorie und künstlerische Herausforderung" zu sehen, mit der der Madrider Prado wieder einmal seine unerschöpflichen Eigenbestände zum Sprechen bringt und dabei ein vermeintliches Nebenthema beleuchtet, das gleichwohl paradigmatisch für die Kunstgeschichte vor der Heraufkunft der Moderne angesehen werden darf.

Verdammt zu ewigen Qualen: Die Furien Tityus, Sisyphos, Tantalus und Ixion

Mit den "Furien" des spanischen Titels "Las Furias" sind vier Bewohner der griechischen Unterwelt gemeint, Tityus, Sisyphos, Tantalus und Ixion, die aus unterschiedlichen Gründen zu ewigen Qualen verdammt sind. In der antiken Mythologie bildeten sie niemals eine Gruppe, erst Ovid in seinen "Metamorphosen" nennt sie im Zusammenhang, ohne dass die Renaissance daraus Anregungen gezogen hätte.

So überrascht es, dass Maria von Ungarn, die verwitwete Schwester Karls V. und Statthalterin der spanischen Niederlande, im Jahr nach Mühlberg den Hofmaler Tizian beauftragte, in vier monumentalen Gemälden gerade dieses Quartett der Qualen für ihren neuen Palast im heute belgischen Binche zu malen. Dort gedachte sie ihren siegreichen Bruder zu empfangen.

Männliche Opfer der eigenen Hybris

Tizian, der im Jahr 1548 bereits ein - ebenfalls im Prado aufbewahrtes - monumentales Reiterportrait des Kaisers angefertigt hatte, schuf vier Großformate. Sie gelangten jedoch bereits ein Jahrzehnt später nach Madrid, teils in so schlechtem Zustand, dass sie durch Kopien ersetzt wurden. Die Bezeichnung als "Furien" ist eine Fehldeutung, denn die antiken Furien sind die weiblichen Göttinnen der Rache und Vergeltung und nicht die von Tizian dargestellten männlichen Opfer eigener Hybris. Aber dieser Terminus setzte sich in Spanien durch.

So sehr Tizians Gemälde auch stilprägend wirkten, konzentrierte sich, wie die Madrider Ausstellung an exzellenten Beispielen belegt, die künstlerische Nachfolge doch auf den seit der Antike bevorzugten Prometheus. Der Dieb des göttlichen Feuers wurde als Verbindungsfigur zwischen Menschen und Göttern geschätzt.

Die Prado-Ausstellung lädt zur Wanderung durch Zeiten und Stile.

Schrecklich schöne Qualen: "Die Furien" im Prado in Madrid.
Schrecklich schöne Qualen: "Die Furien" im Prado in Madrid.
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Der Wandel sowohl der Benennungen als auch der Ikonographie führt unmittelbar zu einem Begriff, den Aby Warburg 1905 mit seinem Vortrag über "Dürer und die italienische Antike" in die Kunstgeschichte eingeführt hat: die Pathosformel. Damit ist ein feststehender Ausdruck gemeint, eine Gestik oder ein Gesicht, das gewissermaßen durch die Zeiten und Stile "wandert". Und das ist das Faszinierende der Prado-Ausstellung, dass sie genau eine solche Wanderung nachverfolgt.

Tizian bezieht sich in der Körperdarstellung der geschundenen Opfer auf die griechisch-antike Laokoon-Gruppe, die seit ihrer Ausgrabung 1506 zu den Attraktionen Roms zählte und von buchstäblich allen Künstlern besucht und studiert wurde. Tizian übernimmt die Körperdrehung des sterbenden Laokoon und variiert sie in allen vier Bildern, von denen nur noch eines im Original erhalten ist: Sisyphos, der vergeblich seinen Stein den Berg hochrollt.

Der kaum je zu Prominenz gelangte Tityus ist zumindest als eigenhändige Zweitfassung zu sehen, offenbar verändert, nachdem das Original bereits 1558 unrettbar beschädigt war. Er muss, Prometheus gleich, an einen Felsen geschmiedet erdulden, dass Adler ihm täglich die Leber heraushacken. Dieses gleichartige Schicksal hat kunstgeschichtlich dazu geführt, dass er mit Prometheus verwechselt wird. Beziehungsweise dass in den anderthalb Jahrhunderten nach Tizians weithin beachteten Gemälden allein Prometheus von künstlerischem Interesse blieb. Was der Prado an Kunstwerken nach Tizian zeigt, sind beinahe ausschließlich Prometheus-Darstellungen.

