Isabelle Huppert: Die Königin stirbt
Solo für die Grande Dame: Am Pariser Théatre de la Ville spielt Isabelle Huppert die Renaissance-Dame Maria Stuart. Und Robert Wilson erinnert an seine Anfänge als Regisseur.
Berlin findet sich mal wieder nicht auf dem Tourneeplan. Hier war Isabelle Huppert letztmalig vor neun Jahren auf der Bühne zu sehen, in Krzysztof Warlikowskis Inszenierung „Un Tramway“ nach Tennessee Williams’ „Endstation Sehnsucht“. Das war, als es in der deutschen Hauptstadt mit der „Spielzeit Europa“ noch ein Festival für großes internationales Theater gab.
Nun muss man dafür nach Paris fahren. Lange steht im Théatre de la Ville eine Silhouette im üppigen Renaissancekleid vor einer großen weißen Fläche. Milde Lichtwechsel deuten atmosphärische Änderungen an, Dämmerungen, leichte Farbverschiebungen. Dann konturiert ein Spitzlicht die kunstvoll hochgesteckten Haare und erst viele weitere Minuten später wird auch das Gesicht sichtbar – als diese Maria Stuart von James Bothwell spricht, mit dem sie wohl den Mord an ihrem zweiten Ehemann, Lord Darnley, organisierte. Als sie Bothwell dann auch noch heiratet, bringt ihr das eine Revolte der schottischen Clananführer ein, das Unheil nimmt seinen Lauf.
Also redet sie in diesem Solo „Mary said what she said“. Und redet und redet. Und während sie in der Inszenierung von Robert Wilson redet, als könnte man damit die Zeit anhalten, die sie unaufhaltsam in Richtung Schafott drängt, vergeht ihre Welt, verrutschen die Gesten, zerfallen die Bilder.
Zu den Streicherklängen des Pop-Komponisten Ludovico Einaudi hetzt Isabelle Huppert im ersten Teil durch ihren Text. Maria Stuart, dieser in Frankreich erzogene Renaissancemensch, im Sturm der europäischen Intrigen und im Orkan der eigenen Leidenschaften, erlebt im kalten Schottland einen schlimmen Kulturschock. Was Friedrich Schiller in seinem großartigen Stück und Stefan Zweig in seiner exzellenten Biografie erläuterten, war eine einzigartige Verflechtung von privater Leidenschaft, gesellschaftlicher Umwälzung und politischer Intrige.
Huppert wird zur Getriebenen
Aber der amerikanische Autor Darryl Pinckney interessiert sich dafür wenig. Sein poetisch-subtiler Prosa-Monolog beleuchtet private Details, Biografisch-Anekdotisches, fixe Ideen entlang einiger Leitmotive, wie desjenigen der vier legendären Marys. Das sind adelige Namensschwestern, die der künftigen Königin seit der Kindheit zur Seite standen.
Pinckney hatte dereinst Virginia Woolfs „Orlando“ adaptiert, was 1993 zu einem riesigen Erfolg von Regisseur Wilson und Isabelle Huppert wurde. Die hier sehr laut eingespielte Musik des italienischen Komponisten ist ein Resümee der derzeit in Film und Fernsehen vorherrschenden Klangwelt: gefällig-banale Harmonik und pulsend auftrumpfende Rhythmik, mit gelegentlich zur Beruhigung der Nerven eingefügten elegischen Passagen.
Zunächst stemmt sich die Actrice bewegungslos gegen dieses musikalische Lärmen der Welt, dann skizziert sie auf völlig leerer Bühne einige elegante höfische Tanzschritte. Später wird sie regelrecht zu einer Getriebenen, schreitet hastig in einer Diagonalen vorwärts und rückwärts, wirft die Arme in die Luft, mit zerstörtem Gesichtsausdruck, zur Hälfte noch Ärger, zur Hälfte schon Verzweiflung. Alle Eleganz ist dahin. Das Ende naht, aber erst jetzt sind ihr kurze Momente der Stille vergönnt, wenn in Hupperts Text von einem der letzten Briefe die Rede ist, die Maria Stuart in ihrer Gefangenschaft im Fotheringhay Castle verfasste.
Die Chance zum großen Wurf wird leider vertan
In Bob Wilsons neuer Pariser Arbeit trifft der Weltstar Isabelle Huppert – im Kino derzeit in dem Psychothriller „Greta“ zu sehen – auf den Weltgeschichtsstar Maria Stuart, diese unerschütterliche Renaissance-Dame, die mit ihrer Leidenschaft erst an den schottischen Adligen scheitert und dann an der Rivalin Elisabeth I. Huppert und Stuart, das ist kein Rendezvous von Schauspielerin und Figur, sondern ein Aufeinandertreffen zweier Mythen. Es hätte ein Verdichtungsraum für Jahrhunderte der Emanzipation werden können, wenn Bild, Text und Musik die Schauspielerin besser unterstützen würden. So ist es eine theatrale Installation, die sich am Text abarbeitet und sich vom Soundtrack überfluten lässt.
Erst gegen Ende zeigt sich in einer geheimnisvolle Szene, was in anderer Konstellation möglich geworden wäre: Auf der nun zauberhaft von Theaterwolken verhangenen Bühne steigt Bob Wilson aus dem Musiklärm und dem Geschwätz des Textes aus. Er inszeniert eine Maria wie im Jenseits, dazu seine väterliche Stimme, Worte auf Amerikanisch und die eines Kindes in Französisch, dazu auch Laute, wie sie taube Menschen ausstoßen. Die Szene ist vorweggenommene Ewigkeit, die Geburt der Sprache aus Urlauten der menschlichen Stimme und Versuch des Ich, sich in ihr zu erfinden.
In Paris begann Wilsons Karriere
Es ist eine Szene wie ein Vermächtnis, in dem Wilsons ganzes Künstlerleben aufgehoben scheint. Und es ist eine Erinnerung an die Anfänge von Wilson, der zunächst mit Kindern mit Behinderung arbeitete und einen gehörlosen Jungen adoptierte. Dieser Moment ist auch als Verbeugung vor dem Théâtre de la Ville zu verstehen. Dort fand 1971 Wilsons französische, europäische und internationale Entdeckung statt, mit dem Stück „Deafman Glance“, das von seiner pädagogischen Arbeit inspiriert war.
In den USA war das siebenstündige Stück damals durchgefallen. In Paris feierte der gebürtige Texaner einen Triumph. Es war der Beginn einer einzigartigen Karriere. Nach Paris ist der 78-Jährige auch immer wieder zurückgekommen. „Mary said what she said“ dürfte sich noch weiterentwickeln, wenn es jetzt zu den Festwochen nach Wien geht und im Herbst nach Hamburg. Aber eben nicht nach Berlin.
Eberhard Spreng
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