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Beyoncé und Jay-Z auf der "On the Run II"-Tour.
© Raven Varona/Parkwood Picture Group

Beyoncé und Jay-Z live in Berlin: Die Königin, der Sünder und ihr Hofstaat

Auf ihrer "On The Run Tour II" spielten Beyoncé und Jay-Z im Berliner Olympiastadion eine kurzweilige Spektakelshow.

Die Machtdemonstration beginnt schon auf dem Parkplatz. Eine Flotte von über 40 Trucks und Reisebussen steht aufgereiht neben dem Berliner Olympiastadion. Klar, wenn Amerikas Power Couple Nummer eins auf Tournee geht, muss kräftig aufgefahren werden. Selbst Madonna konnte da 2008 nicht mithalten, wie es anerkennend auf dem Twitter-Account des Stadions heißt.

Und weil Beyoncé und Jay-Z auch alles herzeigen wollen, was sie mitgebracht haben, fangen sie sogar schon zwei Minuten vor acht an. Das heißt: Sie zeigen erstmal ein paar Videobilder von sich, dazu den Kalenderspruch „Love never changes. Love is universal“. Dann öffnet sich die Leinwand und das Ehepaar Carter schreitet Hand in Hand heraus. Die beiden sind ja auf einer Art Versöhnungstour nach ihrer großen Krise der letzten Jahre, die sie beide in hervorragenden Alben verarbeitet haben. Erst machte Beyoncé ihrem Ärger über den untreuen Jay-Z mit „Lemonade“ Luft, dann folgte mit „4:44“ sein reumütiges, bestes Werk seit Langem.

Beyoncé sorgt mit "Drunk in Love" für das erste Highlight

Jetzt ist also alles wieder gut, was sie bei der „On The Run II“-Tour aller Welt zeigen wollen. Teil I fand 2014 noch mitten im Beziehungschaos statt – gerade war das berühmte Überwachungsvideo aus einem Aufzug durchs Netz gegangen, das zeigte, wie Beyoncés Schwester Solange auf ihren Schwager losgeht. Diesen Bildern hat das Paar seither seine eigenen entgegengesetzt. Taktisch klug wie es sich für zwei Marketing-Genies gehört, haben sie ihre Geschichte in eine hollywoodreife Inszenierung verwandelt. Mit der Live-Show als krönender Feier ihrer wiedergefundenen Liebe.

Diesen Bildern hat das Paar seither seine eigenen entgegengesetzt. Taktisch klug wie es sich für zwei Marketing-Genies gehört, haben sie ihre Geschichte in eine hollywoodreife Inszenierung verwandelt. Mit der Live-Show als krönender Feier ihrer wiedergefundenen Liebe.

Nach der Innigkeit der ersten zwei Stücke – Beyoncé und Jay-Z schauen sich an, berühren einander – gehen die beiden ab „’03 Bonnie & Clyde“ zunächst getrennte Wege: Sie nimmt den rechten, er den linken Laufsteg ins Publikum. Und den ersten Höhepunkt setzt Beyoncé nach 15 Minuten allein. Ihren Hit „Drunk In Love“ singen vor allem die vielen Frauen im nicht ganz ausverkauften Stadion mit. Die 36-jährige Sängerin rechnet fest damit und knickt lässig ihr Handgelenk ab, um ihnen das Mikro hinzuhalten. Sehr schick auch die kleine Treppe am Ende des Laufstegs, die sie kurz nach oben hebt und dabei in lila Nebel hüllt..

Jay-Z wechselt ständig das Outfit

Jay-Z ist derweil ständig in der Umkleidekabine. Während seine Frau noch immer ihr erstes Kostüm trägt, hat er bereits einen weißen Anzug, ein gemustertes Flatterhemd und eine T-Shirt-Sakko- Kombi präsentiert. Möchte er seine Modelambitionen unter Beweis stellen? Ist ihm langweilig? Vielleicht beides. Dabei rappt er gut und reißt die Menge erstmals mit dem fast 20 Jahre alten Stück „Big Pimpin’“ mit, wofür er Bomberjacke, Basecap und eine überdimensionale Kette gewählt hat. Das wirkt ein bisschen albern, so als spiele der 48-jährige Millionär noch mal seine alte Rolle als Dealer nach. Was aber schnell wieder vergessen ist, denn es geht den Carters vor allem darum, ständig neue Reize rauszuhauen. Jede Atmosphäre, die sie aufbauen, räumen sie nach spätestens fünf Minuten wieder ab, zahlreiche Songs werden nicht ausgespielt. Das ist zwar abwechslungsreich, vieles verpufft aber genauso schnell wie die immer wieder an den Seiten emporschießenden Feuerfontänen.

Ein nachhaltig beeindruckender Moment gelingt ihnen allerdings, als die wie ein Vorhang genutzte Leinwand erstmals den Blick auf die Band und die Tänzerinnen freigibt, die auf drei Etagen in quadratischen Rahmen agieren. Wie schon bei Beyoncés fulminantem Auftritt auf dem Coachella-Festival im April tragen die Musikerinnen und Musiker pinke Uniformen – und dienen diesmal vor allem als optisches Element, denn der Großteil der Musik kommt weiterhin vom Rechner.

