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Sprung an die Weltspitze. Polina Semionova wird künftig Gastsolistin des Staatsballetts unter Nacho Duato sein – und zwischen New York und Berlin pendeln.
© LaureN Pasche

Coup beim Staatsballett: Die Königin tanzt wieder

Polina Semionova war Star des Staatsballetts. Jetzt kommt sie aus New York zurück, um in Berlin ständiger Gast zu sein. Eine Begegnung.

Wenn das kein Grund zum Jubeln ist: Polina Semionova wird wieder in Berlin tanzen – als Gastsolistin des Staatsballetts. Am heutigen Dienstag gibt sie zusammen mit Nacho Duato, dem neuen Leiter des Staatsballetts, die genauen Termine bekannt. Duato kann es sich als Verdienst anrechnen, dass die abtrünnige Starballerina wieder mit dem Staatsballett auftreten wird. Doch es war auch der Wunsch von Semionova selber, die ja eine innige Beziehung zu Berlin hat.

Zur Erinnerung: Vladimir Malakhov hatte die gebürtige Moskauerin an der Ballettschule des Bolschoi Theaters entdeckt und vom Fleck weg engagiert. Sie war erst 17 Jahre alt, als er sie als Erste Solotänzerin nach Berlin holte. Zehn Jahre lang war sie die unangefochtene Nummer eins und auch international ein begehrter Gaststar. Nach einem Zerwürfnis mit ihrem Mentor Malakhov verließ sie im Frühjahr 2012 die Compagnie – ein schwerer Verlust für Berlin.

In Berlin wurde sie ein Star - bis zum Zerwürfnis mit Malakhov

Wenn man Semionova fragt, ob sie aus Berlin wegging, um ein Weltstar zu werden, winkt sie zunächst ab: „Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken, ob ich einen Karrieresprung gemacht habe. Ich habe viele neue Ballette getanzt – das ist wichtig für mich.“ Sich künstlerisch weiterzuentwickeln ist ihr Antrieb. Und sie war so klug, ihre Chancen zu ergreifen. Im September 2012 wurde sie Principal Dancer beim renommierten American Ballet Theatre (ABT), seitdem leuchtet ihr Stern noch heller. Semionova sei „eine Klasse für sich“ urteilte die New York Times bei ihrem Debüt. Den Sprung an die Weltspitze: Sie hat ihn geschafft.

Zum Gespräch in der Kantine der Deutschen Oper kommt die Ballerina ungeschminkt. Sie hat immer noch diese natürliche Anmut, von Allüren keine Spur. Schnell verdrückt sie ein halbes Brötchen und erzählt dann von ihrem Leben zwischen New York und Berlin. „In Amerika musst du alles geben“, erzählt Semionova. „Ich habe dort immer das Gefühl, dass die Zeit davonrennt.“ Das amerikanische Fieber, die Jagd nach dem Ruhm, hat die Russin dann doch erfasst. Über ihre Zusammenarbeit mit dem American Ballet Theatre sagt sie: „Das Training, die Proben, die Vorstellungen – alles ist anders. Es herrscht eine andere Energie. Und das amerikanische Publikum holt alles aus dir heraus.“

Ihr Arbeitstag in New York beginnt um 10.15 Uhr mit dem Training, von 12 bis 19 Uhr wird geprobt. Für Pausen hat sie kaum Zeit, denn sie muss ein enormes Pensum absolvieren. „Ich komme oft erst einen Monat vor den Vorstellungen nach New York und muss in kurzer Zeit ein ganzes Programm vorbereiten, fünf oder sechs verschiedene Rollen einstudieren. Da habe ich keine Zeit, essen zu gehen.“ Das Leben in New York ist nicht nur schneller, es herrscht auch eine größere Konkurrenz, erzählt sie. „Aber das macht fit! Ich bin immer in Bestform, wenn ich dort bin.“

Sooft es geht, kehrt sie nach Berlin zurück – der Liebe wegen. Denn ihr Mann Mehmet Yümak ist Ensemble-Tänzer beim Staatsballett. Die Berlin-Phasen waren bislang immer fast so etwas wie eine Verschnaufpause. Auch wenn sie jede Gelegenheit nutzt, um an der Staatlichen Ballettschule Berlin zu unterrichten.

Triumphe überall - nur in ihrer zweiten Heimat Berlin trat sie nicht mehr auf

Die Situation in den vergangenen zwei Jahren war schon ziemlich absurd: Polina Semionova feierte Triumphe in New York, sie trat in Moskau, St. Petersburg, Mailand und München auf. Nur in Berlin, ihrer zweiten Heimat seit 12 Jahren, konnte man sie nicht tanzen sehen. Mit dieser Abstinenz ist es nun vorbei. Ihr Comeback hätte man nicht besser inszenieren können: Zur Krönung des Gastspiels des Béjart Ballet Lausanne wird Polina Semionova am 19. Oktober den „Boléro“ tanzen. Nur an einem einzigen Abend wird sie auf den runden roten Tisch steigen, umringt von 40 Männern mit nackten Oberkörper (darunter 20 Herren vom Staatsballett). „Boléro“ – das sind 15 Minuten pure Verführung. „Dieses Ballett ist ein Traum, für Frauen und Männer“, schwärmt die Ballerina. Sie kennt die unterschiedlichen Versionen, die legendären Interpretationen von Tanzstars wie Jorge Donn, Sylvie Guillem oder Maja Plissetskaja. „Es muss nicht offen erotisch sein“, meint sie. „Es muss unglaublich schön sein und stark.“ Maurice Béjart habe gesehen, wie eine Frau aus dem Meer steigt: Das war die erste Inspiration zu seiner Choreografie, erzählt Semionova. Am Ende werden ihr alle zu Füßen liegen.

Auch der nächste Auftritt steht schon fest: Am 11. Dezember wird sie in Berlin die Titelrolle bei der Wiederaufnahme von „Giselle“ tanzen. Doch sie ist nicht nur für die Klassiker gebucht. Gewiss wird sie auch in Stücken von Nacho Duato auftreten, den sie als Choreograf sehr schätzt. Die beiden kennen sich durch ihre Zusammenarbeit am Mikhailovsky Theater, das Duato seit 2011 leitet. Und offenkundig haben sie einen guten Draht zueinander.

Im September ist Polina Semionova 30 geworden. Im Gespräch wird deutlich: Sie ist eine Künstlerin, die selbst über ihr Leben und ihre Karriere bestimmen will. Und noch alles auskosten möchte, was eine Tänzerlaufbahn bereithält. „Es ist zwar anstrengend, aber es ist mein Weg“, sagt sie resümierend über ihr Leben zwischen New York und Berlin. „Und ein Tänzerleben ist kurz.“

Sandra Luzina

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