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Denken in Bildern. Freunde mussten Warburg bremsen, bei Vorträgen allzu viele Illustrationen zu zeigen.
© picture-alliance / akg-images

Die Vorträge Aby Warburgs: „Noch über 12 Diapositive abgemeuchelt“

Der Kunsttheoretiker Aby Warburg war auch als Vortragender erfinderisch. Seine avantgardistischen Bilderreihen, mit denen er seine Vorlesungen begleitete, wurden nun erstmals umfassend erforscht.

Aby Warburg (1866-1929) war seiner Zeit voraus. Wo andere sich mit Vorlesungen begnügten, wortwörtlich im Sinne des Vorlesens, ergänzte und erhellte er seine Vorträge mit Projektionen der Kunstwerke, über die er sprach. Die Qualität der Bebilderung genügte ihm allerdings nicht. „... wenn man nicht einmal ruhig beleuchten, sondern nur kinematografisch scheinwerfern kann“, klagte Warburg im Oktober 1912 in der ihm eigenen bildhaften Sprache über die Schwierigkeiten mit der Projektion von Diapositiven. Sein Vortrag betraf die „Antike Kosmologie in den Monatsdarstellungen des Palazzo Schifanoja zu Ferrara“. Er stellt einen Meilenstein in der Ausführung seines Forschungsansatzes dar, die „Wanderungen“ antiker Motive durch die Länder und Jahrhunderte zu verfolgen.

Angesichts der nun schon einige Dutzend Jahre anhaltenden Konjunktur, die Warburgs Schriften in der akademischen Kunstwissenschaft genießen, muss es daher erstaunen, dass Warburgs Versuche auf dem Feld der Ausstellungsgestaltung erst jetzt umfassend erforscht wurden. Im Rahmen der „Gesammelten Schriften“ Aby Warburgs ist mit Band II.2 die Darstellung seiner „Bilderreihen und Ausstellungen“ erschienen. Sie schließt inhaltlich eng an die Publikation des eher berühmten denn bekannten Bilderatlas „Mnemosyne“ an, die mittlerweile zwölf Jahre zurückliegt und bereits in vierter Auflage vorliegt. Denn auch bei den Ausstellungen stehen Bildertafeln im Mittelpunkt, die ganz verschiedenartige Bildträger zusammenführen, vom Holzschnitt bis zur Briefmarke.

Uwe Fleckner, der in Hamburg Kunstgeschichte lehrt und an einer bemerkenswerten Vielzahl von Editionsvorhaben beteiligt ist, hat gemeinsam mit Isabella Woldt in jahrelanger Arbeit die „Bilderreihen und Ausstellungen“ rekonstruiert. Dazu gehörte eine Portion Glück, an der Warburg seine Freude gehabt hätte: Ausgerechnet die „Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde“, die Warburg für das neue Hamburger Planetarium kurz vor seinem plötzlichen Tod 1929 noch nahezu fertigstellen konnte und die erstaunlicherweise bis zum Kriegsjahr 1941 an ihrem Platz blieb, fand Fleckner 1987 in einem Lagerraum des Gebäudes. Nach dem Krieg erneut aufgestellt, waren die originalen Bildtafeln nach und nach aus der Präsentation ausgesondert, jedoch glücklicherweise nicht vernichtet worden. Hamburg war Warburgs Heimatstadt, dort baute er die „Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg“ auf.

Die Ausstellung zur Sternenkunde ist die einzige, die Warburg als Dauereinrichtung konzipiert hatte und die darum nicht zur Begleitung eines Vortrages diente. Alle anderen Bilderreihen müssen im Hinblick auf Warburgs Erläuterungen gesehen werden, auf seine rhetorischen Fähigkeiten, seine Assoziationskraft und seinen Sprachwitz. Von dem erhaltenen Vortragsfragment zum Thema „Römische Antike in der Werkstatt des Domenico Ghirlandaio“, mit dem Warburg im Januar 1929 in der römischen Bibliotheca Hertziana brillierte, schreibt Fleckner, dass man von „weitgehend improvisierten und offenbar noch lange Stunden in Anspruch nehmenden Ausführungen Warburgs“ ausgehen müsse. Für einen Vortrag vor Mitgliedern der Hamburgischen Handelskammer plante er anfangs nicht weniger als 380 Bilder, musste dann aber nach und nach reduzieren. Schließlich vermerkt er im Tagebuch: „Auf Anraten von College Bing und Freund noch über 12 Diapositive abgemeuchelt.“

Wie sehr Warburg in seinen späten Lebensjahren an der Bildproduktion seiner eigenen Gegenwart interessiert war, zeigt insbesondere die Bilderreihe „Die Funktion des Briefmarkenbildes im Geistesverkehr der Welt“ von 1927. Warburg „war sich des Problems der ,bilderlosen’ Demokratie durchaus bewusst“ und ging so weit, einen eigenen Briefmarkenentwurf vorzustellen, eine Luftpostmarke „mit dem modernen Motiv des Flugzeugs als Ideenträger“. Die auf den Bildtafeln versammelten Briefmarken zeigen die damals zumeist vorherrschende, herkömmliche Ikonografie von Macht und Würde, die sich bisweilen unmittelbar auf antike Vorbilder zurückführen lässt.

Mit der Publikation des vorliegenden Bandes der „Gesammelten Schriften“ ist jedenfalls ein großer Schritt getan. Tafel für Tafel, Reproduktion für Reproduktion haben die Herausgeber für alle der zwischen 1925 und 1929 entstandenen 13 Bilderreihen die Bildvorlagen identifiziert. Warburgs Denken in Bildern, das Kombinieren scheinbar entlegener Bildformeln und heterogener Bildträger wird dank der 434 meist ganzseitigen Abbildungen erst recht verständlich. Bernhard Schulz

Uwe Fleckner, Isabelle Woldt (Hrsg.): Aby Warburg. Bilderreihen und Ausstellungen. Gesammelte Schriften, Band II.2, Akademie-Verlag, Berlin 2012. 471 S., 434 Abb., 248 Euro.

Bernhard Schulz

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