Ihr neues Album ignorieren die Carters

Die große Begleitgruppe, zu der sich noch ein Dutzend weiterer Tänzerinnen auf der Vorderbühne gesellt, repräsentiert den Hofstaat des königlichen Pop- Paares, das oft für seine Protzerei kritisiert wird. Aber genau das ist der Punkt: Die Selbstermächtigung und Selbstbefreiung aus den für die afroamerikanische Minderheit vorgesehenen Klischees und Narrativen findet auf der materiellen Ebene statt. So greifen sich Beyjay den amerikanischen Traum, der ursprünglich ein rein weißer war. Dass sie nur mit Schwarzen auf der Bühne stehen, ist dabei ein ebenso starkes Statement wie ihre Aneignung weißer Kunst, mit der sie die sonst übliche Ausbeutungsrichtung umdrehen. Vorläufiger Höhepunkt dieser postkolonialen Black-Power-Demonstration war ihr in der vergangenen Woche veröffentlichtes Video zum Song „Apeshit“, das sie zusammen mit einer Gruppe dunkelhäutiger Tänzerinnen im Louvre zeigt. Beyoncé und Jay-Z posieren vor berühmten Gemälden und Statuen – zum Finale vor der Mona Lisa. Ein jetzt schon ikonisches Bild, mit dem sie sich selbst zum bedeutenden Kunstwerk erklären.

Das ist großer Pop, der aber leider im Berliner Olympiastadion nicht zur Aufführung kommt: Die Carters spielen keinen einzigen Song ihres letzten Freitag ohne Vorankündigung veröffentlichten Albums „Everything Is Love“, was vor allem für das besagte „Apeshit“ schade ist. Und eigentlich hätten auch Songs wie „Heard About Us“ oder die Ballade „Lovehappy“, die das Glück und die Größe des Paares beschwören, thematisch bestens in den Abend gepasst. Doch offenbar ist die riesige Tourmaschinerie von Beyoncé und Jay-Z nicht flexibel genug, um spontan ein neues Lied in die Setlist einzubauen.

Beyoncé und Jay-Z beschwören ihre Liebe.
Beyoncé und Jay-Z beschwören ihre Liebe.
© Robin Harper/Parkwood Picture Group

Also spulen sie weiter ihr schon in anderen Städten gezeigtes Programm ab: Abwechselnd führen sie ihre Hits auf, wobei sie sich sogar bei den gemeinsamen Parts eher aus dem Weg gehen. Jeder hat für sich Spaß. Jay-Z natürlich mit „99 Problems“, das er in schusssicherer Weste und Tarnfarbenhose aufführt. Die eingeblendeten Fotos lassen darauf schließen, dass er sich damit in eine Reihe von Bürgerrechtskämpfern stellen will. Es haut nur überhaupt nicht hin, als bei der legendären Zeile „I got 99 problems but a bitch ain’t one“ ausgerechnet Angela Davis zu sehen ist.

Wut und Stimmpower

Zum Glück tritt jetzt wieder Queen Bey in den Vordergrund, die ihren Mann in Sachen Kostüm-Glamour mittlerweile längst übertroffen hat: Vom sexy Lack-Outfit über diverse Glitzer-Bodys bis hin zu einem Minirock mit Fünf-Meterschleppe hat sie eine komplette Truckladung mit  Haute Couture aufgetragen. Auch stimmlich legt sie einen Zacken zu: „Don’t Hurt Yourself“ vom „Lemonade“-Album wird angetrieben von der endlich mal richtig mitmischenden Band zu einer rockenden Kampfansage. Man nimmt Beyoncé ihre Wut ab – genau wie die Verzweiflung von „Resentment“, das sie sitzend an der Spitze des rechten Laufstegs singt. Mit der Ballade will sie beweisen, dass sie in die Reihe der Größten von Aretha Franklin bis Whitney Houston gehört - und es gelingt ihr natürlich. Bei den Zeilen "I’m crying, can’t stop crying/ Can’t stop cryin’“ scheint sie gar feuchte Augen zu haben. Oder es zumindest sehr gut zu spielt.
Auf Überwältigung durch Technik setzen die Carters dann in der zweiten Showhälfte. Als sie Jay-Zs „Family Feud“ anstimmen, schraubt sich das vordere Bühnenpodest nicht nur in die Höhe, sondern fährt auch noch zwischen den Laufstegen ins Publikum. Ein irrer Effekt, der an Justin Timberlakes Hallentour von 2014 erinnert, bei der ebenfalls auf einem Podest durch die Menge gerollt war.

Zum Finale eine Kitschpackung

Nach einem kurzen Schlenker in Politische – Beyoncé zeigt sich beim fabelhaften „Formation“ einmal mehr als Feministin, Jay-Z thematisiert mit „The Story of O.J.“ Rassismus – biegt das Paar mit „Déjà Vu“ auf die Zielgerade ein. Die Bassistin spielt ein grooviges Solo, Teile der Bläsersektion benutzen ihre Instrumente ebenfalls nicht mehr nur zum Posieren und schieben die Party nochmal druckvoll an.

Doch bedauerlicherweise verschenken die Carters wenig später ihren Überhit „Crazy In Love“, den sie lediglich anspielen, Beyoncé tanzt sogar nur. Zum Ausgleich gibt’s ein Kitschfinale: Ein Video zeigt das Paar ganz in Weiß in einer Kirche sowie bei einer Taufszene im kreuzförmigen Pool. Ganz in Schwarz fahren sie anschließend mit dem Podest in die Menge, wobei Beyoncé den mit ein paar Trap-Beats aufgerüschten Synthiepop- Schmachtfetzen „Forever Young“ von Alphaville singt.

Das wäre ein guter Schlusspunkt gewesen. Doch weil auch noch Ed Sheerans schlimme Schnulze „Perfect“ gecovert werden muss, ist man nicht traurig, dass es keine Zugaben mehr gibt. Mit einer leidenschaftslosen Umarmung beenden die Carters den Abend. Vielleicht brauchen sie mal wieder einen Ehekrach, eine Affäre oder gleich die Scheidung – daraus ließe sich sicher eine weitere aufregende Welttour machen.

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