Opern-Uraufführung in Dresden: Die große Gatsby-Party in der Semperoper
Liebling, ich habe die Sänger geschrumpft! Die Dresdner Semperoper bringt den Literaturklassiker „Der große Gatsby“ auf die Bühne.
Da liegt er nun mit seinem schwarz-weiß gestreiften Badeanzug in einer Sektschale für Riesen, das Blut fließt am Glasrand herunter wie Erdbeersirup in einen Cocktail. Doch das Glas ist leer, die Party ist vorbei, Jay Gatsby ist tot.
Gatsby, der große Gatsby, die ganze Welt kennt seine Geschichte, ein literarisches Meisterwerk über die Träume und die Dekadenz der Superreichen in den Goldenen Zwanzigern, mehrfach verfilmt, Robert Redford, Leonardo DiCaprio, was kann die Bühne da noch Neues bieten? Die Semperoper in Dresden traut sich zur Weihnachtszeit an die europäische Erstaufführung des 90 Jahre alten Stoffs von F. Scott Fitzgerald heran. Mit Musik und Libretto des amerikanischen Komponisten John Harbison, uraufgeführt 1999 an der New Yorker Met, jetzt inszeniert von Keith Warner.
First we take Manhattan, then we take – Dresden.
First we take Manhattan, then we take – Dresden. Während draußen auf dem Theaterplatz irgendeine Mini-Demo stattfindet, hat sich die Dresdner Gesellschaft herausgeputzt. Lange Roben, Fliege, Smoking, schließlich sind Opern-Erstaufführungen nicht alltäglich. Meist ist ja zumindest die Musik bekannt, tausendmal gehört; die rund 50 Uraufführungen jährlich in Deutschland bedienen musikalisch häufig Spezialinteressen. Umso interessanter der Dresdner Versuch.
Nick Carraway (John Chest) steht schon vor Beginn rauchend auf der Bühne, unter einem abgeranzten Plakat, das Augen hinter einer dünnen Alubrille zeigt: ein direkter Bezug zum Redford-Film von 1974, in dem ein ähnliches Plakat gegenüber der Werkstatt der Wilsons hängt. Das Bühnenbild macht auf einen Trend der amerikanischen Opernhäuser aufmerksam: berühmte Theater- oder Literaturvorlagen, die prominent in Hollywood verfilmt wurden, fürs Musiktheater zu adaptieren. „Endstation Sehnsucht“, „Moby Dick“, „Früchte des Zorns“ – alles erfolgreiche neue Opern in den USA. Nach Deutschland haben es allerdings erst wenige geschafft.
Liebling, ich hab die Sänger geschrumpft!
Überhaupt, das Bühnenbild. Den übertriebenen Reichtum – den sich Jay Gatsby (Peter Lodahl) nicht ganz legal erarbeitet hat, um die Liebe seines Lebens Daisy Buchanan (Maria Bengtsson) zu beeindrucken – hat Johan Engels durch Übergröße sämtlicher Dinge kenntlich gemacht. Der Bühnenbildner starb noch während der Vorarbeiten, Matthews Rees hat seine Ideen realisiert. Jeder Stuhl, jedes Sofa, jede Blume ist überdimensioniert – Liebling, ich hab die Sänger geschrumpft!
Für John Harbison, 76, war der Gatsby-Stoff eine Art Lebensprojekt, seit 1985 arbeitete er daran. Zur Dresdner Premiere ist er höchstpersönlich gekommen, um sich nach dem letzten Vorhang feiern zu lassen. Vor allem die Vielzahl der von Fitzgerald im Roman beschriebenen Geräusche und Klänge hätten ihn inspiriert, verrät der Komponist im Programmheft, spielende Radios, Partys mit Jazzbands, erregte Konversationen, Straßenlärm. Seine gemäßigt moderne Musiksprache verwebt Harbison geschickt mit jazzy Tanzmusik im Stil der Zwanzigerjahre.
Als George Wilson (Lester Lynch) in seiner Garage das Radio aufdreht, denkt man zunächst, die beschwingte Musik komme tatsächlich von einer alten Platte. Der Staatskapelle Dresden unter Leitung von Wayne Marshall wurden stiltypische Instrumente wie ein Banjo hinzugefügt, das durchweg gesanglich starke Ensemble durch einen Revuesänger (Aaron Pegram) ergänzt.
Die musikalisch besonders jazzgefärbte Musik von Wilson und seiner Frau Myrtle (Angel Blue), Tom Buchanans (Raymond Very) Geliebter, bewegte Regisseur Warner, diese Rollen zu afro-amerikanischen Figuren umzudeuten. Stimmlich begeisternd, wirft diese Volte dramaturgisch freilich eher Fragen auf. Denn bei Fitzgerald ist Buchanan auch ein rassistischer Schwadroneur, und Myrtle träumt vom sozialen Aufstieg durch Heirat mit ihm.
Drei Stunden, das zieht sich ein wenig
Die luxuriösen Feste, die Gatsby jede Nacht veranstaltet, um Daisy anzulocken, werden auf der Bühne zu rauschenden Partys, mit dem gesamten Chor zu Beginn des ersten und zweiten Akts. Besonders gut funktioniert die Vermischung von Oper und Jazz in der berühmten Plaza-Szene, in der Gatsby Buchanan seine Liebe zu dessen Frau Daisy gesteht. Unten im Hotel findet gerade eine Hochzeitsfeier statt, eine Tanzkapelle spielt erst den Hochzeitsmarsch, dann Festmusik, die vom Orchester aufgegriffen und kommentiert wird, während oben im Zimmer eine vermeintlich heile Welt zusammenbricht. Zwei Sphären, zwei Stimmungen, die sich musikalisch überlagern.
Als die große Uhr über der Bühne der Semperoper Punkt VIII zeigt, schließt sich der Vorhang zum letzten Mal. Drei Stunden dauert die leicht überarbeitete Fassung dieser Oper, die sich eng an die literarische Vorlage hält, aber entscheidende Szenen teils unnötig lange ausbaut. Vor allem die Rolle des Ich-Erzählers Nick Carraway funktioniert nur leidlich, weil Harbison ihn zum Chronisten mit Schreibmaschine ausbaut, der ständig anwesend ist, ohne das Geschehen jedoch wirklich zu kommentieren. Auch sein Verhältnis zu Daisys Freundin Jordan (Christina Bock) bleibt blass.
Dennoch: Dieser „Große Gatsby“ ist stilechtes, knallbuntes Vergnügen. Gerne würde man hierzulande mehr von diesen jüngeren US-Opern sehen.
Weitere Aufführungen am 15., 18. und 21. Dezember, jeweils 19 Uhr.
Anke Myrrhe