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Die Porträts aus Kira Bunses Fotoserie entstanden im Sommerbad Humboldthain, wo sich auch das „Tropez“ befindet.
© Kira Bunse

Berlin Art Week: Die Kunst sucht sich Berlins interessante Orte

Kunst findet zur Berlin Art Week nicht nur im White Cube statt. Sondern auch in Hinterhöfen, Villen, Altbauwohnungen und Kirchenschiffen.

Zur Art Week kann man sich in einem seit Jahrzehnten zerstörten Kirchenschiff mitten in Berlin in einen gläsernen Sarg legen – wie Schneewittchen. Zwei über ein paar Holzstufen zu erklimmende Kapseln sind Teil der Ausstellung „Playground – for accepting your mortality“ in der Ruine des Franziskanerklosters, einem der wichtigsten Baudenkmäler Berlins (Klosterstr. 73a, Mo-So 10-18 Uhr).

Es ist eine transzendente Erfahrung, sich lang ausgestreckt auf eine weiche Matte zu legen, einen Glasdeckel über sich zu schließen, die Geräusche der Leipziger Straße auszusperren und in den Himmel zu schauen. Der Gedanke, dass die Welt da draußen weiter existiert, auch wenn man sich hier zur Ruhe gebettet hat, kommt schnell. Ein schönes, friedliches Gefühl.

Dieser innerstädtische Spielplatz zum Thema Sterblichkeit der beiden Künstlerinnen Katrina Neuburga und Andris Eglitis fügt sich nahtlos in das alte Gemäuer ein – schon im 16. Jahrhundert sollen dort Patres tropische und medizinische Pflanzen kultiviert haben. Torfskulpturen trocknen in der Sonne, Farne wuchern, und aus versteckten Lautsprechern kommen geflüstert Befehle wie aus dem Jenseits. „Stell’ dir vor, du bist am Meer. Steh’ gerade. Atme ein.“

Die Klosterruine, verwaltet vom Bezirk Mitte, wird seit 2016 von Künstlern bespielt. Sie ist ein gutes Beispiel dafür, wie solche Orte durch neue Kuratoren wie Solvej Helweg Ovesen und Christopher Weickenmeier frische Impulse erfahren. Während des Sommers fanden hier etliche Performances statt. Am Samstag tritt das postapokalyptische Tanzkollektiv Young Boy Dancing Group auf (14. 9., 20 Uhr).

Etwa 200 Besucher kamen pro Tag in den vergangenen Monaten, heißt es aus dem Bezirksamt. Ein deutlicher Hinweis, dass anspruchsvolle Kunst an ungewöhnlichen Orten funktioniert.

Obwohl die Freiräume schwinden, zeigt die Art Week, dass sich entlang der Kunst immer noch interessante Orte entdecken lassen. Der White Cube, die Galerie mit den weißen Wänden, ist nur eine von vielen Optionen. Dass es Freiheit bedeuten kann, Kunst in den eigenen vier Wänden auszustellen, zeigen Wohnungsgalerien wie die des Kunsthändlers Alexander Ochs.

Gezeigt werden Fotografien von Till Brönner

Er nutzt seine Charlottenburger Altbauwohnung seit fünf Jahren als Salon-Galerie. Zur Art Week präsentiert er Fotografien von Till Brönner (Schillerstr. 15, Eröffnung 13.9., 18 Uhr). Der Trompeter ist seit zehn Jahren auch als Fotograf unterwegs, seine Ruhrgebietsbilder sind derzeit im Museum Küppersmühle in Duisburg zu sehen. Bei Ochs hängen 25 Werke, vom Musikerporträt bis zu Reisebildern aus den USA.

