Zum Tod von Hans-Dietrich Genscher: Staatsmann mit Mut und Entschlusskraft
Wegbereiter der Einheit, Unterstützer von Solidarnosc und Perestroika sowie Freidemokrat durch und durch - die Verdienste von Hans-Dietrich Genscher sind unbestritten. Vor allem aber war er auch ein Kämpfer.
Gerade erst hatte er Geburtstag, den 89. Ein stolzes Alter, zumal für einen, der sein Leben lang nie bei bester Gesundheit war. Kämpfen musste. Als junger Mann mit Tuberkulose, später immer mal wieder die Probleme mit dem Herzen. Aber er besiegte noch jede Krankheit. Zu guter Letzt konnte man meinen, Hans-Dietrich Genscher sei unsterblich. Und das wird er auch sein, im kollektiven Gedächtnis seiner Partei, der FDP, wie der Deutschen, die ihm viel, sehr viel verdanken.
"Der Mann mit den Ohren" wurde er genannt, und "der mit dem gelben Pullunder". Den machte er zu seinem Markenzeichen, und im Haus der Geschichte der Bundesrepublik hat er seinen Platz. Die Deutsche Einheit - ohne "Dieter" wäre sie nie möglich gewesen. Ohne seine fortgesetzte Entspannungspolitik seit 1974 im Außenamt, ohne seine "Wende" zu Helmut Kohl 1982. Kohl, der ohne Genscher, seinen Freund, nie Bundeskanzler geworden wäre. Kohl, der dann zum Kanzler der Einheit wurde. Und Genscher? War nicht nur Herold, wie auf dem Balkon in Prag, als er unter Jubel den tausenden DDR-Bürgern ihre Ausreise in den Westen mitteilte, sondern insgesamt ihr Wegbereiter.
Viele vergessen, welch ein Staatsdiener, besser: Staatsmann, Genscher war. Er hatte schon knapp fünf Jahre das Amt des Bundesinnenministers unter Willy Brandt inne, als Helmut Schmidt übernahm. Da begann seine ganz große Zeit, 1974. Die KSZE, die Abrüstung, die Politik des Ausgleichs, der guten Nachbarschaft - er wurde zu einer Institution, zum dienstältesten Außenminister zum Zeitpunkt seine Ausscheidens 1992. Der dann doch überraschend kam. Die Kritik an der Anerkennung der jugoslawischen Teilrepubliken Kroatiens und Slowenien 1991 reichte bis hin zum UN-Generalsekretär.
Genscher hatte Mut und Entschlusskraft
Aber seine Verdienste sind unbestritten. Als Innenminister, als Außenminister, als Liberaler. Keiner, bis heute, der sich nicht auf ihn beruft. Der gebürtige Hallenser, der nahe Bonn wohnte, hatte große geschichtliche Ereignisse mit zu bewältigen. Er hörte alles, das meinte seinerzeit Herbert Wehner, und sah politisch vieles voraus. Genscher hatte Mut und Entschlusskraft. Und eine gehörige Portion Schlitzohrigkeit.
Als Innenminister bot er sich den palästinensischen Terroristen bei den Olympischen Spielen 1972 in München als Geisel zum Austausch an, schuf anschließend die Antiterrortruppe GSG 9. Kein Fluss trat über die Ufer, an dem der Innenminister nicht nach dem Rechten schaute. Als Außenminister trat er der Solidarnosc mit Lech Walesa an die Seite, begradigte den Streit um die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, in den Gesprächen mit der damaligen Sowjetunion förderte er die Politik Michail Gorbatschows wie kein Zweiter. Unvergessen der Besuch in Moskau, als Genscher dessen Kurs "unumkehrbar" nannte.
Der Spruch von Erich Honecker "Hallenser, Haloren, Halunken" - der wird Genscher nicht geärgert haben. Die Einheit war sein Lebenstraum. Der Freidemokrat, der Liberale schon zu DDR-Zeiten - Genscher war 1952 über Berlin nach Bremen gekommen, wo er dann als Rechtsanwalt arbeitete - half, dass einer der Seinen in Halle das erste Direktmandat der FDP für den Bundestag schaffte. Als Ehrenvorsitzender der Partei seit 1992 hatte er noch mehr Einfluss als vorher in elf Jahren als Parteichef. Die parteipolitische Wende 1982, die ihm durchaus verübelt worden war, hatte immerhin im weitesten Sinn zur großen innerdeutschen und zur weltpolitischen geführt.
Legendär ist seine Amtsführung im Außenamt. Er zieht dort Spuren bis heute. Viele im Amt sind und waren stolz, sich "Genscheristen" zu nennen. Guido Westerwelle, jüngst verstorben, wollte nicht zuletzt aus Verehrung für ihn kein anderes Ministerium übernehmen.