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Kriminalbeamte auf Spurensuche. 1986 jagt die RAF in Straßlach bei München das Siemens-Vorstandsmitglied Karl Heinz Beckurts und seinen Fahrer mit einer Bombe in die Luft. Die Täter sind bis heute unbekannt.
© dpa

Aufarbeitung der RAF-Morde: Die Ohnmacht nach der Bombe

Noch immer sind viele Morde der dritten Generation der RAF nicht aufgeklärt. Die Fahnder scheitern daran, dass es keine verwertbaren Spuren gibt. Oft fehlt selbst ein Verdächtiger.

Bis 21.32 Uhr an diesem 10. Oktober 1986 ist der Taxifahrer, der vor der Buchholzstraße 34a in Bonn-Ippendorf angehalten hat, nur ein 24-jähriger Student, der sich Geld für die Uni verdient. Eine Minute später wird er Zeuge eines brutalen Mordes. Sein Fahrgast holt gerade zwei Aktentaschen aus dem Kofferraum, als aus der Dunkelheit eine Person auftaucht, etwa 1,65 Meter groß, vermummt mit einer Wollmütze, eine Pistole in der Hand. Zwei Schüsse knallen durch die Nacht, sie treffen Gerold von Braunmühl in den Oberkörper. Der 51-Jährige schleppt sich hinter einen VW Scirocco. Dann taucht ein zweiter Vermummter auf, nach zwei Schüssen in den Kopf bleibt von Braunmühl tot auf der Straße liegen.

„Das Kommando Ingrid Schubert“ der Roten Armee Fraktion hat einen weiteren Mordanschlag verübt.

Gerold von Braunmühl ist kein Prominenter, „nur“ Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt, aber ein enger Vertrauter von Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Niemand hätte gedacht, dass solch ein Mann zum Opfer der RAF werden könnte. Die Mörder sind bis heute nicht gefunden. Es gibt nicht mal Verdächtige.

Kaum ein Fall wurde geklärt

Der Fall von Braunmühl ist Teil einer traurigen Liste ungeklärter RAF-Attentate, alle verübt von der dritten Generation der RAF, die zwischen 1984 und 1993 bombt und mordet. Aber erst am 20. April 1998 erklärt die RAF in einem siebenseitigen Schreiben, dass sie sich an diesem Tag auflösen werde. Von Reue ist keine Rede. Stattdessen endet die Erklärung mit einem Zitat von Rosa Luxemburg: „Die Revolution sagt: Ich war/ich bin/ich werde sein“.

22 Gewalttaten hat sie verübt, nur zwei konnten vollständig aufgeklärt werden. Das RAF-Mitglied Wolfgang Grams erschießt auf dem Bahnhof in Bad Kleinen 1993 den GSG 9-Kommissar Michael Newrzella bei dem Versuch, ihn und seine Freundin Birgit Hogefeld festzunehmen. Grams verübt anschließend Selbstmord, zuvor hat er versucht, einen weiteren GSG 9-Mann zu töten; Hogefeld wird verhaftet. Zusammen waren sie 1984 in den Untergrund abgetaucht.

Aber sonst? Entweder sind die Fälle gar nicht geklärt und es gibt nicht mal einen Verdächtigen, oder aber es gibt noch viele Unklarheiten.

Ein Auszug aus der Liste: 1985 wird der Vorstandsvorsitzende des Konzerns MTU, Ernst Zimmermann, in Gauting bei München besonders brutal ermordet. Die RAF-Attentäter setzen ihn in seinem Schlafzimmer auf einen Stuhl und töten ihn mit einem Genickschuss.

1985 wird der US-Soldat Edward Pimental in Frankfurt ermordet, ebenfalls mit Kopfschuss. Die RAF benötigt seinen Armee-Ausweis, damit sie auf die Air Base in Frankfurt kommt. Dort zündet sie eine Bombe. Zwei Tote.

1986 jagt die RAF in Straßlach bei München das Siemens-Vorstandsmitglied Karl Heinz Beckurts und seinen Fahrer mit einer Bombe in die Luft, die am Straßenrand deponiert war. Beckurts und Goppler sind sofort tot.

1989 wird Alfred Herrhausen, der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, mit einer Bombe getötet, die durch eine Lichtschranke ausgelöst wird.

1991 ermordet ein Scharfschütze aus 63 Metern Entfernung Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder in dessen Haus.

Birgit Hogefeld wurde unter anderem wegen ihrer Beteiligung am Pimental-Mord und am Air-Base-Anschlag zu lebenslanger Haft verurteilt. Wegen dieser Delikte erhielt auch das RAF-Mitglied Eva Haule eine lebenslange Gefängnisstrafe. Aber wer sonst noch an diesen Taten beteiligt war – niemand weiß es. Es gibt kaum Verhaftungen von Mitgliedern der dritten Generation. Die Polizei konnte Haule 1986 nur dank eines Tipps festnehmen, in einem Rüsselsheimer Eiscafé. Ein Mann, bei der Polizei genervt als „Oberverdachtsschöpfer“ bekannt, hatte die Polizisten auf die Spur gebracht. Hogefeld und Grams wurden durch einen V-Mann des Verfassungsschutzes verraten.

Im November 2013 findet im Bundeskriminalamt eine Besprechung statt, mit Bundesanwälten und Kripoleuten. Thema: Bilanz der Fahndung nach RAF-Mitgliedern. Sie fällt überaus ernüchternd aus. Bundesanwalt Rainer Griesbaum, der führende Mann bei der Fahndung nach den Tätern, sagt: „Wir haben alle Ermittlungsansätze abgearbeitet, es gibt keine neuen Erkenntnisse.“

Keine Fingerabdrücke, keine Täterbeschreibungen

Es gab schon vorher keine neuen Spuren, weil diese Generation keine hinterlassen hatte. Mitglieder der ersten und zweiten Generation hinterließen Fingerabdrücke, fuhren mit gestohlenen Autos, lieferten genügend Hinweise, so dass einige per Rasterfahndung aufgespürt werden konnten. Die letzten RAF-Mitglieder bewegten sich (und bewegen sich immer noch) „völlig unauffällig“, sagt Griesbaum. Fingerabdrücke? Keine. Einer der Mörder von Zimmermann trug keine Handschuhe und stellte einen Teekessel auf eine andere Herdplatte. Trotzdem fand die Polizei keine Fingerabdrücke. Die Täter hatten Wundspray auf ihre Fingerkuppen gesprüht, wie es Handwerker machen, damit sie sich nicht schmutzig machen. Beim Mord an Herrhausen hatten die Attentäter sogar eine Straße aufgemeißelt, um eine Leitung zur Bombe legen zu können. Passanten beobachteten das mit Interesse, aber niemand konnte später eine genaue Täterbeschreibung liefern.

Nach dem Mord an Gerold von Braunmühl schreiben seine Brüder einen offenen Brief an die RAF. Die „taz“ druckt ihn auf Seite eins. „Wer macht Euch zu Auserwählten Eurer elitären Wahrheit? Gibt es etwas außerhalb Eurer grandiosen Ideen, was Euch erlaubt, einem Menschen Eure Kugeln in den Leib zu schießen?“

Die RAF hat nie geantwortet.

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