Maxim-Gorki-Theater: "Entertaining Mr. Sloane": Die Kleinbürgerhorrorshow
Der Krach um die Kreuze der Mauertoten ist kaum überstanden, da entwickelt das Berliner Gorki Theater neuen Spaß am Skandal. Nurkan Erpulat inszeniert Joe Ortons "Entertaining Mr. Sloane" als schrille Farce - mit Seitenhieben.
„Und dass man uns einreden will, solch widerwärtiger Dreck gelte heutzutage als Humor!“ Edna Welthorpe war fassungslos. In ihrem Leserbrief an den „Daily Telegraph“ schloss sich die langjährige Theatergängerin der allgemeinen Verdammung des Stücks „Entertaining Mr. Sloane“ rückhaltlos an. Okay, in den Sechzigern waren sie eben so drauf, die Sittenwächter und Moralapostel. Was Welthorpes Einlassungen allerdings interessant macht: es gab die Dame gar nicht. Hinter dem Schmähbrief steckte der Autor Joe Orton, der lustvoll die Erregung um sein Erstlingswerk anfachte.
Ein halbes Jahrhundert nach der Uraufführung im Londoner West End inszeniert Nurkan Erpulat „Entertaining Mr. Sloane“ („Seid nett zu Mr. Sloane“) am Gorki Theater. An das Provokationspotenzial dieser mörderischen Groteske allerdings glaubt hier keiner. Für den Skandal braucht es heute mehr als das Kratzen an verklemmter Sexualmoral – etwa die Entwendung von Gedenkkreuzen. Wir erinnern uns: Berlins Innensenator Frank Henkel hatte das Gorki der Komplizenschaft an einer Straftat verdächtigt, worauf in der Inszenierung auch munter angespielt wird. Da pöbelt der schrullige Vater den ungeliebten Mr. Sloane an: „Bist du einer von den Pennern, die die Kreuze geklaut und verkauft haben?“.
Schöner Twist: Jerry Hoffmann als Sloane
Auch abseits dessen macht Ortons Stück Spaß. Die Geschwister Kathy (Mareike Beykirch) und Ed (Aleksandar Radenkovic) leben mit Papa Kemp (Thomas Wodianka) im häuslichen und sittlichen Verfall. Kathy, die an Komplexen wegen verhinderter Mutterschaft laboriert, holt sich Mr. Sloane (Jerry Hoffmann) ins Haus, dem sie ziemlich unumwunden an die Wäsche will. Auch ihr schwuler Bruder gerät angesichts des gut gebauten Untermieters in Wallung. Vater Kemp hingegen meint in dem Fremden den Mörder seines Ex-Chefs zu erkennen. Weil Sloane den Daddy daraufhin leider erdrosseln muss, findet er sich erpresst in der Sexfalle der Geschwister wieder. Lauter böse Menschen. Pfui.
Ein schöner Twist der Inszenierung ist die Besetzung des Sloane mit dem schwarzen Schauspieler Jerry Hoffmann. Mit umgebundenem Sixpack zum Muskelmann ausstaffiert, trägt er mitten in der schnurrenden Farce Diskurstexte über „das schwarze Subjekt als Projektionsfläche für die unterdrückten Aspekte des weißen Selbst“ von Grada Kilomba vor.
Broadway trifft Splatter-Boulevard
Geht es also um die Ausgrenzung des anderen, Fremden aus Neidmotiven? Auch. Darüber hinaus aber stellt Erpulat seine tolle Inszenierung unter das Motto „Alles nur Show“. Womit das im Titel versprochene Entertainment im Setting mit Glühlämpchenrahmen, tiefem Fassbinder-Flokati für die sexuellen Abgründe und einer Schrankwand voller gartenzwergbefüllter Triebstaufächer (Bühne: Magda Willi) eingelöst wäre. Auch wird eifrig zur Livemusik von Tilman Ritter gesungen, „Teach me Tiger“, „Who am I anyway?“ und „Nature Boy“. Broadway trifft Splatter-Boulevard. Die Kleinbürgerhorrorshow.
Schon die Kostümprobe der Schauspieler beim Einlass macht klar, dass es hier um Verstellungskünstler geht - die wir ja letztlich alle sind. Und was lernen wir daraus? Gar nichts. Unseren Glauben an den heilsamen Vorführeffekt lässt Erpulat smart ins Leere laufen. Das Stück nur herzunehmen, damit wir uns 50 Jahre später unserer Fortschrittlichkeit und Aufgeklärtheit versichern können, fiele ihm nicht ein. Stattdessen zeigt der Regisseur, dass unser Miteinander nach wie vor nicht funktioniert, aber Kritik an den Verhältnissen zum beliebten Unterhaltungsgenre geworden ist.
Am Ende erklingt die selige Einheitsballade „Wind of Change“. Ob das dann doch als Provokation empfunden wurde? Einige Buhs zwischen den Bravos gab’s jedenfalls.
Wieder am 26.11., 9. und 26.12., 19.30 Uhr
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