"Der große Gatsby": Schall und Rausch
Baz Luhrmanns „Der große Gatsby“ wurde fieberhaft von den Fans erwartet. Nun kommt Luhrmanns Verfilmung von F. Scott Fitzgeralds famosem Roman in die Kinos und eröffnet die Filmfestspiele von Cannes.
Pomp und Pop, Raffinesse und Raserei, keiner kann das besser als Baz Luhrmann. Sein Kino ist ein glamouröser Jahrmarkt, opulent, extravagant, eklektisch, ein Zirkus voller überbordender Illusionen. Luhrmann will den Rausch der Sinne, die Überwältigung, sein Credo: „Geschmack ist der Todfeind der Kunst.“
Kein Wunder also, dass die Fans fieberhaft auf Luhrmanns Verfilmung des „Großen Gatsby“ gewartet haben (ein Interview zur Frage, warum "Gatsby" zwar das Filmfest von Cannes eröffnet, aber nicht als Weltpremiere, lesen Sie hier). Schließlich verwandelte der mittlerweile 50-jährige Australier bereits die berühmteste Lovestory der Welt in eine hinreißende Popoper („Romeo und Julia“, 1997) und die Pariser Belle Epoque in ein neobarockes Musical („Moulin Rouge“, 2001). Und schließlich ist dieser Gatsby, F. Scott Fitzgeralds Romanheld, den in Amerika jedes Schulkind kennt, selber ein Meister der Illusion. Ein Parvenü der Goldenen Zwanzigerjahre, ein neureicher Lügenbaron, der sich um Geschmack nicht schert und rosa Anzüge trägt, ein Gangster mit Manieren und Charme. Vielleicht ist ja auch seine Liebe zu Daisy, dem Mädchen aus besserem Hause, seinem golden girl, das er einst an Tom Buchanan, einen Hallodri aus dem Geldadel verlor, bloß Wunsch und Wahn, eine Fata Morgana. Wer weiß das bei der Liebe schon so genau, zumal im Kino, diesem Palast der Träume.
Da steht er nun also, Leonardo DiCaprio als Gatsby – wer sonst außer DiCaprio, seit Luhrmanns Romeo und Jack Camerons „Titanic“ der romantische Leinwaldlover schlechthin –, am Ufer der Bucht, die sein mondänes Anwesen in West Egg, Long Island, von East Egg trennt, jenem Ort, an dem Daisy und Tom in ihrer altehrwürdigen Villa residieren und das grüne Licht am Ende von Daisys Bootssteg zu Gatsby hinüberwinkt. Da legt er seiner Daisy (Carey Mulligan) bald alles zu Füßen, seinen zwielichtig erworbenen Reichtum, das protzige, neugotische Chateau (das Burgschloss im Disney-Logo!), die wilden Wochenendpartys für die New Yorker Dekadenz, mit der er die Angebetete herüberlocken möchte, seinen prächtigen gelben Rolls Royce (im Film ist es ein Duesenberg!), seine gesamte, ihr zuliebe inszenierte Existenz, sein Leben. Es ist der Wahnsinn, eine tragische Vergeblichkeit – und Baz Luhrmann tut es ihm gleich.
Nur dass diesmal auf der Kehrseite all des prächtigen Dekors, des Kitschs und Camp keine Wahrheit hervolugt, weder über das Jazz Age noch über den Roman, der so fein und ergreifend von einer vergeblichen Liebe erzählt, in einer von Gier und Geld verdorbenen Welt am Vorabend der Krise. Zwar choreografiert Luhrmann Gatsby-Feste, gegen die sich die Partys in den früheren Verfilmungen (u. a. 1947 mit Alan Ladd und 1974 mit Robert Redford) wie Stehrumchen ausnehmen. Gatsbys Märchenschloss ist Vergnügungspark, Discotempel und Ballermann für die High Society in einem (Ausstattung und Kostüme: Catherine Martin, Luhrmanns Ehefrau). Der Champagner fließt in Strömen aus Magnum- und XXL-Flaschen, Hunderte von Gästen sind in Glitzer und Glimmer, Strass, Seide und Prada gekleidet, alle Welt tummelt sich auf Tanzflächen und Treppenaufgängen, im Pool, in den Gärten, am Strand – und über dem Geschehen thront eine gewaltige Orgel. Der Soundtrack stammt vom Rapper (und Koproduzenten) Jay Z, von Lana Del Rey, Beyoncé, Bryan Ferry, Gershwin, Bach und vielen mehr. Aber der Exzess kreiselt um eine leere Mitte, wie schon in „Moulin Rouge“.
