Auktionen bei Grisebach: Die neue Hausordnung
Eine Postkarte von Franz Marc sorgt bei Grisebach für einen Rekord. Das teuerste Bild verkauft sich bei den Herbstauktionen dagegen nur unter Vorbehalt.
Der Streit um eine Postkarte kann teuer werden. Das mussten im Auktionshaus Grisebach zwei Bieter feststellen, von denen keiner aufgeben wollte – weshalb sie den Preis für ein gerade einmal handtellergroßes, dafür allerdings virtuoses Gemälde von Franz Marc immer weitertrieben. So hoch, dass am Ende der Versteigerung der „Ausgewählten Werke“ nun ein neuer Rekord steht: 781 000 Euro, inklusive Aufgeld. Noch nie wurde für eine Postkarte des deutschen Expressionismus so viel bezahlt.
Dass Marcs „Grünes und weißes Pferd“ von 1913 überhaupt zu den ausgewählten Losen gehörte, zeigt die sanften Veränderungen im Hause Grisebach. Vor zwei Jahren waren drei andere Karten des Künstlers noch in der Sonderauktion „Small is Beautiful“ im Angebot. Auch sie übertrafen den Schätzwert von 100 000–200 000 Euro um mehr als das Doppelte, die teuerste brachte damals 420 000 Euro. Da scheint es nur konsequent, wenn das kleine Gemälde jetzt als ein Highlight in die wichtigste Versteigerung des Herbstes bei Grisebach aufsteigt.
Neu ist ein Fokus auf preiswerten Werken
Doch der Katalog mit schlanken 50 Losen hielt noch andere Überraschungen bereit. Zu moderaten Schätzpreisen zwischen 9000 und 45 000 Euro kamen diverse Lose zum Aufruf, die man früher nicht bei den „Ausgewählten Werken“ vermutet hätte: so die Fotoserie „Eating Money“ von Duane Michals aus den achtziger Jahren zum Schätzpreis von 10 000- 15 000 Euro, sechs kleine Gemälde mit dem Motiv leerer Wassergläser von Peter Dreher (30 000-40 000 Euro) oder ein informelles Sujet von Hann Trier von 1965, für das Markus Krause als Auktionator an diesem Abend wenigstens 15 000 Euro haben wollte. All diese Arbeiten fanden ihre neuen Besitzer, teils im Rahmen der Schätzung und im Fall von Dreher mit einem Ergebnis von 57 500 Euro sogar ein ganzes Stück über der oberen Taxe. Für Diandra Donecker, seit 2019 zusammen mit Micaela Kapitzky die Doppelspitze bei Grisebach, steht diese Mischung für eine neue Hausordnung: „Ausgewählte Werke“ heißt nicht länger, dass hier allein die wertvollsten Lose zum Aufruf kommen – sondern auch, was die Experten der verschiedenen Sektionen des Auktionshauses den Bietern empfehlen würden, weil es besonders ist oder der Künstler ihnen als übersehen und unterbewertet gilt.
Chagalls Bild dient einem guten Zweck
Was keinesfalls für Marc Chagall gilt. Sein Gemälde „Les fiancés aux anémones“ von 1979 war mit geschätzten 1-1,5 Millionen Euro das Spitzenlos der Auktion. Ein typisches Bild des berühmten Künstlers mit Himmelsgetier und einem Brautpaar im Zentrum der leuchtend blauen Komposition. Erste Gebote kamen schnell, dann aber ließ die Bereitschaft nach. Die letzte Ansage blieb leicht unter einer Million Euro. Da half auch nicht, dass Markus Krause das Publikum wie auch die vielen Telefonbieter mehrfach lockte und jenes Bild, das einst Chagalls Tochter Ida gehörte, für einen guten Zweck versteigert wurde. Der Erlös soll dem christlich-jüdischen Hilfswerk Kiriat Yearim zugutekommen. Das geschieht nur, wenn sich der Einlieferer mit dem aktuell erzielten Preis zufrieden gibt. Vorerst wechselte Los Nummer 16 deshalb „unter Vorbehalt“ seinen Besitzer.
Seltsam matt fiel das Bietgefecht um eines der anderen Highlights aus. Max Beckmanns 1938 gemalte „Kleine Landschaft aus Bandol“ sollte zwischen 300 000 und 500 000 Euro kosten. Ein frisches, expressives Motiv, das bei Grisebach für gewöhnlich Begehrlichkeiten weckt. Nach ersten Geboten aber hielt sich das Publikum bei Los Nummer 8 auffallend zurück – und Krause gab bei 375000 Euro (inklusive Aufgeld) erstaunlich schnell den Zuschlag.
Manches blieb ohne Widerhall, unabhängig von der Qualität des Werks und der Prominenz seines Künstlers. So fand sich niemand, der bei Otto Morachs expressivem Dom der unteren Schätzung von 80 000 Euro folgen wollte. Es traf auch Bilder von Max Liebermann und Roy Lichtenstein, von denen sich anderes gut verkaufte wie etwa Liebermanns „Reiter am Strand“ (1900), der auf 150 000 Euro geschätzt war und mit Aufgeld am Ende 250 000 Euro brachte.
Ein Sammler erwarb 70 Porträts von August Sander
Für einen ähnlichen Auftrieb hatte bereits am Donnerstag die Fotografie-Auktion bei Grisebach gesorgt. Im Zentrum standen 70 Porträts des epochalen Werkes „Menschen des 20. Jahrhunderts“ von August Sander, die noch zu Lebzeiten des Fotografen Anfang der sechziger Jahre entstanden. 70 Silbergelatineabzüge, die Sanders Sohn Gunther für eine Wanderausstellung in großem Format anfertigte und auf Karton aufzog, sollten versteigert werden, als Provenienz nannte der Katalog eine „Europäische Unternehmenssammlung“.
300 000 bis 500 000 Euro sollten die Bilder, darunter berühmte Gesichter wie der „Konditormeister“ oder die „Jungbauern“, ihrem künftigen Besitzer wert sein. Trennung ausgeschlossen: Die schwarz-weißen Abzüge waren nur komplett zu haben. Am Ende lautete das Ergebnis 949 000 Euro (inklusive Aufgeld). Das klingt nach einer hohen Summe. Wer aber weiß, dass auf der jüngsten Ausgabe der auf Fotografie spezialisierten Kunstmesse Paris Photo ebenfalls ein Abzug von 1960 zum Verkauf stand, der allein die Hälfte davon kosten sollte, der empfindet 70 unvergessliche Gesichter einer sich damals auflösenden, im Bäuerlichen wie im Großstädtischen verhafteten Ständegesellschaft plötzlich geradezu als Schnäppchen.
Christiane Meixner
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