"El Club" auf der Berlinale: Die Hölle bin ich
Das Psychodrama „El Club“ konfrontiert eine Gruppe straffällig gewordener Priester mit einem ihrer Missbrauchsopfer. Dem Regisseur Pablo Larraín ist Eindringliches gelungen.
Geht das überhaupt, was der Herr da tut? „Gott sah das Licht, und es war gut, und er schied das Licht von der Dunkelheit.“ Dieses Zitat aus der Genesis stellt der Zweifler Pablo Larraín seinem kraftvollen Drama „El Club“ voran. Gefolgt vom Bild eines Mannes, der am Meer einen Windhund trainiert. Immer im Kreis rennt der angeleinte Hund. Wie verrückt einem Fellköder nach. Den Anweisungen seines Herrn untertan, aber mehr noch den eigenen Instinkten. Nirgends ein Anfang, nirgends ein Ende. Befreiung, Erlösung? Fehlanzeige. Dafür blaugraues Zwielicht, selbst die Sonne ist verdüstert. Wenn der Hintergrund doch einmal hell ist, bleiben die Gesichter der Protagonisten verschattet. Hilft nichts. Die im Dunkeln sieht man doch.
Mit dem Bild, das sie bieten, kann Mutter Kirche nicht zufrieden sein. Geweiht als heilige Männer, sind sie jetzt sündige, schuldbehaftete Existenzen, der Club der verlorenen Priester. In dieses Haus am Meer irgendwo an einem Dorfrand in Chile kommen diejenigen, über die getuschelt wird, die eines Tages ohne weitere Erklärung aus den Pfarreien verschwinden, die gefehlt haben: Messdiener missbraucht, Babys armer Eltern an reiche Kinderlose verkauft. Oder einfach nur Männer geliebt?
Pablo Larraín setzt Nadeln auf die Haut
Eine Zwangswohngemeinschaft von vier Geistlichen, betreut von einer mit ihnen paktierenden, auch nicht gerade sakrosankten Nonne. Sie hat die sanfte Dominanz einer offiziell eingesetzten Gefängniswärterin. So leben sie – ihren Windhund trainierend – der Zucht und der Gerechtigkeit der Kirche unterworfen, die auf andere Mechanismen von Buße, Reue und Vergebung setzt als weltliche Jurisprudenz. Mit einer Anklage muss hier niemand rechnen.
Genau das ist der Punkt, wo Pablo Larraín Protagonisten und Zuschauern die Nadeln auf die Haut setzt und sie nach und nach immer tiefer ins Fleisch schiebt. Ja, „El Club“ ist ein Film, der peinigt, der weh tut. Weil in einem autoritäten System Selbstgerechtigkeit, Lüge und Feigheit stets größer sind als der Mut zur Wahrheit und zur Veränderung. Weil das Leid der Täter, etwa des homosexuellen Paters Vidal (Alfredo Castro), in einer Sexualität negierenden Institution absolut ist. Obwohl Vidal die manipulative Selbstfreisprechung eines Intellektuellen beherrscht. Das Opfer kann gegen die Phalanx des Schweigens nicht gewinnen. Immer wieder schreit der Säufer Sandokan (Roberto Farías), der seinem Peiniger in das Dorf gefolgt ist, seine Anklage vor dem Haus in allen brutalen Details heraus.
"Humor kann eine scharfe Waffe sein"
Dieses Netz aus Schuld und Sühne hat der Katholik Larraín sehr fein und sehr drastisch gewebt. Der Mann kennt sich mit den repressiven Mustern aus Angst, Schweigen und Vertuschung aus. Bereits in drei Filmen hat sich der Regisseur mit der – in „El Club“ nur kurz in der Figur des schlauen Militärkaplans anklingenden – Geschichte der Pinochet-Diktatur auseinandergesetzt. Seine Politsatire „No!“ wurde 2013 als erster chilenischer Film überhaupt für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert.
Etwas von der Lakonie, die diesen Film über die Regeln des politischen Geschäfts auszeichnete, hat Larraín auch in sein neues Werk herübergerettet. Immer wieder erklingen im Berlinale-Palast Lachsalven, trotz oder gerade wegen des tragischen Themas. Und bei der Pressekonferenz, die gänzlich von Journalisten aus Lateinamerika, Spanien, Italien und Frankreich, also aus katholischen Ländern dominiert wird, geht es ebenfalls darum. „Humor kann eine scharfe Waffe sein“, sagt Larraín.
Das wird am Ende offensichtlich. Da sitzt das Missbrauchsopfer plötzlich als Heiliger unter Unheiligen und verlangt nach Barbituraten. Den Selbstmord eines Mitbruders haben die Priester ausgesessen. Die peinlichen Verhöre durch einen abgestellten Vertreter der Kirche ebenso. Zuletzt haben sie gar eine blutige Intrige ausgeführt. Nur, um die Kirche, das Haus, ihr Schweigen zu erhalten. Als Buße müssen sie mit dem traumatisierten Opfer ihrer Taten leben – bis die Hölle gefriert.
10.2., 9.30 und 18 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 13 Uhr (Zoo Palast 1), 15.2., 22.30 Uhr (Kino International)