Zwei lebende Pop-Klassiker: Die Legende von Paul und Paul
Fingerschnippende Leichtigkeit, großes Pathos: Paul Simon und Paul McCartney stellen neue Alben vor.
Die Liebe, so lautet hoffnungsvoll eine Prophezeiung aus dem Korinther-Brief, höret nimmer auf. Sie ist da, so lange wir leben, auch wenn wir 76 oder 77 Jahre alt sind. Paul Simon ist 77 Jahre alt, bei ihm klingt die Liebe so: „Looove“, ein sehnsuchtsvoller Seufzer, getragen von Akustikgitarrenakkorden, Beckengedingel und einer Geige. Das Stück heißt „Love“. Ein Leben lang, singt er, habe er Liebe gebraucht, ewig jagte er ihr nach. Dabei sei sie immer schon da, „wie Luft und Pflanzen“. Liebe ist Medizin, man muss sie nur gut schlucken.
Bei Paul McCartney, 76, wirkt die Liebe pompöser, sie ist ein Gassenhauser. Und es geht um ein konkretes Ich und Du. Der Song „Fuh You“ beginnt mit einem federnden Klavierrhythmus und weitet sich zur Stadionhymne, mit „Ooh-Wow“-Chören und viel Hall. „I just wanna know how you feel / I wanna love the soul, proud and real“, bekennt der Sänger, euphorisch kippt seine Stimme ins Falsett. Alles will er wissen von der Geliebten, er liebt ihren Körper wie ihre Seele und erinnert sich an die Nacht, als er ausging und sie getroffen hat. Um wen es sich handelt, wird nicht ausgesprochen, aber man kann davon ausgehen, dass es Nancy Shevell ist, seit 2011 die Ehefrau des Musikers.
Paul McCartney und Paul Simon sind lebende Pop-Klassiker, von den großartigsten Songs der letzten 40, 50 Jahre stammen nicht wenige von ihnen. Jetzt veröffentlichen sie gleichzeitig neue Alben. Simon bringt auf „In the Blue Light“ einige Lieblingsstücke, übersehene oder schon wieder vergessene Beiträge aus seinem Œuvre zum Strahlen, indem er sie in neuen, sparsamen Arrangements noch einmal aufführt. Und McCartney liefert mit „Egypt Station“ einen Rundumschlag, in dem es noch einmal um alles geht, ums Verlieben, ums Erwachsen- und Altwerden sowie um den Gesamtzustand der Welt. Es ist sein 25. Album seit dem Ende der Beatles, solo oder mit den Wings, rechnet man Liveaufnahmen, Compilations und andere Projekte dazu sogar, unglaublich, das 53. Album.
Paul Simon dreht gerade die letzte Runde seiner Karriere, das finale Konzert seiner Abschiedstournee führt ihn am 22. September in den Flushing Meadows Park von New York. Mit dem meditativen Album „Stranger to Stranger“, das souverän zwischen Songwriterpop und Afrobeat balancierte, hatte er vor drei Jahren ein spätes Meisterwerk herausgebracht. „In the Blue Light“, sein 14. Soloalbum, gleicht einer Inventur. Sich die alten Lieder noch einmal vorzunehmen, bei den Harmonien, der Instrumentierung und den Lyrics nachzubessern, habe ihm Gelegenheit gegeben, „in meinem Kopf zu klären, was ich eigentlich sagen wollte, oder zu erkennen, was ich damals dachte und es nun leichter verständlich zu machen“.
Klingt anstrengend, doch herausgekommen sind dabei zehn Stücke von fingerschnippender Leichtigkeit, die zwischen Folk und Jazz schweben. „Can’t Run But“ erinnert mit seinen pointillistisch gesetzten Klarinetten, Celli und Flöten an „Peter und der Wolf“, also an ein musikalisches Kindermärchen, in der Cooljazzballade „How the Heart Approaches What It Yearns“ steigt der Gesang wie eine sanft tönende Trompete auf. Bei „Darling Lorraine“ gibt Simon einen melancholischen Crooner, der seufzt: „Romance is a heartbreaker.“ Verdammt, Romantik bricht die Herzen. Eine Warnung?
Der Sänger liebt es, mit Paradoxien zu spielen. Die surreale Ballade „René and Georgette Magritte with Their Dog After the War“ bittet den berühmten Maler und seine Frau zum Tanz. Simon versichert, zwar nicht rennen – „Can’t Run But“ –, aber sehr gut laufen zu können. Und das Boogie-Woogie-Auftaktstück trägt seine Pointe schon im Titel: „One Man’s Ceiling Is Another Man’s Floor.“ Wem die Nachbarn auf dem Kopf herumtrampeln, wehrt sich am besten, indem er sich ans Klavier hockt und drauflos hackt. Die Songs waren in ihren ursprünglichen Versionen zwischen 1973 und 2011 erschienen, sie klingen nun zeitlos und sehnsuchtsvoll.
Auch Paul McCartney arbeitet bereits zu Lebzeiten an seinem Nachlass. Im Sommer unternahm er eine spektakuläre Heimreise. Mit dem Late-Night-Moderator James Corden kurvte er singend durch Liverpool, später gab er ein Geheimkonzert voller Hits im legendären Cavern Club, wo einst mit den Beatles alles begonnen hatte. Doch seine Platte „Egypt Station“ hat wenig mit Nostalgie zu tun, McCartney wirkt energisch und elanvoll, er möchte demonstrieren, dass er musikalisch immer noch fest im Hier und Jetzt steht.
„Come On to Me“ ist eine muskulöse, etwas stumpfe Rock’n’Roll-Nummer, die in „Yeah Yeah“-Rufen kulminiert. Ein pastorales Folklied heißt versöhnlich „Hand in Hand“ und kommt nicht ohne Flöten aus. „Who Cares“ beginnt mit fiependen Störgeräuschen und entwickelt sich zum Boogierock-Heuler. Wenn der Sänger fragt: „Who cares what the idiots do?!“, dürfte er die irrlichternden Anführer der Gegenwart meinen, angefangen mit Trump. Und in der Ballade „Happy With You“, einem der schönsten Stücke, versichert er, sich endlich mit sich selbst versöhnt zu haben. Früher lief er wütend durchs Leben, machte sich mit Drogen dicht. Heute weiß er, dass die Welt voller Wunder steckt. Paul McCartney hat das Glück gefunden.
„Egypt Station“ von Paul McCartney ist bei Capitol, „In the Blue Light“ von Paul Simon bei Sony erschienen