Luhrmanns rasante Montage, sie wirkt angestrengt, verkrampft. Wenn die Kamera wie ein Kamikazeflieger in die Straßenschluchten New Yorks stürzt (ein FakeNew-York, aus Kostengründen wurde in Australien gedreht), wenn sie in Flüsterkneipen oder auf der vulgär-hysterischen Privatparty von Toms Mätresse Myrtle den Voyeur gibt, wenn sie das graue Aschetal der Vorstadt durchquert oder die Hitze des Sommers in einem Meer wehender Gaze zu lindern versucht, bleibt all das Pose, Kulisse, Machwerk. Die Schauspieler ertrinken förmlich darin.
Tobey Maguire als Icherzähler und Gatsby-Nachbar Nick Carraway, Elizabeth Debicki als Golfstar Jordan Baker, der Australier Joel Edgerton als Tom Buchanan, sie schrumpfen zu Comicfiguren, zu bloßer Staffage. Carey Mulligan trägt ein Tiffany-Diadem aus Perlen und Diamanten, schön. Aber den „silbrigen Zimbelklang“ (Fitzgerald) von Daisys Stimme, die Aura aus Geld, Wankelmut und Ennui verlangt Luhrmann ihr nicht ab. „Was fangen wir bloß mit uns an, heute Nachmittag? Und morgen? Und in den nächsten dreißig Jahren?“ Nichts im Film reicht auch nur annähernd an diesen Romansatz, dabei wäre Mulligan eine tolle Daisy, wenn man sie nur ließe, nicht so kindisch wie Mia Farrow 1974.
Luhrmann misstraut der Kraft des Romans - und lässt Buchstaben als 3-D-Schnee regnen.
Vielleicht liegt es am 3-D-Format. Entweder die Figuren erscheinen wie Puppenstubenbewohner oder verzerrt, in Überlebensgröße im Bildvordergrund. Die Technik funktioniert nicht, trotz der Fantasymomente. Obendrein trauen Luhrmann und sein Koautor Craig Pearce der Vorlage nicht über den Weg. Keine Frage, Romanverfilmungen sollen sich nicht brav an die Vorlage halten (wie der 1974er-Film). Sie können einen Aspekt hervorkehren, das soziale Sittengemälde im „Großen Gatsby“ (wie im politisch überkorrekten 1947er-Film), das romantische Melodram oder die Psychologie der Selbsttäuschung. Sie können die Vorlage verraten und kongenial neu erfinden oder sich von der flirrenden Leichtigkeit, dem Swing, der Coolness anstecken lassen, mit der Fitzgerald Gatsbys Tragödie in Worte fasste. Aber dem Roman zu misstrauen und ersatzweise Buchstaben als 3-DSchnee auf die Leinwand regnen zu lassen, ist keine Option.
Warum zur Künstlichkeit, zum Spektakel auch noch das Überdeutliche? Warum Gatsbys Vergangenheit explizit in Rückblenden? In der dramatischen Szene im Plaza-Hotel, in der Daisy Tom den Laufpass geben soll, streckt Gatsby seinen Widersacher mit der Faust nieder. Weil der Zuschauer anders nicht begreift, dass hier ein Gangster im feinen Zwirn steckt? Bei der US-Filmkritik ist Luhrmanns Film jedenfalls weitgehend durchgefallen. Die „Washington Post“ vergleicht ihn mit „vorverdauter“ Babynahrung, David Denby im „New Yorker“ findet das Buch ohnehin zu subtil fürs Kino und die „Village Voice“ freut sich über den Film nur deshalb, weil er den Klassiker von 1925 auf die Bestsellerliste katapultiert hat.
Fitzgeralds famoser Roman erwähnt nebenbei, dass der Icherzähler Nick die Geschichte notiert. Der Film dichtet eine Rahmenhandlung hinzu und unterstellt einen therapeutischen Zweck. Nick ist Alkoholiker, er macht eine Entziehungskur im Sanatorium und schreibt auf Empfehlung des Arztes. „Gatsby“, zurechtgestutzt im Namen der Moral – und die Traumfabrik wird zur Besserungsanstalt.
Leonardo DiCaprio macht dazu eine unglückliche Figur. Das passt gut zum mysteriösen Kindskopf Gatsby: das immer noch knabenhaft flächige Gesicht, die Unmöglichkeit, das Image als Teenieschwarm endgültig hinter sich zu lassen – der Film hätte damit spielen können. Gatsby hadert ja selber mit der Unwiederbringlichkeit der Vergangenheit, stemmt sich gegen den Strom der Zeit. DiCaprio hingegen ist in einem Loop gefangen: Als Romeo traf er seine Julia unter Wasser, in „Titanic“ stirbt er den Kältetod im Eismeer, diesmal liegt er am Ende im Pool. Es ist Herbst, eigentlich wollte der Gärtner längst das Wasser ablassen.
Ein Interview zur Frage, warum "Gatsby" zwar das Filmfest von Cannes eröffnet, aber nicht als Weltpremiere, lesen Sie hier.
Ab Donnerstag in 30 Berliner Kinos. OmU: Babylon Kreuzberg, International, Odeon. OV: Cinestar Sony-Center