Nord und Süd sind gleichermaßen mit Prometheus/Tityus beschäftigt

Spannend an der "Wanderung" dieses Sujets ist der Umstand, dass Nord und Süd, die Niederlande sowie Italien und auch Spanien gleichermaßen mit Prometheus/Tityus beschäftigt sind. Das gibt es bei keinem anderen Bildgegenstand. Den Anfang machte noch vor Tizian Michelangelo, der bereits 1532 einen Tityus nach dem nunmehr in die Waagerechte gebrachten Körpermodell des Laokoon gezeichnet hat.

Dieses Blatt aus dem Besitz der britischen Königin ist in Madrid zu sehen. Auf der Vorderseite aber ist ein auferstehender Christus gezeichnet, in exakt derselben, nur spiegelverkehrten Körperansicht. Allein schon dieses Blatt macht deutlich, was Warburg mit dem Begriff der "Pathosformel" gemeint hat - eine Universalsprache der Kunst, die sich mit unterschiedlichen Bedeutungen "aufladen" lässt. Warburg hatte darauf hingewiesen, dass die italienischen Künstler schon früh "in dem wiederentdeckten Formenschatz der Antike ebenso eifrig nach Vorbildern für pathetisch gesteigerte Mimik wie für idealisierende Ruhe suchten". Etwas, das die Laokoon-Gruppe exemplarisch bereitstellte.

Niederländer schöpfen das Prometheus-Sujet aus

Die Niederländer schöpfen die doppelten Möglichkeiten des Prometheus-Sujets aus, nämlich Mensch und Tier in dramatischer Bewegung und Perspektive darzustellen. In Madrid ist unter anderem ein Großformat von Rubens von 1611/12 zu sehen, bei dem Prometheus von einem vom Tiermaler Frans Snyders enorm wirklichkeitsgetreu dargestellten Adler bedrängt wird. In der spanischen Malerei, bei dem am spanisch-habsburgischen Hof von Neapel tätigen José de Ribera, tritt ein weiterer Aspekt des Sujets hinzu: die Fähigkeit der Malerei, Laute darzustellen, hier den gellenden Schrei des Prometheus/Tityus. Der weit aufgerissene Mund steht allerdings in bewusstem Gegensatz zum antiken Laokoon, dem sich lediglich ein "beklemmtes Seufzen" entringt, wie Winckelmann später lobend hervorhebt. In Neapel liebte man statt dessen den blanken Horror.

Aby Warburg wird zum heimlichen Ahnherren der Madrider Ausstellung.

Interessanterweise "wandert" das Sujet der Gefolterten zurück nach Italien. Salvator Rosa, beinahe lebenslang in Rom tätig, schwelgt in der Darstellung des Schrecklichen. Er lässt 1640 den Adler detailfreudig die Eingeweide aus Prometheus herausreißen, zugleich aber dessen Schrei gebärdensprachlich sichtbar werden. Damit ist ein Endpunkt der Entwicklung des Themas der vier Unglücklichen erreicht, das fortan vor allem in grafischen Darstellungen nach den Gemälden der genannten Meister fortlebt, ehe es um 1700 ebenso unvermittelt von der kunstgeschichtlichen Landkarte verschwindet. Nur als Einzelfiguren leben Prometheus sowie Sisyphos fort, letzterer vor allem literarisch.

Die um einen Kern aus eigenen Beständen herum aufgebaute, lediglich 28 Katalognummern umfassende Madrider Ausstellung zeigt die Wanderung von Pathosformeln ebenso wie das, was Warburg 1905 an Dürer rühmte, nämlich "das Erbe der Vergangenheit durch Neuerwerb zu seinem eigensten Besitz zu machen". Das gilt für Tizian ebenso wie für seine Nachfolger.

Um nochmals Warburg, den heimlichen Ahnherren dieser Ausstellung, zu Laokoon zu zitieren: "Man fand nur, was man in der Antike gesucht und deshalb gefunden hatte: die in erhabener Tragik stilisierte Form für Grenzwerte mimischen und physiognomischen Ausdrucks." Solche Grenzwerte haben die Künstler erstrebt und auf bezwingende Weise zur Anschauung gebracht.

Madrid, Prado, Eingang Puerta de los Jerónimos, bis 4. Mai, täglich 10-20, So bis 19 Uhr. Katalog spanisch/englisch 35 €.

Bernhard Schulz

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