Ochs, der früher Jazzkonzerte und Musikfestivals veranstaltete, lernte Brönner kennen, als er ein von ihm vertontes Kirchenlied verwenden wollte. Nur wenig später war die Idee einer Schau geboren. Der Salon ermögliche ihm, Ausstellungen zu veranstalten, Kunsthandel zu betreiben und die Nachbarschaft miteinzubeziehen, sagt Ochs. Die Hausgemeinschaft startete mit Lesungen zum Jahrestag der Bücherverbrennung und ist seitdem regelmäßig gemeinsam aktiv.

Eine andere Form der Wohnungsausstellung liefern Constanze Kleiner und Stephan von Wiese. Nachdem sie einen Galerieraum an der Budapester Straße bespielt hatten, oft bekannte und weniger bekannte Positionen kombiniert, stellen sie die nächsten zwei Jahre in der frisch sanierten Villa Erxleben im Grunewald aus, die einem italienischen Investor gehört. Das gewaltige Haus mit Eckturm und vielen kleinen Fenstern ist die perfekte Kulisse für Horrorfilme, tatsächlich sollen dort in den 1950ern Edgar-Wallace-Krimis gedreht worden sein.

Und es war Sommer. Das Tropez ist Ausstellungsort und Freibad.
Und es war Sommer. Das Tropez ist Ausstellungsort und Freibad.
© Kira Bunse

Von Wiese und Kleiner zeigen in der Bankiersvilla in leer stehenden Wohnungen auf 400 Quadratmetern eine Gruppenausstellung (Douglasstr. 28, bis 15. 9.). 53 Künstler präsentieren Werke zum Ausstellungsthema „bonum et malum“. Zu sehen sind Bilder und Skulpturen von Amir Fattal, Mariana Vassileva, Tracey Moffatt, Otto Piene oder Gerhard Richter und eine Auftragsarbeit des finnischen Künstlers Jani Leinonen. Zur Eröffnung am vergangenen Wochenende war das Haus voll. Die Berliner kriegt man mit solchen Orten eigentlich immer.

Viele der Orte weisen eine gewisse Beständigkeit auf

Wer Kontraste liebt, kommt in dieser Kunstwoche auf seine Kosten, wenn weite Wege kein Problem sind. Von der splendiden Grunewaldvilla könnte es direkt nach Wedding gehen. Auf der belebten Badstraße liegt im Hinterhof der Projektraum Very, untergebracht in einer ehemaligen Kutscherwerkstatt. Die Arbeitsgrube existiert noch. Im Moment ist darin eine Diaprojektion des in Taipei geborenen Künstlers Musquiqui Chihying installiert.

Er ist einer der neun Nominierten für den „Berlin Art Prize“, deren Beiträge diesmal in unterschiedlichen Projekträumen gezeigt werden. Very wird von sechs Künstlern und Kuratoren gestaltet, darunter der Bildhauer Dirk Bell und die Künstlerinnen Anna Zett und Mariechen Danz. Aus Ressourcengründen ist meist nur am Eröffnungsabend geöffnet oder zu Veranstaltungen. Werbung wird nicht gemacht. Es reicht den Beteiligten, über ihr Netzwerk zu informieren. Zur Art Week allerdings ist regelmäßig geöffnet, und Chihyings Beobachtungen zum Kolonialismus sind zu empfehlen (Badstr. 66, Do-So 12-18 Uhr).

Was auffällt: Viele der besonderen Ausstellungsorte weisen eine gewisse Beständigkeit auf. Die Klosterruine ebenso wie das Tropez, ein als Ausstellungsort genutzter Schwimmbadkiosk im Humboldthainbad. Kuratorin Nele Heinevetter rief das Tropez 2017 ins Leben . Mittlerweile gehört es zu den innovativsten Ausstellungsorten der Stadt. Zur Art Week werden Virtual-Reality-Arbeiten gezeigt, die während der Sommersaison für die Gruppenausstellung „Amour“ entstanden sind (Wiesenstraße 1, 10-18 Uhr). Bei schönem Wetter natürlich auch: Gelegenheit zum Kopfsprung.

Birgit Rieger

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